Mit der Rückkehr Donald Trumps hat die wirtschaftspolitische Unsicherheit zugenommen. Die Börsen kümmert es noch wenig, aber es dürfte sich lohnen, in günstigere Märkte umzuschichten. The Market zeigt, wo sie zu finden sind.
Seit seiner Wiederwahl hält US-Präsident Donald Trump die Börsen in Atem. Seine Drohungen, neue Zölle einzuführen oder bestehende anzuheben, sorgten rund um den Globus für Nervosität. Auch die Pläne zur Beendigung des Krieges in der Ukraine und zum Wiederaufbau im Gazastreifen haben Unmut hervorgerufen.
Trotz des Lärms zeigen sich die Aktienmärkte allerdings weiterhin von ihrer freundlichen Seite. Seit Jahresbeginn hat der Weltaktienindex von MSCI mehr als 5% zugelegt; kaum eines der wichtigen Börsenbarometer notiert im Minus. Auf Länderebene liessen sich dennoch teilweise bemerkenswerte Verschiebungen beobachten, die sich auch in den Bewertungen niederschlagen, wie ein frischer Blick auf die Börsenbarometer zeigt.
Was die Bewertungskennzahlen zeigen
Dafür unterzieht The Market quartalsweise 28 Industrie- und Schwellenländer einem umfassenden Bewertungstest. Weil ein direkter Vergleich der Länder wegen der teilweise beträchtlichen Unterschiede in der Sektorzusammensetzung wenig sinnvoll ist – so sind z.B. Technologieaktien typischerweise höher bewertet als Versorgertitel –, wurde die Bewertung für jeden Markt mit seiner eigenen Historie verglichen und der sogenannte Perzentilrang ermittelt (hier finden Sie eine ausführliche Erklärung dazu).
Um ihn zu bestimmen, ordnet man alle Kennzahlen der Reihe nach und schaut, an welcher Stelle sich der gegenwärtige Wert befindet. Derzeit erreichen beispielsweise Schweizer Aktien beim Shiller-KGV das 64. Perzentil, was leicht über der Mitte der historischen Bewertungsspanne liegt. Auf Basis des vorwärtsgerichteten KGV (83. Perzentil), des Kurs-Umsatz- (92. Perzentil) und des Kurs-Buchwert-Verhältnisses (93. Perzentil) erscheinen Schweizer Aktien daher eher teuer. Bezüglich der Dividendenrendite (48. Perzentil) vermag der Schweizer Markt allerdings zu überzeugen.
Dieses Vorgehen wird für die wichtigsten Aktienindizes durchgeführt.
Shiller-KGV: Taiwan ist am teuersten
Wie sieht das Resultat aus? Gemessen am Shiller-KGV (blaue Balken links in der Grafik unten) schaffen es Taiwan (97. Perzentil), die USA (92. Perzentil) und die Niederlande (89. Perzentil) auf die Podestplätze der teuersten Märkte. Indien (88. Perzentil) rutscht auf Platz vier.
Günstig sind die Börsenbarometer Mexikos (14. Perzentil), Brasiliens (13. Perzentil) und Hongkongs (7. Perzentil).
Der gleiche Ansatz wurde bei vier weiteren Bewertungskennzahlen angewandt: beim vorwärtsgerichteten KGV (d.h. beim Kurs-Gewinn-Verhältnis auf Basis der Gewinnschätzungen für die nächsten zwölf Monate, gelbe Balken), beim Kurs-Umsatz-Verhältnis (grün), beim Kurs-Buchwert-Verhältnis (rot) sowie bei der Dividendenrendite (violett).
Günstigere indische Aktien
Zur besseren Lesbarkeit lassen sich die fünf Bewertungskennzahlen in ein Gesamtmass aggregieren. Aus Bewertungssicht sind die Aktienmärkte der USA, der Niederlande und Taiwans besonders unattraktiv – in allen drei Länderindizes hat der Technologiesektor ein sehr hohes Gewicht. Unmittelbar dahinter folgen die Börsen Australiens und Israels.
Indien, das lange zu den teuersten Börsen zählte, ist wegen der zuletzt enttäuschenden Kursentwicklung auf den zehnten Platz gerutscht. Im August belegte das Schwellenland noch den Spitzenrang.
Vom Höchst Ende September hat der MSCI India in Dollar gerechnet mehr als 18% eingebüsst (in Rupien: –15%). Dadurch ist die Börse zwar günstiger geworden, mit einem Score von 75 drängt sich ein rascher Einstieg aus Bewertungssicht allerdings noch nicht auf.
Zugegeben, die von der Regierung beschlossene Steuererleichterung im Umfang von rund 12 Mrd. $, die den Konsum ankurbeln soll, sowie die erste Leitzinssenkung der Reserve Bank of India seit fünf Jahren sind grundsätzlich positiv für Aktien.
