Ein neuer Dokumentarfilm erinnert an Steppenwolf. Die kanadisch-amerikanische Band zählte zu den Hardrock-Pionieren. Aber ein einziger Hit ist ins kollektive Gedächtnis eingegangen.

Weshalb spielten sie in Boston statt in Woodstock? Es gibt eine Szene in Oliver Schwehms neuem Dokumentarfilm «Born to Be Wild. Eine Band namens Steppenwolf», in der sich die inneren Gegensätze der Hardrock-Pioniere exemplarisch zeigen: Nick St. Nicholas, der Bassist und Hippie der Band, hält einen Vertrag in der Hand für einen Auftritt Mitte August 1969 in Boston – am Wochenende, an dem das Woodstock-Festival stattfand. Der Musiker schaut indigniert in die Kamera und kann es noch immer nicht fassen, dass man bei Steppenwolf das geschichtsträchtige Open Air hat sausen lassen, nur weil in Boston eine bessere Gage geboten wurde.

Das ist allerdings bloss die halbe Wahrheit. Dass man Woodstock verpasste, lag auch am Steppenwolf-Sänger John Kay, der die Hippie-Kultur mit ihren Love-and-Peace- und Back-to-the-Nature-Flausen nicht ernst nahm. Eine hübsche Utopie, aber eben doch nur eine Utopie. Tatsächlich hatte die Band an diversen anderen Festivals bereits unangenehme Erfahrungen gesammelt mit zugedröhnten «acidheads», die eine Grossveranstaltung organisieren sollten.

Zwei Gegenspieler mit deutschen Wurzeln

Sowohl bei Nick St. Nicholas wie bei John Kay handelt es sich um einen Sohn deutscher Eltern, die nach dem Krieg in Kanada eine neue Existenz aufbauten. In den individuellen Vorlieben der beiden gegensätzlichen Steppenwolf-Mitglieder aber zeigt sich, wie sich die amerikanische Gegenkultur Ende der sechziger Jahre ausdifferenzierte.

St. Nicholas alias Klaus Karl Kassbaum stand eben für die idealistische, verträumte, von psychoaktiven Substanzen aufgeheiterte Haight-Ashbury-Fraktion. John Kay alias Joachim Fritz Krauledat gab den Rocker in schwarzem Leder mit sinistrer Sonnenbrille. Spätestens als Dennis Hopper und Peter Fonda auf ihren Harley-Choppern zu «Born to Be Wild» über den US-Highway donnerten, avancierte er zur Galionsfigur von Steppenwolf.

Der Underground-Film «Easy Rider» wurde zum weltweiten Kinoerfolg, seine Popularität strahlte zurück auf Steppenwolf. Von nun an kannte alle Welt die kanadisch-amerikanische Band. Aber der Ruhm hatte seinen Preis. Die Musiker bekamen das Image von Bikern angehängt. Sie wurden von den Hells Angels adoptiert, die sich als ihre schlagkräftige Security-Einheit aufspielten.

Ein Missverständnis. Der ehemalige Leadgitarrist Mars Bonfire, der «Born to Be Wild» geschrieben hat, besass gar kein Motorrad. Ein gebrauchter Ford Falcon reichte ihm, um durch die kalifornischen Valleys zu kurven. Am eigenen Leib spürte er so das mythische Freiheitsversprechen der USA, aus dem er sofort einen Song machte. «Born to Be Wild» ist eigentlich ein in Verse gegossenes Extrakt von Jack Kerouacs Beat-Roman «On the Road». Erst «Easy Rider» machte den Song zur Biker-Hymne – und Steppenwolf zu Motorrad-Rockern.

