Lange haben Politiker und Banker steigende Preise unterschätzt. Doch diese haben enorme Auswirkungen auf die Demokratie, wie neue Daten aus den USA zeigen.
Harris oder Trump, das ist hier die Frage. Kann ein 78-Jähriger wieder zum Präsidenten gewählt werden, der den Sturm auf das Kapitol mitzuverantworten hat, Sympathien für Diktatoren hegt, Amerikas transatlantische Führungsrolle infrage stellt, Abtreibung verbieten lassen will, wenig von strikter Gewaltentrennung und einem unabhängigen Justizsystem hält und immer wieder Lügen verbreitet und ausfällig wird?
Trump gilt wirtschaftlich als kompetenter
Die Antwort wird nicht davon abhängen, ob eine Mehrheit der amerikanischen Wähler Donald Trump für sympathisch hält. Trump wird siegen, wenn die unentschiedenen Wähler in der Mitte ihn in jenen Themen für kompetenter als Kamala Harris halten, die ihnen gerade am wichtigsten erscheinen.
Eine vom Meinungsforschungsinstitut Gallup in der zweiten Hälfte des Septembers durchgeführte Umfrage zeigt: Am meisten liegt den Wählern diesmal die Wirtschaft am Herzen. «It is the economy, stupid» – «Es geht um die Wirtschaft, Dummkopf» – gilt sogar noch deutlich stärker als bei der Wiederwahl von Bill Clinton 1996, als dieser den Spruch prägte. Damals bezeichneten 38 Prozent der Befragten «die Wirtschaft» als extrem wichtig für ihren Wahlentscheid. Heute sind es 52 Prozent.
Den Immobilien-Tycoon halten die Wähler in wirtschaftlichen Fragen für fähiger als die Rechtsanwältin. 54 Prozent glauben, dass Trump mit wirtschaftspolitischen Fragen besser umgehen würde als seine Konkurrentin, nur 45 Prozent sehen Harris im Vorteil.
Die Teuerung senkt die Stimmung nachhaltig
Das muss nicht zwingend heissen, dass Trump gewählt wird. Auch der Zustand der Demokratie, die nationale Sicherheit oder die Bekämpfung des Terrorismus sind vielen Wählern extrem wichtig. Aber wenn Trump gewinnt, wird ihm das Wirtschaftsthema zum Sieg verholfen haben.
Was dieses Wirtschaftliche wohl ist, zeigt sich am Zusammenhang zwischen der Konsumentenstimmung und der Inflation.
Jeder Inflationsschub hat der Stimmung in der amerikanischen Bevölkerung in den vergangenen zwanzig Jahren jeweils deutlich Abbruch getan. Die Konsumenten wurden hingegen nur langsam wieder zuversichtlicher, wenn sich die Teuerung zurückbildete. Das liess sich in der grossen Finanzkrise beobachten und zeigte sich in der Pandemie. Durchaus möglich, dass Covid-19 Trump 2020 die Wiederwahl kostete.
Doch mit den nachhallenden Folgen der Pandemie kämpfen nun auch Joe Biden und seine Vizepräsidentin Kamala Harris. Lieferengpässe und (zu) grosszügige staatliche Zuwendungen haben die Preise hochschnellen lassen. Die im Zeichen des russischen Überfalls auf die Ukraine gestiegenen Energiepreise verschärften den Teuerungsschub noch.
Seit dem Sommer 2022 sinkt die Inflationsrate wieder. Doch was Zentralbanker und die meisten Politiker unterschätzen, wenn sie sich erfolgreich in der Inflationsbekämpfung wähnen: Konsumenten verstört, dass die Preise deswegen immer noch viel höher sind und weiter steigen. Seit der Wahl von Joe Biden im November 2020 hat sich das Preisniveau in den USA um 21 Prozent erhöht.
Zwar hat sich auch der durchschnittliche Stundenlohn um knapp 20 Prozent erhöht. Doch erstens profitieren nicht alle Gesellschaftsschichten gleichermassen davon. Wo gewerkschaftliche Verhandlungen den Lohn bestimmen, vergeht oft besonders viel Zeit, bis eine Anpassung erfolgt. Und zweitens wirkt die gefühlte Teuerung, wenn manche Alltagsgegenstände nach einer langen Periode relativer Preisstabilität plötzlich grosse Preissprünge machen, höher, als der Preisanstieg im Durchschnitt tatsächlich ist. Der Schock sitzt tief, löst Unsicherheit und Zukunftsängste aus. Das führt zu Verdruss über die herrschende Politik und fördert die Radikalisierung und die Polarisierung.
Das zeigt sich auch in den ausgeprägten Unterschieden zwischen der Konsumentenstimmung beim oberen, mittleren und unteren Drittel der Befragten. Seit die Inflation zurückgegangen ist, hat sich die Stimmung nur beim oberen Drittel der Befragten deutlich erholt. Vor allem das untere Drittel, aber auch die Mitte und damit vermutlich die Median-Wähler bleiben vorerst pessimistisch.
