Dienstag, April 1

Der gigantische Konzernabbau geht nicht spurlos an dem Detailhändler vorbei – Reputation und Beliebtheit leiden. Nun geht erstmals in der Geschichte die Zahl der Migros-Kinder spürbar zurück.

Mario Irminger scheint zufrieden mit sich und der Welt. Der Migros-Chef präsentierte diese Woche in Zürich einen Gewinn von 419 Millionen Franken. Selbstbewusst und gutgelaunt verkündete er: «Die Migros lebt, die Migros ist kerngesund!» Auch in der Medienmitteilung lobt sich der Konzern für ein «erfolgreiches Geschäftsjahr».

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Was unerwähnt blieb, ist das Schicksal von Hunderten von Mitarbeitern, die im vergangenen Jahr ihren Job verloren haben. Tausende wurden versetzt oder ausgegliedert. Auch Mario Irminger, der Taktgeber der Transformation, hielt es bei seinem Auftritt nicht für nötig, ausführlicher auf die Zurückgelassenen einzugehen.

Vielleicht ist es dieses fehlende Mitgefühl, das eine andere Entwicklung beeinflusst hat: Im vergangenen Jahr nämlich ist die Zahl der Genossenschafterinnen und Genossenschafter zurückgegangen. Ende 2024 zählte die Migros 38 941 Mitglieder weniger als noch zwölf Monate zuvor.

Bei den verbleibenden 2 281 485 Genossenschaftern mag dieser Rückgang verkraftbar sein. Angesicht steigender Bevölkerungszahlen ist er bemerkenswert. Umso mehr, wenn man in die Vergangenheit blickt: Seit 1941, als Gottlieb Duttweiler die Migros zur Genossenschaft machte, war das Wachstum stets positiv. In den letzten zwanzig Jahren kamen im Schnitt jährlich 19 000 neue Mitglieder hinzu. Einzig 1996 stagnierte die Entwicklung einmal bei einem Minus von 0,02 Prozent.

Jetzt also die böse Überraschung – und das ausgerechnet in dem Jahr, in dem die Migros ihren 100. Geburtstag feiert.

Wofür sind Genossenschafter da?

Werner Schawalder aus Wittenbach ist so lange Genossenschafter, dass er nicht mehr sagen kann, wann genau er beigetreten ist. «Dreissig oder vierzig Jahre ist das her», sagt er. «Jedenfalls bin ich ein Migros-Kind, seit ich denken kann.» In letzter Zeit aber hat die Migros Schawalder enttäuscht. Immer wieder schreibt er Leserbriefe – aus Frust. «Es fühlt sich an, als hätte man unsere Familie auseinandergerissen, ohne uns je gefragt zu haben.»

Was Schawalder besonders beschäftigt, ist der radikale Umbau des Konzerns. Der Verkauf von Melectronics und SportX, das Ende von Hotelplan, die Schliessung von Do it + Garden – all das irritiere ihn. Zwar habe er über den Verkauf von Alkohol in den Filialen abstimmen dürfen, nicht aber über die «Zerstückelung des Konzerns», wie er es nennt. «Wofür sind wir Genossenschafter da, wenn wir bei der Zukunft unserer Migros nicht mitreden dürfen?»

Tatsächlich ist die Mitbestimmung kompliziert geregelt. Die Migros besteht aus zehn regionalen Genossenschaften. Deren Mitglieder wählen Genossenschaftsräte, die wiederum Delegierte entsenden. So soll basisdemokratisch über die Zukunft des Konzerns entschieden werden.

Für Schawalder ist das nur noch Theorie. Er sagt: «Ein paar Chefs und Berater machen, was sie wollen. Wir Genossenschafter dürfen noch den Abschluss abnicken und bekommen als Dank eine Schokolade an der Migros-Kasse.»

Und wie ihm geht es offenbar auch anderen Genossenschaftern. Die neue Migros ist ihnen fremd geworden. Und so gehen sie – innerlich oder tatsächlich – auf Abstand zu ihr.