Dennoch scheint es verfrüht, jetzt schon auf indische Valoren zu setzen. Denn die Konjunktur dürfte sich in den kommenden Monaten weiter eintrüben. So plant die Regierung, das Fiskaldefizit von derzeit 4,8 auf 4,4% im kommenden Jahr zu verringern. Die Sparmassnahmen dürften den Binnenkonsum schwächen, da ein Grossteil der Kürzungen bei den Sozialausgaben anfallen wird. Da helfen auch die Steuersenkungen wenig, denn davon profitieren primär Gutverdiener, die ihren Konsum deswegen kaum massiv erhöhen dürften.
Um die Währung zu stützen, verkauft die indische Notenbank zudem seit Monaten Devisen und kauft Rupien, womit sie den Finanzmärkten Liquidität entzieht. Die Leitzinssenkung ist zwar willkommen, die Differenz zur Kerninflation ist aber weiterhin beträchtlich, weshalb die realen Zinskosten für die Wirtschaft erhöht bleiben. Schliesslich hat die Kreditschöpfung der Banken jüngst abgenommen, was ebenfalls eine schwächere Konjunktur erwarten lässt.
Die Gefahr, dass die Gewinne und die Profitabilität der Unternehmen in den kommenden Wochen und Monaten unter Druck geraten werden, ist entsprechend gross. In Kombination mit der nach wie vor erhöhten Bewertung der Börse drohen weitere Kursverluste.
US-Titel: Priced for Perfection
Obschon sie etwas an Dynamik eingebüsst haben, halten sich US-Titel an der Spitze der teuersten Aktienmärkte. Der Bewertungsscore ist sogar noch um einen Zähler auf ungemütlich hohe 97 Punkte geklettert (in der Bewertungsübersicht vom November waren es 96 Punkte).
Lautete das Narrativ bislang, dass die grossen Technologiekonzerne dank ihres breiten Burggrabens – sprich, wegen ihres technologischen Vorsprungs – hoch profitabel sind und deshalb eine höhere Bewertung verdient haben, haben sich mit der Veröffentlichung des Sprachmodells R1 durch das chinesische Start-up DeepSeek jüngst Zweifel eingeschlichen. Das Large Language Model des Unternehmens soll mindestens so gut abschneiden wie ähnliche Produkte von amerikanischen Anbietern wie OpenAI oder Google, benötigt dabei aber nur einen Bruchteil an Rechenkapazität.
Damit ist das Risiko gestiegen, dass sich die erhofften Gewinne aus dem Einsatz künstlicher Intelligenz als weniger üppig herausstellen als erhofft. Da die Technologiebranche inzwischen mehr als 30% des MSCI USA ausmacht, ist damit der Gesamtindex verwundbar, sollte die Skepsis der Anleger zunehmen.
Marktstratege David Abramson vom kanadischen Analysehaus Alpine Macro warnt denn auch: «Die hohe Marktkonzentration und die niedrigste Aktienrisikoprämie seit elf Jahren sind eine Warnung, dass der Gesamtmarkt schon bei geringen schlechten Nachrichten korrigieren könnte.»
Auch die regelmässig von Bank of America befragten Fondsmanager werden vorsichtiger. 89% der Umfrageteilnehmer halten US-Aktien nämlich für überbewertet, so viele wie seit mindestens April 2001 nicht mehr. In den vergangenen Monaten haben sie deshalb vermehrt in europäische Aktien umgeschichtet.
Schweizer Aktien mit Schwung unterwegs
Nach einem schwachen 2024 sind Schweizer Aktien fulminant ins neue Jahr gestartet. Mitte Februar notiert der MSCI Switzerland bereits 10,7% im Plus – mehr, als er in der Vergangenheit in einem typischen Kalenderjahr abgeworfen hat.
Ausgerechnet mit der Rückkehr Donald Trumps ins Weisse Haus scheint sich das Blatt für hiesige Valoren gewendet zu haben. Seine erratische Politik stiftet Verunsicherung im In- und im Ausland und brüskiert auch die Verbündeten der USA. Angesichts der gestiegenen Unsicherheit ist die defensive Ausrichtung des Schweizer Aktienmarktes plötzlich gefragt.
Zudem profitiert der Schweizer Markt nun davon, dass er kaum Technologiewerte enthält. Schon seit einigen Wochen bekunden sie Mühe, mit den breiten Indizes mitzuhalten. Schliesslich scheinen das Pharmaschwergewicht Roche und zuletzt auch der Nahrungsmittelkonzern Nestlé ihre Schwierigkeiten hinter sich gelassen zu haben. Allerdings macht sich die Kurserholung bereits wieder negativ in der Bewertung bemerkbar: Derzeit erreicht sie 76 Zähler, nachdem sie im November noch bei 63 lag.
