Montag, Januar 13

Das Schweizer Gesundheitswesen ist zu teuer. Aber die Medix-Ärztenetzwerke haben ein Gegenmittel gefunden: Sie geben den Medizinern eine Mitverantwortung fürs Budget.

Das Schweizer Gesundheitssystem hat ein Problem: Es wird viel zu viel gemacht. Laut Experten sind 30 Prozent der Gesundheitskosten reine Verschwendung. Die Überversorgung äussert sich darin, dass unnötige Untersuchungen vorgenommen, vorschnell Spezialisten konsultiert oder zu teure Medikamente verschrieben werden.

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Mehr Behandlungen, mehr Geld

An der Überversorgung tragen die Ärzte eine Mitschuld. Im gegenwärtigen System haben sie kaum einen Anreiz zu sparen. So wird die Arbeit von Hausärzten und ambulanten Spezialisten nach dem sogenannten Einzelleistungstarif vergütet: Für jeden einzelnen Behandlungsschritt erhalten sie einen festen Betrag. Sie verdienen also mehr, wenn mehr gemacht wird.

Das Angebot kreiert seine eigene Nachfrage. Das zeigt sich in der Schweiz: Beispielsweise sind in den Kantonen Basel-Stadt und Genf, wo die Dichte der Ärzte und Spitäler besonders hoch ist, auch die Gesundheitskosten pro Kopf hoch. Die Bevölkerung in Basel und Genf bezahlt deshalb fast doppelt so hohe Krankenkassenprämien wie beispielsweise jene in Appenzell-Innerrhoden.

Ärzte mit Budgetverantwortung

Wie kann man dafür sorgen, dass die Ärzte auf die Kosten achten? Eine Antwort darauf hat das Ärztenetzwerk Medix gefunden. Das vor über 25 Jahren gegründete Netzwerk vereinigt mittlerweile rund 900 Ärzte mit über 500 000 Patienten und ist damit der grösste Anbieter von hausärztlich koordinierter Versorgung in der Schweiz. In diesem Versorgungsmodell sind die Hausärzte (die heute meist in Gruppenpraxen arbeiten) die erste Anlaufstelle und Vertrauensperson für die Patienten, sie steuern deren Versorgung.

Das Besondere an Medix ist, dass die Ärzte eine Mitverantwortung fürs Budget tragen. Wenn das Netzwerk bestimmte Kostenziele erreicht, erhalten die Ärzte einen Bonus von 5 bis 15 Prozent zusätzlich zu ihrem Grundgehalt. Das Modell scheint zu wirken: «Wir haben in unseren Netzwerken bis zu 20 Prozent tiefere Kosten als in anderen Versorgungsmodellen, wie Studien belegen – und vor allem eine bessere Behandlungsqualität», sagt Leander Muheim, Vizepräsident von Medix Schweiz und selbst praktizierender Allgemeininternist.

Reden ist Gold

Ein Bonus für Ärzte – das klingt gewöhnungsbedürftig. Muheim räumt im Gespräch gleich mit Missverständnissen auf. «Kein Arzt bei uns hat einen finanziellen Anreiz, direkt an einem Patienten zu sparen. Zusätzliche Vergütungen gibt es nur für das Erreichen von Qualitätszielen. Der Arzt sitzt nie vor einem Patienten und muss sich überlegen, ob er ihm eine Darmspiegelung vorenthalten soll, weil er dann Ende Jahr einen höheren Lohn hätte.»

Ein solches Anreizsystem wäre laut Muheim falsch. «Es würde in eine Unterversorgung führen – so, wie der Einzelleistungstarif in eine Überversorgung führt.» Die Medix-Netzwerke setzten deshalb auf eine Mischform aus Einzelleistungstarif und Kostenmitverantwortung, womit sich beide Elemente in Schach hielten.

Wie die Medix-Netzwerke Kosten sparen, verdeutlicht Muheim an einem Beispiel. Wenn ein Patient mit einem Symptom zu einem Arzt kommt, gibt es verschiedene Vorgehensweisen. In der Logik des normalen Einzelleistungstarifs ist es am wirtschaftlichsten, möglichst kurze Gespräche zu führen und zahlreiche Untersuchungen, Labortests und Überweisungen zu veranlassen. So lässt sich die Anzahl der Patienten erhöhen und das Einkommen verbessern. Irrtümlicherweise hätten auch viele Patienten das Gefühl, sie seien besser betreut, wenn vor allem viele Tests gemacht würden. «Aber oft hat man dann viel Geld ausgegeben, und man weiss immer noch nicht, was der Patient hat», sagt Muheim.

