Die meisten Autohersteller setzen auf eigene Designabteilungen. Einen anderen Weg gehen BMW und Porsche. Sie arbeiten mit eigenständigen Gestaltungsteams zusammen.
Ein Paneel aus Tee? Grün, aber haltbar? Oder eine Art Leder, das je nach Temperatur seine Farbe ändert? Kunden erwarten von Luxusautos nicht mehr nur stärkere Motoren, sondern besondere Materialien und Innovationen. Diese weltweit zu finden, ist eine der Aufgaben unabhängiger Designstudios. So suchen die Mitarbeiter von Designworks in asiatischen Ländern wie China, Japan und Südkorea nach neuen Materialien wie dem neuartigen Leder, aber auch nach Zhangrong-Samt, Song-Brokat oder Lacken mit zeitgemässer Ästhetik.
Der Automobilabsatz in China wächst rasant. Volkswagen verkaufte 2022 fast 39 Prozent seiner produzierten Autos in China, BMW 33 Prozent und Mercedes-Benz 32 Prozent. Im Jahr 2011 waren es 24 Prozent bei VW, 15 Prozent bei Mercedes-Benz und 14 Prozent bei BMW. Das heisst, die Hersteller haben grosse Anteile an den weltweiten Verkäufen auf China konzentriert – ein Klumpenrisiko. Und wenn die Autos in China nicht mehr ankommen, haben die Hersteller ein Problem. Und zwar ein grosses.
Deshalb lassen sich einige Unternehmen verstärkt vom Reich der Mitte inspirieren – auch wenn das nicht immer etwas mit europäischem Geschmack zu tun hat. Die Idee zum opulenten SUV BMW XM stammt zwar aus Los Angeles, das Aussendesign aber aus Schanghai. Für europäische Kunden wirkt der XM zu gross und protzig, für asiatische Kunden genau richtig. Auch der 5,39 Meter lange 7er ist eher für chinesische und amerikanische Kunden gedacht als für enge europäische Strassen wie in Bern oder Zürich. Mit dem EQS trifft Mercedes-Benz nicht den chinesischen Geschmack – und hat ein Absatzproblem.
Büros in China und den USA liefern neue Perspektiven, Impulse und Ideen, die in den Zentralen bei den vielfältigen Alltagsaufgaben nicht erkannt werden. «Wir brauchen die Inspiration aus China, nicht nur für Autos, sondern für Mobilität, Materialien, Nachhaltigkeit und Design insgesamt», sagt Vanessa Chang, Leiterin des Designworks-Büros in Schanghai.
Ausserhalb des Konzernalltags
Designworks und Studio F. A. Porsche fungieren als Think-Tanks und Beratungsagenturen rund um Design und Innovation für ihre Mutterunternehmen BMW und Porsche. Ferdinand Alexander Porsche gründete das Porsche Design Studio 1972. In den vergangenen Jahrzehnten hat Studio F. A. Porsche unter anderem Uhren, Schuhe, Brillen, Schreibgeräte, Wolkenkratzer und Boote entworfen. Heute gehört Studio F. A. Porsche zur Porsche Design Group, die wiederum zur Porsche AG gehört. Mercedes-Benz unterhält Designstudios in Kalifornien, Italien, Sindelfingen und Schanghai.
Designworks Schanghai hat Einfluss auf die Entwicklung neuer Fahrzeuge und gibt seine Ideen regelmässig nach München weiter. Designworks ist integraler Bestandteil des Forschungs- und Entwicklungszentrums der BMW Group. «Als externes Unternehmen können wir freier denken und auch unkonventionelle Ideen einbringen», sagt Holger Hampf, Geschäftsführer von Designworks. Erst im Juli hat das Unternehmen neue Räume bezogen. Auf rund 1200 Quadratmetern haben 44 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausreichend Platz, um sich zu entfalten. Insgesamt arbeiten rund 130 Mitarbeiter an drei Standorten an etwa 300 Projekten im Jahr, die Hälfte davon für BMW.
