Mittwoch, November 27

Es ist ein bisschen wie beim Dieselskandal: BMW wird für Verfehlungen der anderen deutschen Autohersteller zu Unrecht in Sippenhaft genommen. Dabei läuft die Transformation wie am Schnürchen. Und die Marke ist und bleibt stark. Das macht die Aktien langfristig attraktiv.

Für Europas Autobranche war es der nächste Schlag ins Kontor: Vergangene Woche traten Importzölle der EU-Kommission auf in China produzierte Autos von de facto bis zu 48% in Kraft. Auch wenn der Rat der Europäischen Union die Zölle im November nachträglich ändern könnte, was Politikinsider durchaus für möglich halten, ist die nächste Runde im Handelskrieg mit China eröffnet.

Damit könnten sich die ohnehin mauen Aussichten für die Autohersteller weiter eintrüben. Der Rückgang der globalen Produktion ausserhalb Chinas von 2,4% im ersten Halbjahr sei bis Jahresende kaum aufzuholen, schrieb UBS-Analyst Patrick Hummel Anfang Juli. Zugleich nahm er Gewinnschätzungen und Kursziele für die meisten europäischen Autohersteller und Zulieferer zurück.

Dabei dürfte den Gewinnen und den Cashflows kurzfristig sogar helfen, dass sich die elektromobile Revolution verzögert und die profitableren Verbrenner eine Renaissance erfahren. Allerdings drücken Preisschlachten auf die Marge, vor allem in China können Fahrzeuge oft nur mit hohem Rabatt verkauft werden.

Das alles beeinträchtigt auch Geschäft und Aktienkurs des Münchner Autobauers BMW. Fürs zweite Quartal rechnen Analysten mit eher mauen Zahlen, etwas schwächer als im Vorquartal. Der Umsatz mit Automobilen werde 5,5% sinken, bei einer leicht reduzierten operativen Gewinnmarge vor Zinsen und Steuern (Ebit-Marge) von 8,3%, schätzt JPMorgan-Autoexperte Jose Asumendi. Im zweiten Halbjahr werden infolge höherer Investitionen die Kosten steigen. UBS-Analyst Hummel erwartet, dass BMW bei ihrem Korridor von 8 bis 10% Ebit-Marge für das laufende Jahr die Erwartungen in Richtung des unteren Endes steuern wird.

Langfristig dürfte BMW nach Meinung von The Market gegenüber den anderen europäischen Autovaloren dennoch als Gewinner hervorgehen – und ist deshalb einen Blick wert. Wie schon beim Dieselskandal nimmt der Markt die Münchner für Verfehlungen der Konkurrenz zu Unrecht in Sippenhaft. Volkswagen bekommt die Softwareprobleme nicht in den Griff, Mercedes und VW mussten bei ihren überambitionierten Elektroplänen zurückrudern und bei ihren Verbrennermodellen nachinvestieren. BMW hingegen hat seit jeher Technologieoffenheit proklamiert und entsprechend investiert. Die Transformation läuft wie am Schnürchen.

BMW hat die erfolgreichste Elektrostrategie

Langfristig wird an der Elektrifizierung der Automobilität kein Weg vorbeiführen. BMW hat sich in der Elektromobilität bereits jetzt an die Spitze gesetzt. 2023 waren fast 15% aller verkauften BMW Elektroautos, deutlich mehr als bei Porsche, Mercedes und Audi. In den ersten Monaten 2024 hat BMW den Vorsprung noch ausgebaut.

Das Erfolgsrezept von BMW: Während Mercedes und Volkswagen zunächst separat geführte Elektroreihen entwickelten, die EQ- bzw. die ID-Modelle, setzt BMW schon seit Jahren auf hybride Plattformen. Sie können mit einem Verbrenner- oder einem Elektromotor ausgestattet werden. «BMW hat ausserdem das Design und die Bedürfnisse der Kunden weiterhin in den Vordergrund gestellt», erklärt Moritz Kronenberger, Fondsmanager bei Union Investment. Die Unterschiede zwischen BMW i5 und 5er, zwischen i7 und 7er sind auf den ersten Blick kaum erkennbar. Das zog bei der Kundschaft deutlich besser als die Elektroreihen der Rivalen.

Die Neue Klasse als möglicher Katalysator

Den nächsten Schub könnte die von Grund auf neu entwickelte Plattform Neue Klasse bringen, die BMW 2025 auf den Markt bringt. Gemäss BMW hebt sie «alle Technologien auf das höchste Niveau», von der Batterie über die Bordnetze bis hin zu Steuerungsgeräten, Software und Infotainment.

