Hunderte Millionen Nutzer monatlich – doch seit dem vergangenen Jahr haben viele Meinungsmacher von X zu einer alternativen Plattform gewechselt. Sind sie dort glücklich?

Ein Ort ohne Elon Musk. Für manche Meinungsmacher ist diese Vorstellung so verlockend, dass sie eine stattliche Menge Follower und eine beträchtliche Reichweite hinter sich lassen und zur Konkurrenzfirma Bluesky übersiedeln. Allzu oft bleibt der alte Account in jenem Netzwerk, das früher Twitter hiess, aber bestehen. Man weiss ja nie.

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Ein deutliches Zeichen setzte das Nachrichtenportal «Watson», als es zu Beginn des Jahres bekanntgab, die Musk-Plattform zu verlassen und fortan nur noch auf Bluesky zu posten. Auch die SP Schweiz wechselte dorthin. Ausserdem viele Universitäten und Institutionen wie die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft. Nicht alle folgten dieser Bewegung: Die Schweizer Bundesrätin Karin Keller-Sutter trat vergangenes Jahr dem Netzwerk X sogar neu bei.

Ende letzten Jahres haben mehrere namhafte Österreicher ihren «eXit» – ein Wortspiel über den Exodus aus X – öffentlichkeitswirksam verkündet. Unter ihnen der Chefredaktor des «Falters», Florian Klenk, und der Fernsehmoderator Armin Wolf. Die Begründungen für die Abgänge klingen stets vertraut: zu viel «Hass und Hetze», zu viel Musk, zu viel russische Propaganda, zu wenig Anstand und zu wenig Moderation.

Der WDR-Moderator Georg Restle schrieb auf seinem X-Account: «Hier bleiben. Solange demokratischer Disput noch möglich ist. Unterdrückte noch Stimmen haben. Ungehörte noch gehört werden. Der Hass nicht gesiegt hat. Es braucht Gegenstimmen. Auch hier. Ich bleibe. Noch.» Das ist jetzt zwei Jahre her. Restle ist immer noch ein aktiver Nutzer der Plattform.

X hat 18-mal so viele Nutzer wie Bluesky

Doch allen moralischen Bekenntnissen zum Trotz: Die Plattform X wächst weiter. Seit der Übernahme durch den amerikanischen Tech-Milliardär Musk im Herbst 2022 ist die Zahl der monatlich aktiven Nutzer von rund 370 Millionen auf 650 Millionen im Jahr 2025 gestiegen. Ein Exodus sieht anders aus. Bis zum Ende des Jahres könnte die 700-Millionen-Marke überschritten sein.

Wenn X einem überfüllten Supermarkt zur Mittagszeit gleicht, dann ist Bluesky mit seinen 35 Millionen monatlich aktiven Nutzerinnen und Nutzern eher ein kleiner Kiosk an der Ecke – überschaubar und mit fester Stammkundschaft.

Beim Scrollen begegnet man vielen vertrauten Stimmen des digitalen Meinungszeitalters: Die ZDF-Moderatorin Dunja Hayali ist dort, ihr Kollege Jan Böhmermann ebenfalls, der erwähnte Journalist Florian Klenk, der deutsche Kulturkampf-Blog «Volksverpetzer», die ehemalige Zürcher GLP-Politikerin Sanija Ameti. Letztgenannte sorgte für Schlagzeilen, als sie ein Foto postete, das sie mit einer Sportpistole zeigt – zielend auf ein Bild von Maria und Jesus. Die Empörung darüber führte schliesslich zu ihrem Austritt aus der Partei.

Willkommenskultur für linke Stimmen

Auch Klimaforscher, Politikwissenschafter und Soziologen tummeln sich dort, freudig begrüsst von einem noch linkeren Publikum. An liberalen, konservativen oder gar rechten Influencern und Journalisten mangelte es schon bei der Gründung des Netzwerkes und tut es bis heute. Selbst der Journalist Armin Wolf klagt deshalb: «Auf Bluesky ist mir noch zu wenig Debatte.»

Ein typischer Bluesky-Post lautet wie folgt: «Meine These: Jens Spahn arbeitet mit Julian Reichelt zusammen, um eines Tages mit Krah zusammen zu koalieren. Befeuert von ‹Nius›, aber erstmal muss Höcke aus der AfD gekantet werden.» Das schreibt Jean Peters, Mitarbeiter des Mediums «Correctiv», der 2016 eine Torte auf die AfD-Politikerin Beatrix von Storch warf und sich zur Antifa bekannte.

Der CDU-Politiker Spahn soll mit einem Chefredaktor eines rechtskonservativen Mediums Pläne schmieden, um eines Tages mit dem AfD-Bundestagsabgeordneten Maximilian Krah zu koalieren? Selbst in der AfD wird Krah von einigen kritisch beäugt, unter anderem weil er sich dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und der türkischen Community andient.

Widerspruch zu diesem Post gibt es keinen, Zustimmung aber auch nicht. Es ist naheliegend, dass so ein Post auf X mit Kritik, Häme und Rückfragen quittiert worden wäre. Denn die Beweisführung für die These ist eher dünn. Doch auf Bluesky verhallt der Gedanke, ohne Gehör zu finden.

Tempo-30-Zone der Meinungen

So kann einen auf der Plattform, die in Design und Nutzung inzwischen kaum von X zu unterscheiden ist (wenn man dessen Premium-Funktionen für zahlende Nutzer ausblendet), wenig schocken. Es fühlt sich an wie eine Fahrt durch eine Tempo-30-Zone. Eilmeldungen oder Insiderwissen erfährt man hier nicht als Erstes.

In dieser Hinsicht hat Elon Musks Plattform X alle Konkurrenten hinter sich gelassen. Ob der 7. Oktober, das Massaker in Syrien oder die Blamage von Donald Trumps Beratern, die versehentlich den Chefredaktor des «Atlantic» in einen privaten Chat einluden: Das Weltgeschehen spielt sich auf X ab.

Auf Bluesky hingegen findet sich nur, was Twitter einst war: die bevorzugte Bühne für linke Diskurse – am liebsten im ungestörten Kreis.

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