Auch Spielmobile, Wingsuits, Rennwagen, Ladesäulen, Sitzmöbel, Sportgeräte oder Boote stammen aus der Designschmiede. Für den Küchenhersteller Fotile entwickelten die Designer eine Serie inklusiver Dunstabzugshauben, für den weltgrössten Eisenbahnhersteller CRRC aus China gestaltete Designworks einen kompletten Hochgeschwindigkeitszug, für Singapore Airlines in Kooperation mit Recaro die Sitze der Businessclass. «Wir konzentrieren uns nicht nur auf Autos, sondern auf Themen rund um die Mobilität», sagt Holger Hampf. Die Sitze im Flugzeug seien ähnlich wie im 7er. Auch der Hochgeschwindigkeitszug hat eine eigene Designsprache und ist kein BMW auf Schienen.
1972 gründete Chuck Pelly das unabhängige Designbüro in Malibu, Kalifornien. Als BMW merkte, dass sie ihre Autos für die Welt nicht allein von München aus entwerfen konnten, investierten sie 1991 als Designberater in das Studio, vier Jahre später übernahmen sie die Mehrheit. In der Münchner Zentrale blickt man manchmal etwas irritiert auf die Ideen aus Kalifornien, die unter anderem den X5 (1999), den 3er E36 (1998), den Z4 (2009), den i8 (2012), das digitale Interface oder den ersten Rolls-Royce Phantom (2003) hervorbrachten. Doch der frische Blick hilft, sich als Marke zu verjüngen. Im Jahr 2000 eröffnet Designworks ein Studio in München, 2008 ein Büro in Singapur und vier Jahre später in Schanghai. Fünf Mitarbeiter analysieren für die Bayern den chinesischen Markt.
Der neue, lange BMW 5er (G86) stammt aus chinesischer Entwicklung. Er ist nicht nur länger, sondern bietet auch mehr Komfort im Fond mit anderen Sitzen. Die Proportionen wurden so gestaltet, dass die Limousine eher an ein Gran Coupé als an einen langen 5er erinnert. Hinzu kommen neue Designmerkmale und Funktionen wie ein grosses 31-Zoll-Panoramadisplay für den Fond. Waren vor einigen Jahren noch mehr Chrom und Lametta gefragt, gelten heute nachhaltige Materialien und digitale Assistenten als Luxusausstattung. Nachhaltigkeit bedeutet nicht nur Grösse, sondern auch Wellness, Digitalisierung und Reduktion auf das Wesentliche.
Inspiration vom grössten Automarkt der Welt
China ist nicht nur der grösste Markt, sondern auch digital führend – das Smartphone im Auto ist allgegenwärtig. Nur wer hier die Trends direkt aufgreift und umsetzen kann, bleibt erfolgreich. «Chinesische Autofahrer interagieren ganz anders mit ihrem Auto als Europäer oder Amerikaner. Deshalb wünschen sie sich auch andere Features wie volle Vernetzung und mehr digitale Angebote. Darauf müssen wir immer schneller reagieren», sagt Vanessa Chang. Im Durchschnitt sind die Kunden in China fast zwanzig Jahre jünger als in Europa.
Bei der Oberklasse-Limousine 7er kaufen über 30 Prozent der Kunden zum ersten Mal einen 7er. Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von rund 40 Kilometern pro Stunde auf Chinas Strassen nutzen die Insassen ständig digitale Angebote. Displays haben daher eine grössere Bedeutung als bei europäischen Autofahrern. Beliebt sind digitale Figuren wie Nomi vom Hersteller NIO, die mit den Insassen interagieren. Der Trend geht daher auch im Design künftig zu digitalen, interaktiven Charakteren und Gaming-Tools, die die Insassen unterhalten und die Fahrt angenehmer machen. So bietet BMW an chinesischen Feiertagen ein spezielles Display nur für diesen Tag an.
Auf dem derzeit sehr dynamischen chinesischen Markt kommen nun chinesische Hersteller wie Aiways, NIO, Lynk & Co, Ora, Wey, Zeekr, BYD, Yangwang und Hiphi hinzu, die ihre Kunden verstehen und entsprechende digitale Angebote machen. Denn Luxus ist nicht mehr nur Chrom, Gold und Glitzer wie noch vor wenigen Jahren. «Luxus ist auch Zeit. Gut vernetzt die Zeit mit Familie, Freunden und Arbeit effektiv zu nutzen, ist für viele Luxus», erklärt Vanessa Chang. Künftige Modelle werden daher noch digitaler sein und mehr Angebote integrieren, aber gleichzeitig reduzierter im Design sein – vielleicht mit einem Armaturenbrett aus grünem Tee oder Sitzen, die sich bei bestimmten Temperaturen verfärben.