BMW verspricht 30% mehr Reichweite, 30% mehr Ladegeschwindigkeit, eine um 20% höhere Energiedichte und einen um 35% kleineren CO2-Fussabdruck als bei den aktuellen vollelektrischen Fahrzeugen. Vier im eigenen Haus neu entwickelte Steuerungsgeräte sollen bis zu zehnmal so schnell rechnen wie die bisherigen Modelle. Am 15. Juli wird BMW-Chef Oliver Zipse auf einem Investorentag den Stand der Vorbereitungen und die Tragweite des Launches erläutern.

Der Name der Plattform spielt auf die Anfang der Sechzigerjahre eingeführte Neue Klasse von Mittelklassewagen an. Diese rettete BMW damals aus einer Notlage, heute soll sie eine erfolgreiche Zukunft sichern. Als Erstes soll im zweiten Halbjahr 2025 das SUV-Modell Neue Klasse X in der Grösse des heutigen X3 auf den Markt kommen. 2026 folgt die Limousine, bis 2027 sollen vier weitere Modelle angeboten werden.

Die neue Plattform gilt als Schlüssel dafür, dass BMW den Margenkorridor von 8 bis 10% langfristig einhalten kann. Damit sollen die Produktionskosten spürbar sinken. Gemäss BMW werden die Kosten für das elektrische Antriebssystem inklusive Hochvoltspeicher gegenüber der aktuellen Elektroautogeneration bei gleicher Reichweite um 40 bis 50% reduziert. De facto fällt die Kostensenkung allerdings geringer aus, da die Neue Klasse mehr Reichweite hat.

Zipse zeigt sich überzeugt, dass die Neue Klasse genau zum richtigen Zeitpunkt kommt. Ab 2025 werde die Nachfrage nach vollelektrischen Fahrzeugen «signifikant» steigen, so der BMW-Chef. Mit dem schrittweisen Hochfahren wird BMW nach eigenen Angaben die sogenannte Margenparität erreichen, die quasi der Heilige Gral der Elektrotransformation ist. Das heisst, dass man mit Elektroautos genauso hohe Margen erzielt wie mit Verbrennern.

BMW hat eine diversifizierte Batteriezellstrategie

Anders als Tesla und Volkswagen verzichtet BMW darauf, für viele Milliarden eigene Fabriken für Batteriezellen, sogenannte Gigafabriken, zu errichten. Nur Fabriken zur Batteriemontage sowie Kompetenzzentren für die Zellentwicklung betreiben die Münchner selbst. Damit bleiben sie zwar von Zelllieferanten abhängig, haben ihr Netzwerk aber früher und vorausschauender aufgebaut als alle anderen und gut diversifiziert.

So konnte BMW es sich erlauben, vor einigen Wochen einen Auftrag über 2 Mrd. € beim schwedischen Batterie-Start-up Northvolt zurückzuziehen. Northvolt sollte Zellen für Modelle wie den i4 und den iX liefern, doch BMW reichte die von Northvolt produzierte Qualität nicht. Nun springt der langjährige koreanische BMW-Partner Samsung SDI ein.

Der grösste und langjährigste Trumpf von BMW ist die Partnerschaft mit dem chinesischen Zellfertiger CATL, gestartet 2012, im Jahr nach der Gründung von CATL. BMW half kräftig mit, CATL zum grössten Zellhersteller der Welt aufzubauen; VW und Mercedes zogen erst viele Jahre später mit CATL-Kooperationen nach. Mittlerweile haben die Münchner ihre Lieferkette diversifiziert: In den aktuellen E-BMW stecken auch Zellen aus Samsungs Werk in Ungarn sowie von der chinesischen EVE Energy.

Für die Neue Klasse bauen CATL und EVE Energy in China und beim BMW-Werk im ungarischen Debrecen jeweils zwei Zellfabriken mit einer Jahreskapazität von bis zu zwanzig Gigawattstunden. Neu als Lieferant hinzu kommt der japanische Spezialist AESC im Mehrheitsbesitz des chinesischen Windanlagenriesen Envision. AESC errichtet für das BMW-Werk in Spartanburg derzeit eine Zellfabrik in South Carolina.

BMW hat die beste Position in China

Jahrelang war China ein Paradies für deutsche Premiumhersteller; ein Drittel des Umsatzes und des Gewinns oder mehr realisierten BMW, Mercedes und Volkswagen in der Volksrepublik. Mit der Umstellung auf Elektroautos verloren sie zuletzt jedoch rasant Marktanteile an die aufstrebenden heimischen Hersteller wie BYD.