Die Medix-Ärzte wählen einen anderen Weg. Wichtig ist laut Muheim, dass die Ärzte ihre Patienten bereits gut kennen, weil sie bei ihnen langfristig im Hausarztmodell eingeschrieben sind. Zudem setzten die Medix-Ärzte aufs Gespräch. «Ich will möglichst nur schon von genauem Zuhören wissen, was ein Patient hat. Allenfalls ordne ich noch den einen Test an, der mir idealerweise bestätigt, was ich vermutet habe.» Diese Überlegungen würden geschärft, wenn auch die Ressourcen eine Rolle spielten. Kostenmitverantwortung fokussiere auf die Frage, was der beste Weg für den Patienten sei. Es sei auch aus ethischer Sicht richtig, wenn Ärzte so vorgingen, meint Muheim. «So stellen wir häufiger und schneller die richtige Diagnose.»

Bonus hängt von Qualitätsmassen ab

Einsparungen erzielen die Medix-Ärztinnen und -Ärzte mithin über verschiedene Kanäle. Sie überweisen nur wenn nötig an einen Spezialisten. Sie achten darauf, möglichst Generika statt Originalmedikamente zu verschreiben. Bei chronisch Kranken wird darauf geschaut, dass man sie kontinuierlich begleitet, denn solche Fälle können nur auf Basis einer vertrauensvollen Beziehung gut behandelt werden, wie Muheim sagt. Dank der sorgfältigen Betreuung müssten die Patienten um 10 Prozent weniger häufig ins Spital eingewiesen werden als in anderen Versorgungsmodellen.

Von den Einsparungen profitiert der einzelne Arzt nicht direkt. Sein Bonus bemisst sich danach, ob er bestimmte Qualitätsziele erreicht. Nimmt ein Arzt an wöchentlichen Qualitätszirkeln teil, wo über eine gute Hausarztmedizin diskutiert wird? Betreut er besonders viele chronisch kranke Patienten? Nimmt er Abklärungsschritte bei Diabetikern gewissenhaft vor? Verschreibt er konsequent Generika? Wenn ein Arzt viele dieser Kriterien erfüllt, kann sein Bonus bis zu 15 Prozent erreichen. Wenn es nur wenige sind, liegt er bei 5 Prozent.

Patienten profitieren von Prämienrabatten

Und was haben die Patienten davon? Zum einen profitieren sie vom Spareffekt. Um die Höhe der Einsparungen zu berechnen, vergleichen die Krankenversicherer die Kosten der Medix-Patienten mit den Kosten anderer Patienten, die nicht in einem solchen Hausarztmodell versichert sind, aber sonst gleiche Krankheitsrisiken haben. Von den so ermittelten Einsparungen gehen laut Muheim rund 93 Prozent zurück an die Versicherten – in Form von Prämienrabatten. Dank ihnen zahlen Versicherte in Managed-Care-Modellen tiefere Krankenkassenprämien als solche im Standardmodell mit freier Arztwahl.

Die restlichen Einsparungen teilen die Krankenversicherer und die Ärztenetzwerke unter sich auf. Rund 5 Prozent gehen an die Medix-Netzwerke. Sie richten von diesem Geld die Boni an ihre Ärzte aus. Die moderate Beteiligung reicht aus, damit im Gesundheitswesen substanzielle Einsparungen erzielt werden können.

Zum andern können die Patienten von einer besseren Betreuung profitieren, wenn die Ärzte eine Mitverantwortung für Qualität und Kosten tragen. Im heutigen System mit dem Einzelleistungstarif ist es für Ärzte an sich attraktiver, sich um unkomplizierte Fälle zu kümmern. Mit der Behandlung von drei Schnupfenpatienten innerhalb von 30 Minuten verdienen sie mehr, als wenn sie eine halbe Stunde lang mit einem chronisch Kranken reden. Dass Letzteres trotzdem passiert, liegt daran, dass viele Ärzte immer noch intrinsisch motiviert sind, sich um das Wohl der Patienten zu kümmern.

Bei den Modellen mit Budgetverantwortung erhalten die Ärzte jedoch auch einen finanziellen Anreiz, die langfristige Gesundheit ihrer Patienten im Blick zu haben. Wenn diese weniger krank werden, lohnt sich das für das Ärztenetzwerk. Damit ist ein fundamentales Umdenken verbunden. Die Mediziner verdienen nicht daran, wenn die Leute krank sind und viel behandelt werden – sondern wenn sie möglichst gesund sind.

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