Freitag, November 29

Die Märkte konsolidieren, und das ist gut so. Für die Fortsetzung der Hausse spricht auch die Ausweitung der Marktbreite, die einzig defensive Werte aussen vor lässt. Gefragt sind Zykliker.

Die Aktienmärkte konsolidieren. Und das ist gut so. Konsolidierungen unterbrechen positive Rückkoppelungen. Sie stellen vorübergehende negative Rückkoppelungen dar. Dort, wo man meint, Übertreibungen zu orten, werden Positionen abgebaut, und dort, wo Anleger glauben, neue Chancen zu sehen, werden Positionen eingegangen.

Dieser Sicht der Dinge steht das abstrakte Denkmodell zugrunde, dass es in einem sogenannten Bullenmarkt Perioden gibt, in denen die Saat einer Zukunftsvision gelegt wird, gefolgt von einer Periode der Umsetzung, abgelöst von Zweifeln, die zum Test der unterstellten Erwartungen führen und die oft eine teilweise Neuorientierung auslösen. Diese teilweise Neuorientierung liegt derzeit in Ansätzen vor.

Das Denkmodell entstammt dem Konzept, dass es in einem gewissen Ausmass ein gemeinschaftliches Handeln gibt, das sich in einem von vielen Ungewissheiten geprägten System, in dem eine enorme Anzahl Akteure interagieren, spontan ergibt.

Sie merken einmal mehr die Prägung meines Denkens durch Friedrich August von Hayek. Derzeit werden mutwillig Auszüge aus seinem Gesamtwerk gerissen und zu einem naiven und plakativen, nicht stimmigen Bild seiner Hinterlassenschaft verhunzt.

Die Divergenzen schrumpfen

Zurück zur teilweisen Neuorientierung. Sie manifestiert sich in der erhöhten Marktbreite, was zur Folge hat, dass mehr Industrien und Sektoren relativ zum MSCI Welt zulegen und gleichzeitig das relative Momentum der bislang stärksten Sektoren und Industrien abnimmt, was nicht heisst, dass relative Schwäche einsetzt. Gleichzeitig bewegen sich die schwachen, als defensiv eingestuften Segmente des Marktes in relativer Hinsicht nicht vom Fleck. Das wiederum hat zur Folge, dass auf Ebene der Regionen eine Angleichung stattfindet.

Dieser Gewinn an Breite wirkt sich in der Weise aus, dass die relative Attraktivität der grossen Indizes gemessen an den Unifinanz-Ratings zusammengerückt ist.

Die relative Attraktivität stellt das Momentum dar, bereinigt um negative Muster wie zum Beispiel zu hohes Momentum, was wir Hilfe stringenter Regeln identifizieren. Das kann dazu führen, dass die während Monaten stärksten Indizes oder Aktien ein tieferes Rating aufweisen als Objekte, die ein geringeres Momentum entwickelt haben.

Ende letzter Woche betrug das höchste Rating im Vergleich zum tiefsten Rating von MSCI Welt, MSCI USA, MSCI Europa und MSCI Japan 1,01. Ende Dezember 2023 lag dieser Wert bei 1,07.

Ein Wert von 1,01 entsteht, wenn das qualitativ bereinigte Momentum verschiedener Objekte sehr ähnlich ist. Ein Wert von 1,07 auf Ebene der grossen Indizes ist Ausweis starker Divergenzen.

Man setzt durchwegs auf Zykliker

Die Spreizung zwischen den Sektoren hat sich in der gleichen Zeit nicht verändert. Der beste Sektor weist unverändert den Faktor 1,13 zum schlechtesten Sektor auf. Die Spreizung zwischen der besten und der schlechtesten Industrie aus allen Sektoren hat sogar erheblich von 1,28 auf 1,58 zugenommen.

Das Sektoren- und Industriengeschehen liegt daran, dass defensive Werte überhaupt nicht von der Zunahme der Marktbreite profitieren. Healthcare, Consumer Staples und Utilities so wie eher defensive Industrien in anderen Sektoren, wie zum Beispiel Telecom in Communication Services, machen keine Anstalten, ihre relative Positionierung zu verbessern.