Die Jungen interessieren sich nicht für die Migros

Bei der Migros will man von enttäuschten Genossenschaftern oder einem Imageproblem nichts wissen. Die Zahl der Austritte sei nur «minimal» gestiegen, teilt die Medienstelle mit. Der Rückgang sei nicht auf vermehrte Austritte zurückzuführen, sondern auf weniger Neueintritte.

Ein Grund dafür seien «Änderungen im Anmeldeprozess». So ist es nicht mehr möglich, sich direkt am Schalter einer Filiale als Genossenschaftsmitglied einzuschreiben. Doch auch der demografische Wandel wird für die Migros zum Problem: «Jüngere Kundinnen und Kunden setzen sich weniger mit dem Genossenschaftsgedanken auseinander», sagt eine Sprecherin.

Zu einem ähnlichen Schluss kommt der Werber Frank Bodin. Er sieht bei der Migros dringenden Handlungsbedarf – vor allem mit Blick auf die jüngere Zielgruppe. «Unsere Erhebungen zeigen, dass die Marke Migros in Zukunft massiv an Wert verlieren könnte. Nur schon der Begriff ‹Genossenschaft› dürfte für junge Ohren ziemlich verstaubt klingen.»

Hinzu kommt ein Wandel im Konsumverhalten: Die jüngere Generation identifiziert sich kaum noch mit Traditionsmarken. Bodin sagt: «Die Zeit der Migros- und Coop-Kinder ist vorbei. Die Jungen kaufen dort ein, wo sie Produkte finden, von denen sie sich angesprochen fühlen.» Entscheidend sei zudem die Nähe: «Der Laden muss um die Ecke sein, sonst geht man zur Konkurrenz.»

Gerade hier habe die Migros in den vergangenen Jahren vieles verpasst, sagt Bodin. Nun aber scheine der Konzern aufholen zu wollen: «Es wird wieder mehr in die Pflege der Eigenmarken investiert. Und auch beim Ausbau des Ladennetzes, bei dem Coop in den vergangenen Jahren die Nase vorne hatte, will das neue Migros-Management nun endlich Gas geben.»

Twint ist beliebter als die Migros

Trotz Fehlern, Versäumnissen und Negativschlagzeilen: Die Migros gehört nach wie vor zu den beliebtesten Marken der Schweiz. Der Dutti-Bonus ist längst nicht verblasst. Doch die Zeiten, in denen das Unternehmen der unangefochtene Liebling der Nation war, sind vorbei.

Im Reputations-Ranking des Marktforschungsinstituts GfK, das seit 2009 in einer Umfrage erhoben wird, verpasste die Migros dieses Jahr zum ersten Mal das Podest. Während das Unternehmen jahrelang auf Platz eins stand, teilweise mit deutlichem Vorsprung, rutschte es 2025 auf Rang vier ab.

Verantwortlich für das Ranking ist die Marktforscherin Anja Reimer. Sie erklärt sich die neue Platzierung so: «Es hat wohl damit zu tun, dass viele Unternehmensentscheidungen der Migros von der Bevölkerung nicht wohlwollend aufgenommen wurden.» Zudem werde dem Unternehmen nicht mehr in gleichem Ausmass bescheinigt, wirtschaftlich erfolgreich zu sein.

Wirtschaftlicher Erfolg und gleichzeitig das Versprechen des «sozialen Kapitals», das den Menschen in den Mittelpunkt stellt: Die Ansprüche an die Genossenschaft Migros sind besonders hoch.

Da hat es die neue Nummer eins im «Swiss Reputation Ranking» deutlich einfacher: Von der Bezahl-App Twint erwarten die Schweizerinnen und Schweizer einzig, dass mit ihrem Geld alles klappt.

Für den Genossenschafter Werner Schawalder ist klar, dass die Migros auch in Zukunft etwas Besonderes bleiben soll. Er sagt: «Die Migros ist mehr als ein Unternehmen, sie ist ein Stück Schweizer Identität.» Genau deshalb wird er der Genossenschaft weiterhin treu bleiben. Aus Überzeugung – und in der Hoffnung, dass die Migros eines Tages wieder näher bei den Menschen sein wird, die sie gross gemacht haben.

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