Diese Vereinnahmung schwächte freilich Nick St. Nicholasʼ Bedeutung in der Band. Er habe sich nicht damit abfinden wollen, als «USA Black Leather Marching Band» herumgereicht zu werden, erzählt er nun in Oliver Schwehms Dokumentation. Eine Weile toleriert John Kay St. Nicholas’ genderfluide Exzentrik. Als der Bassist 1971 aber im «Fillmore East» als männliches Playboy-Bunny, nur mit einem Schlüpfer und Hasenohren bekleidet, auf die Bühne kam, wurde er vom Sänger gefeuert. Selbst John Kay fühlte sich aber mit der Zeit eingeengt von der Rocker-Kluft. Anfang der siebziger Jahre löste er Steppenwolf auf, um sich einer Solokarriere zu widmen, die ihn wieder mit seinen musikalischen Anfängen verband.

Noch vor seiner Emigration nach Amerika war John Kay mit dem archaischen Rock’n’Roll eines Little Richard in Berührung gekommen. Später, an der Quelle, arbeitete er sich systematisch durch das amerikanische Songbook der Schwarzen, der Arbeiter und Renegaten, für die Musik immer auch ein Aufbegehren gegen politische und gesellschaftliche Unterdrückung war. Diesen aktivistischen Impuls der Blue-Collar-Tradition trug er hinein in die Band.

Zum Beispiel in «Monster/Suicide/America», Kays Generalabrechnung mit den USA. Hier erscheint Vietnam nicht als Ausnahme, sondern als Normalfall einer gewaltsamen Eroberungsgeschichte, die mit der Ermordung der indigenen Bevölkerung begann. Kriegsdienstverweigerer im ganzen Land hörten sich diesen Song an und verbrannten angeblich gleichzeitig ihre Einberufungsbescheide.

Nach seiner kurzen, von den Kritikern zwar freundlich begleiteten, aber kommerziell scheiternden Solokarriere stellte Kay zwar noch einmal eine neue, veränderte Steppenwolf-Besetzung zusammen. Mitte der Siebziger jedoch zählt die Band zum alten Eisen. Die Musiker versuchen einiges, um ihren Sound dem gewandelten Zeitgeist anzupassen. Sie verkleiden sich als Glam-Rock-Superhelden, adaptieren später sogar Funk, Prog- und Jazz-Rock. Aber die Öffentlichkeit identifizierte Steppenwolf viel zu sehr mit der Gegenkultur der Spät-Sechziger, als dass sie ihnen solche Image-Transformationen abnehmen mochte.

Ein Revival-Act

Und wenn man mal von frühen Geniestreichen wie «Born to Be Wild», «The Pusher» oder «Magic Carpet Ride» absieht, fehlte Steppenwolf auch die musikalische Originalität, um sich dauerhaft durchzusetzen. Überdies brauchte Kay nun eine Pause. Zu «Skullduggery» (1976), dem letzten Steppenwolf-Album vor der neuerlichen Auflösung, trug er keine Songs mehr bei.

Nach einer mehrjährigen Auszeit, die sein alter Kontrahent Nick St. Nicholas nutzte, um mit New Steppenwolf die Nostalgiker bei Laune zu halten, revitalisierte Kay in den Achtzigern noch einmal den guten Namen, um mit diversen Besetzungen weitere Alben aufzunehmen.

Anders aber als Black Sabbath, Deep Purple oder Uriah Heep gelang es nicht, nochmals Anschluss zu finden an die jüngere, durchaus traditionsbewusste Hardrock-Szene. Steppenwolf mutierte zu einem Revival-Act; neue Aufnahmen erwiesen sich stets bloss als Anlass, wieder mal auf Tour zu gehen und «Born to Be Wild» zu spielen.

Der Song ist das Vermächtnis. Entsprechend wurde nicht die Band in die Rock’n’Roll Hall of Fame aufgenommen, sondern ihr exorbitanter Hit. Seine Anschlussfähigkeit ist aber auch bemerkenswert. Als der erste Mars-Rover 2012 die Rampe des Raumschiffs hinunterrollt, lässt die Nasa sich die Gelegenheit nicht entgehen und unterlegt den Film mit dem bekannten Score: «Get your motor runnin’ / Head out on the highway / Lookin’ for adventure / And whatever comes our way» – bring den Motor zum Laufen, fahre zur Autobahn, mach dich bereit für Abenteuer und was auch immer auf uns zukommt.

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