Interessantes zeigen auch die Erhebungen zum Konsumentenvertrauen des US Conference Board. Die äusserst grosszügigen Unterstützungsgelder und Subventionen, welche die «Bidenomics» verteilt hat, sind nicht ohne Wirkung geblieben. Mit Blick auf ihre gegenwärtige Lage sind die Amerikaner nämlich wieder durchaus optimistisch. Doch die Zukunft schätzen sie deutlich pessimistischer ein. Dazu passt, dass die durchschnittliche Inflationserwartung mit 5,3 Prozent auf hohem Niveau verharrt, obwohl die Teuerung der Konsumentenpreise auf 2,4 Prozent gesunken ist.
Deshalb sei folgende These gewagt: Sollte Trump die US-Wahlen gewinnen, so verdankt er das der Inflation. Er würde nicht wegen, sondern trotz seinem persönlichen Auftreten gewählt.
Inflationstreibende Ideen haben beide
Über die US-Wahlen hinaus zeigt das Beispiel, dass Notenbanker und Politiker die mittelfristigen Schäden von hoher Inflation und Teuerungsschüben ernster nehmen sollten.
In den USA zeigt sich, was auch für Deutschland und ganz Europa gilt: Es genügt nicht, die Inflation nach einem kräftigen Teuerungsschub, wie ihn die Amerikaner in den vergangenen Jahren erlebt haben, kurzfristig wieder in die Nähe von 2 Prozent zu drücken. Erst eine längere Periode anhaltender Preisstabilität kann die verlorene Zuversicht wieder zurückbringen. Dazu sollte eine stabilitätsorientierte Fiskalpolitik ihren Teil beitragen. Dass die Inflation in den USA so hartnäckig hoch blieb, ist wesentlich auf die ungezügelte Ausgabenfreude sowohl der Regierung von Trump als auch jener von Biden zurückzuführen.
Mit Blick auf das Wahlprogramm der beiden Kandidaten lässt die chronische Unterschätzung der Inflationsgefahren wenig Gutes erahnen:
- Trumps Protektionismus und Steuersenkungen. Die angekündigten zusätzlichen Zölle werden die inländischen Preise anheben und längerfristig die Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Industrie schwächen. Zolleinnahmen werden Einnahmeausfälle durch geplante Steuersenkungen nicht kompensieren können, das Haushaltsdefizit dürfte weiter unverantwortlich hoch bleiben. All das wirkt inflationstreibend. Die amerikanische Notenbank müsste mit Zinserhöhungen gegensteuern, was den Dollar stärken würde. Doch es ist nicht ganz klar, ob das Fed unter Trump dazu die notwendige Unabhängigkeit wahren könnte. Immerhin würde sich das Zurückstutzen der staatlichen Bürokratie, das Trump versprochen hat, positiv auf das Wirtschaftswachstum auswirken. Zudem hat sich Trumps euphorischer Unterstützer Elon Musk als Anhänger einer rigiden Austeritätspolitik zu erkennen gegeben. Sollte er sich damit in einer nächsten Regierung Trump durchsetzen können, würde das die wirtschaftlichen Aussichten und das Vertrauen in die USA mittelfristig stärken.
- Harris’ Interventionismus. Die (linkslastigen) wirtschaftlichen Vorstellungen der gegenwärtigen Vizepräsidentin sind weniger prononciert und bekannt als die von Trump. Ihre Idee, der Teuerung mit staatlichen Preisvorschriften zu Leibe zu rücken, müsste sich kontraproduktiv auswirken. Künstlich gesenkte Preise würden zu einer Verknappung des Angebots bei steigender Nachfrage führen und damit mittelfristig erst recht inflationstreibend wirken. Zudem scheint Harris die unter Biden ausgiebig gepflegte Freude am Verteilen von Subventionen zu teilen. Sie verspricht zwar weniger Steuersenkungen als Trump, scheint sich aber über unausgeglichene Staatsfinanzen ebenfalls nicht sonderlich Sorgen zu machen. Auch das wirkt preistreibend. Das Fed müsste mittelfristig wohl ebenfalls die Zinsen anheben. Immerhin scheint Harris etwas weniger geneigt, auf Handelsbilanzdefizite grossflächig mit extremen Zollerhöhungen zu reagieren oder die Unabhängigkeit der amerikanischen Zentralbank einzuschränken.
Wenn Trump gewählt wird, wird er das der Hoffnung verdanken, dass es mit ihm wirtschaftlich besser wird, als es mit der unter Biden erlebten Teuerung war, unter der gerade die weniger Begüterten in den vergangenen Jahren besonders gelitten haben. Die Wirksamkeit von Trumps und Harris’ Ansatz, die Amerikaner zu stärken und zu versöhnen, hätte im Vergleich zum Verdruss über die Teuerung eine sekundäre Rolle gespielt. Allen Inflationsverharmlosern sollte das eine Lehre sein.