BMW hält hier besser stand als alle anderen: Über 20% der Autos, die BMW in China verkauft, haben bereits jetzt Elektroantrieb. Im ersten Quartal waren es gut 23’000 E-Autos – doppelt so viele, wie Mercedes und Audi insgesamt auslieferten. «BMW ist der einzige Premiumhersteller, der bei Chinas Übergang ins Elektrozeitalter schnell folgen kann», attestiert JPMorgan-Analyst Asumendi.

Mit dem 2022 zu 75% übernommenen Joint Venture BMW Brilliance in Shenyang verfügt BMW über ein kostengünstiges Produktionsnetzwerk, zudem arbeiten in China Tausende Ingenieure parallel zu den Entwicklern in München an den neuen Modellen.

Die Verkaufserfolge wurden zuletzt allerdings mit teils hohen Rabatten erkauft. Das Problem: Elektroautos werden von chinesischen Käufern nicht als Premium gesehen. Deshalb erzielen sie deutlich niedrigere Preise und Margen als Verbrenner. Den X3 verkaufte BMW im April nach Daten von China Auto Market für 325’000 Renminbi (umgerechnet gut 41’000 €), während der elektrische iX3 nur 273’000 Renminbi einbrachte (35’000 €).

Mit den neueren Modellen arbeitet BMW daran, das zu ändern: Der Anfang 2024 eingeführte i5 wird zu 396’000 Renminbi (50’000 €) und damit nur 3000 Renminbi günstiger als das gleichzeitig gelaunchte Verbrennerpendant angeboten.

Rekordinvestitionen drücken auf die Margen

Der BMW-Konzern wächst nicht nur schneller als Mercedes-Benz, deren Chef Ola Källenius auf eine – inzwischen als gescheitert geltende – Luxusstrategie setzte.

BMW konnte Mercedes zuletzt sogar bei der Rendite auf dem investierten Kapital (ROIC) überholen.

Die Transformation fordert allerdings erst einmal ihren Tribut: 2024 wird BMW mehr als 6% des Umsatzes als Kapitalausgabe (Capex) und mehr als 5% als Entwicklungsaufwand ausgeben – so viel wie noch nie. Ab 2025 sollen sich beide Quoten schrittweise wieder in Richtung ihrer normalen Korridore von weniger als 5% Capex und 4 bis 5% Entwicklungsquote bewegen.

Die BMW-Gruppe rechnet beim Autoabsatz 2024 nur mit «leichtem Wachstum», nach 6,4% Plus im Vorjahr. Das Ergebnis vor Steuern soll gegenüber dem Vorjahreswert von 17,1 Mrd. € leicht sinken.

Die Bewertung von BMW spiegelt den Vorsprung nicht

Mercedes-Benz notiert mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 5,6 auf Basis des Gewinns je Aktie für die kommenden zwölf Monate, leicht höher als BMW mit 5,3. Der Stuttgarter Rivale erhält an der Börse noch Kredit für sein generell etwas höheres Margenniveau.

Das könnte sich allerdings bald drehen, glaubt Union-Fondsmanager Kronenberger. «Aktuell hilft es der Mercedes-Marge, dass Mercedes bei Elektroautos hinterherläuft. Mercedes wird aber die nächsten zwei Jahre Probleme haben, die Marge zu halten. BMW dagegen wird in der nächsten Fahrzeuggeneration margenseitig aufholen.»

Auch historisch gesehen ist die BMW-Aktie günstig.

Im derzeitigen Transformationsstress hebt sich BMW durch hohe Verlässlichkeit vom Rest der deutschen Autowelt ab. Wo Mercedes, VW und Porsche immer wieder Zeitpläne reissen, bringt BMW neue Modelle getaktet wie ein Schweizer Uhrwerk auf den Markt. So zweifelt auch kaum jemand am Zeitplan für die Neue Klasse. «BMW hat in den vergangenen 25 Jahren nicht einen Launch verfehlt», erklärt Kronenberger.

Fazit: Für den Angriff aus China und die Elektrotransformation ist kaum ein westlicher Autokonzern so gut gerüstet wie BMW. Wann die europäische Autoindustrie den Punkt des maximalen Pessimismus erreicht, ist schwer abzuschätzen. Die BMW-Aktie ist für langfristig orientierte Anleger auf jeden Fall schon jetzt einen Blick wert.

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