Hingegen nimmt in Asien-Pazifik die Divergenz unter Ausschluss Japans (was Sinn macht, weil Japan als hochentwickelte Industrie- und Dienstleistungswirtschaft nicht zu vergleichen ist mit den anderen Märkten dieser Region, einschliesslich China) massiv ab, und zwar von 1,62 auf 1,39. In dieser Region beobachtet man vor allem eine relative Erstarkung des MSCI AC Far East ex Japan Small Caps zum MSCI AC Far East ex Japan, was sich wenig auf die kapitalgewichteten Indizes auswirkt.

Mit Ausnahme des indischen Sensex und des taiwanesischen TSEC sind alle Indizes in der Region (noch) relativ schwach zum MSCI Welt. Aber die relative Stärke des genannten japanischen Small Cap Index zum die Region abdeckenden Index ohne Japan zeigt, welche Population in dieser Region den Ton angibt: Die fundamental orientierte Anlegerschaft, die sich Unternehmen aussucht und nicht Märkte. Diese Population ist dafür bekannt, dass sie zeitlich vorangeht: Sie kauft und verkauft früh im Zyklus. Und sie kann, je nach Segment, vor allem mit ihnen Käufen den Boden bereiten für neue Trends.

Die Möglichkeit des Irrtums gibt es immer

Insgesamt möchte ich mit obigen Ausführungen unterstreichen, dass ich nach wie vor sehr bullish bin und die im Moment laufende Konsolidierung, die sich noch über viele Woche erstrecken kann, sehr begrüsse.

Es gibt immer die Möglichkeit des Irrtums in einem komplexen System, denn, wie Friedrich von Hayek in einem Interview mit «Finanz und Wirtschaft» am 24. Oktober 1984 sagte: «Die Preise eines freien Marktes hängen von mehr Umständen ab, als irgendjemand überhaupt wissen kann.»

Die Preise sind jene Daten, die die Akteure durch ihr Handeln generieren. Die Ableitungen der Preise, die auch eine Rolle in der Entwicklung der Unifinanz-Ratings einnehmen, tragen einen Teil subjektives Wissen in sich, wie es die Interpretation der fundamentalen Daten auch tun. Man muss sich also immer bewusst sein, dass man sich bei der Modellentwicklung, die zu diesen Ableitungen führen, und bei der Auswertung solcher Daten täuschen kann. Auch die Ratings, die mir so wichtig für die Vernetzung des Geschehens auf allen Ebenen sind, können ihre Tücken aufweisen.

Daher möchte ich diesen Beitrag mit einem Zitat aus dem oben erwähnten Interview von Friedrich von Hayek beenden: «Ich erinnere mich nur, vor fünfzig Jahren gesagt zu haben, eines der schlimmsten Dinge, die der Menschheit geschehen könnte, wäre, dass sie aufhört, an die Quantitätstheorie zu glauben. Noch schlimmer wäre, wenn sie die Quantitätstheorie als Wirklichkeit betrachten würde.»

Alfons Cortés

Alfons Cortés ist seit März 1971 professionell an der Börse unterwegs. Bis Juni 2017 war er Geschäftsführender Partner von UnifinanzTrust reg., Vaduz. Seit Juli 2017 ist er Senior Partner im Unternehmen und für den Bereich Research zuständig. Diesem hat er von Anbeginn seiner Tätigkeit an besonderes Augenmerk zukommen lassen. Daraus erwuchs die prominente Position des Unternehmens in der Anwendung von Behavioral-, Neuro- und Evolutionary Finance. Cortés hat nicht nur als Vermögensverwalter und Analyst, sondern auch als Mitglied von Anlageausschüssen institutioneller Anleger über Jahrzehnte Erfahrungen mit den Finanzmärkten gesammelt. Er schreibt jeden zweiten Donnerstag eine Kolumne für The Market.
Exit mobile version