Sonntag, Oktober 20

Der grösste Lebensmittelkonzern der Welt will zurück zum alten Erfolg. Doch er sitzt auf Produkten aus einer vergangenen Welt.

Morgens ein Kaffee von Nespresso, mittags eine Suppe von Maggi, abends eine Pizza von Buitoni und zum Dessert vielleicht noch ein Kitkat. Manche Menschen ernähren sich wohl täglich von Nestlé, vielleicht, ohne es zu wissen – der Lebensmittelkonzern hat mehr als zweitausend Marken im Portfolio.

Doch Grösse allein verhindert keinen Misserfolg. Nestlé durchlebt schwierige Zeiten. Das Unternehmen aus Vevey hat wichtige Marktanteile verloren, und der Aktienkurs kannte während Monaten nur eine Richtung: nach unten. Seit dem Sommer wächst Nestlé wieder, aber nicht schnell genug.

Das führte Ende August zur Entlassung des CEO Mark Schneider. An seine Stelle trat Laurent Freixe, ein Mann mit fast vierzig Jahren Erfahrung im Konzern. Freixe muss Nestlé wieder dorthin bringen, wo es nach eigenem Verständnis hingehört: einsam an der Spitze, vom Erfolg verwöhnt.

Dafür wird Freixe auch das Sortiment überprüfen müssen. Viele Segmente laufen gut, wie etwa das Kaffee- und das Tierfuttergeschäft. Doch Nestlé führt auch eine Reihe von Produkten, die Probleme bereiten. Eine Übersicht:

Wasser

In fast jedem italienischen Restaurant steht ein Stück Nestlé auf dem Tisch. Die weltbekannten Mineralwasser San Pellegrino und Acqua Panna gehören dem Konzern, ebenso Perrier oder Henniez. Doch Nestlé und das Wasser; es ist kompliziert.

Immer wieder kommt es zu Skandalen, letztmals wegen illegaler Aufbereitungsmethoden und Verunreinigungen. Diesem Reputationsschaden steht die Tatsache gegenüber, dass Nestlé mit dem Mineralwasser kaum Geld verdient. Die Wassersparte trägt mit vier Prozent wenig zum Konzernumsatz bei, und die Margen sind tief.

Nestlé hat sich deshalb bereits von einigen ertragsschwachen Marken getrennt. Doch auch so wird der Druck kaum abnehmen. Man kann sich etwa fragen, wie sinnvoll es ist, Harassen von San Pellegrino um die Welt zu schicken, da die Menschen auch lokales Wasser trinken könnten.

Patrik Schwendimann ist Analyst bei der Zürcher Kantonalbank und langjähriger Nestlé-Kenner. Er sagt: «Das grundsätzliche Problem des Nestlé-Konzerns ist, dass er nicht schrumpfen will.» Schwendimann glaubt, dass man die Wassersparte gerne ganz verkaufen würde – aber dafür muss zuerst eine neue Einnahmequelle her.

Fertiggerichte

Der Superstar unter den Nestlé-Fertiggerichten kommt wahlweise als braune Sauce oder brauner Würfel daher – und ist in jedem Fall sehr salzig. Die Rede ist von Maggi, das nicht nur ein Schweizer Klassiker, sondern auch in Afrika und Indien äusserst beliebt ist. Doch andernorts sind die Umsätze der Fertiggerichte von Nestlé rückläufig.

Hauptgrund dafür ist das Geschäft mit Tiefkühlpizzen in den USA – und das, obwohl Nestlé dort die Nummer eins bei den tiefgefrorenen Lebensmitteln ist. Die grosse Konkurrenz macht es Nestlé jedoch schwer, zu wachsen. Hinzu kommt, dass viele Amerikanerinnen und Amerikaner wegen der Inflation günstigere Produkte bevorzugen.

Und dann ist da noch der Ozempic-Effekt. Besonders in den USA greifen immer mehr Menschen auf Abnehmspritzen zurück. Die Medikamente zügeln den Appetit und verändern den Konsum: mehr Frisches, weniger Fertiggerichte. Und ganz bestimmt keine Pizza aus dem Tiefkühlregal.

Fleischersatzprodukte

Als vor wenigen Jahren reihenweise Fleischersatzprodukte auf den Markt kamen, wollte auch Nestlé dabei sein. Besonders der damalige CEO Mark Schneider propagierte die fleischlose Produktesparte gerne und oft. Unter der Marke Garden Gourmet vertreibt der Konzern vegane Burger, Filetstreifen und Eier.

Doch das Wachstum der Fleischersatzprodukte hat nachgelassen. Auch andere Händler wie Migros und Coop berichten von stagnierenden Verkäufen. Offenbar kann sich ein Grossteil der Konsumenten eine Ernährung ohne Fleisch noch immer nicht vorstellen. Und selbst die Vegetarier sehen den hohen Verarbeitungsgrad vieler Ersatzprodukte oftmals kritisch.

Für den Nestlé-Medienchef Christoph Meier bleibt das Segment trotzdem interessant. Er glaubt, dass es künftig weniger darum gehen werde, Fleisch zu imitieren. Dafür könne Nestlé das Wissen aus diesem Bereich anderweitig einsetzen. «Wir können zum Beispiel mithilfe von Soja den Proteingehalt herkömmlicher Lebensmittel erhöhen.»

Der Nestlé-Experte Patrik Schwendimann glaubt, dass es bisher eine strategische Entscheidung war, in diesem Segment dabei zu sein. «Langfristig müsste Nestlé damit wachsen, eine kritische Grösse erreichen und Geld verdienen. Das ist heute noch nicht der Fall.»

Babynahrung

Säuglingsnahrung, Folgemilch, Kinderbrei: Im Bereich Babynahrung hat Nestlé traditionell eine starke Position. Doch der Geburtenrückgang könnte bald zum Problem werden. In Ländern wie Japan oder Deutschland kommen seit Jahren weniger Kinder zur Welt, was zu einer schrumpfenden Zielgruppe für Babynahrung führt. Es stellt sich die Frage, ob dieses Segment trotz hohen Margen weiterhin eine tragende Säule des Unternehmens sein wird.

Die demografische Veränderung bringt jedoch auch Chancen. Nestlé reagiert darauf, indem es sein Portfolio mit Produkten für ältere Menschen – wie Nahrungsergänzungsmittel und medizinische Ernährung – ausbaut. Die Sparte «Health Science» könnte langfristig das Babynahrungsgeschäft teilweise ersetzen.

Zucker

Das Geschäft mit Süsswaren ist für Nestlé eine bittersüsse Angelegenheit. Marken wie Kitkat, Smarties oder After Eight bringen zuverlässig positive Wachstumszahlen, selbst wenn in jüngster Zeit die Gewinne wegen höherer Kakaopreise gesunken sind.

Doch die zuckerhaltigen Produkte schaden der Reputation von Nestlé. An der diesjährigen Generalversammlung forderte eine Aktionärsgruppe etwa, dass der Konzern seinen Anteil an ungesunden Nahrungsmittel reduziert.

Für den Kommunikationschef Christoph Meier bleibt das Zuckergeschäft aber ein wichtiger Bereich. Entscheidend sei es, dass der Mensch Süssigkeiten massvoll konsumiere. Denn eines lässt sich nicht ändern: «Eine Tafel Schokolade wird nie ein Kopfsalat werden.»

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