Deutsche Aktien, gemessen am MSCI Germany, sind im Quartalsvergleich ebenfalls teurer geworden. Kein Wunder, denn deutsche Papiere gehörten im neuen Jahr mit einem Zuwachs von 12,7% bislang zu den Zugpferden. In der Folge ist das Bewertungsmass im Monatsvergleich von 62 auf 77 Punkte geklettert, womit der Markt keineswegs mehr günstig ist. Nun müssen die Unternehmensgewinne ebenfalls kräftig steigen, sonst droht früher oder später eine Enttäuschung.
Misstrauen gegenüber Brasilien
Neben Indien gehörte Brasilien zu den wenigen Ländern, deren Bewertung seit der letzten Bestandesaufnahme günstiger geworden ist. Im Vergleich zum November fiel der Bewertungsscore um 4 auf derzeit 21 Zähler, womit das Land zu den günstigsten weltweit zählt. Einzig Mexiko und Hongkong schneiden besser ab.
Im vergangenen Jahr gehörten brasilianische Valoren zu den grossen Verlierern, heuer haben sie indes neuen Schwung entwickelt. Allein seit Jahresbeginn ist der MSCI Brasilien um 16,6% vorgeprescht, gleichzeitig neigte der Real zum Franken zur Stärke.
Das makroökonomische Umfeld in Brasilien ist freundlich, die Arbeitslosigkeit ist auf ein Rekordtief gefallen, und das Wirtschaftswachstum ist insgesamt robust. Jüngst haben die Analysten auch ihre Gewinnprognosen nach oben angepasst.
Wichtiger für die jüngste Erholung brasilianischer Aktien dürfte jedoch die schwindende Wahrscheinlichkeit einer weiteren Amtszeit des gesundheitlich angeschlagenen Präsidenten Lula da Silva sein. Seit seiner Wiederwahl 2023 ist er wiederholt durch Einflussnahme auf Grosskonzerne wie Petrobras und Vale negativ aufgefallen sowie durch Bestrebungen, die Staatsausgaben – trotz hoher Verschuldung – auszuweiten. Grundsätzlich begegnet er der Privatwirtschaft mit Misstrauen.
Nun scheinen aber auch die Wähler mit seiner Regierung zunehmend unzufrieden zu sein. Wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Datafolha zeigt, ist Lulas Zustimmungsrate innerhalb zweier Monate um elf Prozentpunkte auf 24% gefallen. Der Anteil der Befragten, die finden, Lula mache seine Arbeit «schlecht bis sehr schlecht», erreicht hohe 41%.
Derweil steigen die Chancen, dass der Gouverneur von São Paulo, Tarcísio de Freitas, bei den Wahlen im Oktober 2026 antritt. Als Gouverneur hat er eine wirtschaftsfreundliche Agenda vorangetrieben, die Privatisierungen und den Ausbau von Infrastrukturinvestitionen umfasst. Womöglich stellt sich der Markt auf einen Wechsel vom marktfeindlichen Lula zum wirtschaftsfreundlichen de Freitas ein. Angesichts der attraktiven Bewertungen stehen die Erfolgschancen einer solchen Wette nicht allzu schlecht.
Schub für Aktien aus dem UK
Europäische Aktien zeigen seit einigen Wochen unerwartete Stärke – das gilt auch für Titel aus dem Vereinigten Königreich. Im November verharrte der MSCI UK im unteren Teil der Bewertungstabelle, der Abschlag zum globalen Markt erreichte ein Rekordhoch.
Aufgrund der Sektorzusammensetzung ist der MSCI UK eher defensiv, wobei er mit Namen wie Glencore, Rio Tinto oder BP auch über ein prominentes Gewicht in Rohstoffwerten verfügt. Londoner Aktien profitieren zuletzt von der Präferenzverschiebung der Anleger, die den bisherigen Darlings aus dem Technologiesektor mittlerweile skeptischer gegenüberstehen und vermehrt in die Nachzügler umgeschichtet haben. Angesichts des enormen Pessimismus, der Aktien aus dem Vereinigten Königreich entgegenschlug, brauchte es wenig, um eine Gegenbewegung auszulösen.
Dadurch aber hat sich die Bewertung normalisiert. Derzeit kommen britische Aktien auf einen Bewertungsscore von 61, was einem substanziellen Anstieg um 21 Punkte entspricht. Dennoch ist der Markt noch nicht teuer, die Bewertungen sollten weiteren Kursgewinnen kaum im Weg stehen. Und wie die jüngste Umfrage von Bank of America unter Fondsmanagern zeigt, ist der Markt nach wie vor höchst unbeliebt – aus Contrarian-Optik ist das positiv zu werten.