Axel Milberg verabschiedet sich vom Kieler «Tatort». Er wird fehlen.
Plötzlich ist alles wieder da. Der Ekel, das Schaudern, die Angst. Klaus Borowski (Axel Milberg) sitzt in einem Kieler Meldeamt, ist völlig überfordert und starrt auf ein Bild. Ein Mitarbeiter des Amts hat die Schwarz-Weiss-Fotografie an die Wand gepinnt. An dem Haus, das sie zeigt, war Borowski bereits als Knabe immer wieder vorbeigelaufen und hatte sich gegruselt.
Nun ist das Haus zurück und mit ihm das Gefühl der Bedrohung. Der Mitarbeiter aber ist verhindert, seit Tagen war er nicht mehr im Amt. Im Urlaub sei er gewesen, sagt die Kollegin. Habe sich dann krankgemeldet, fügt der Kollege hinzu. Alle seien sie überarbeitet, zumal zwei junge Kolleginnen kürzlich, eine nach der anderen, verstorben seien. «Merkwürdiger Zufall», findet Borowski – und hat seinen neuen Fall.
Der Fall aber ist gar keiner. Der Zuschauer kennt den Mörder, kennt die Tat, weiss, was mit der Leiche geschehen ist. Als bitterböse Groteske hat der Regisseur Lars Kraume gleich am Anfang den beklemmenden Befreiungsschlag des Nägel kauenden Muttersöhnchens Robert Frost (August Diehl in seinem ersten «Tatort») von seiner tyrannischen Domina-Mutter (Corinna Kirchhoff) inszeniert. Grossartiges Schauspiel.
Wie damals mit Eidinger
Borowski bricht dann in das Haus ein und wird als Verbrecher von der Polizei abgeführt. Das rettet dem Kommissar das Leben. Denn Frost ist noch im Haus – und hat gar nicht vor, mit dem Morden aufzuhören. Der Psychothriller beginnt, der Kommissar kennt sich aus mit vergleichbaren Soziopathen. Zwischen 2012 und 2021 spielte Lars Eidinger in drei Fällen den Frauenmörder Kai Korthals, der Borowski immer wieder entwischte. Geschrieben hatte diese Fälle Sascha Arango. Auch für die schaurigen Frost-Momente in «Borowski und das Haupt der Medusa» ist der Autor verantwortlich.
Während das grausame Muttersöhnchen sich mit dem abgetrennten Kopf der Mutter in der Tasche eine neue Bleibe sucht und als genialer IT-Spezialist den Ermittlern stets einen Schritt voraus ist, setzt Borowski seine eigenwilligen Methoden ein, um den Psychopathen aus seinem Versteck zu locken – gegen die Zweifel seiner Kollegin Sahin (Almila Bagriacik) und gegen die Anordnungen seines Chefs Schladitz (Thomas Kügel).
Eigentlich könnte sich Borowski zurücklehnen. Vier Tage hat er noch bis zur Rente. Könnte seine Weltreise planen, sich den Tagträumen an seine grosse Liebe Frieda Jung (Maren Eggert) hingeben. Könnte das Kommissar-Dasein lassen. Sich aber im Reisebüro die «ideale, optimale Super-Dooper-Weltreise» zusammenstellen zu lassen, ist nicht Borowskis Ding.
Der Schluss ist geheim
Axel Milbergs Abschied von seinem ungelenken Kommissar, der 44 Fälle lang dem «Tatort» aus dem Norden meist den Titel gab, gerät so, wie er für diese entrückte Figur geraten musste: leise und doch mit einem «Knall», wie es Arango in der Pressemitteilung des NDR ausdrückt. Die letzten Filmminuten hält der Sender bis zur Ausstrahlung am Sonntag geheim. «Wie der Krimi mit Borowski endet, soll eine Überraschung bleiben», heisst es in einer Einblendung kurz vor Schluss der Vorabversion für die Presse.
Da sind sich Frost und Borowski bereits begegnet, haben Worte gewechselt. Es geht um Leben und Tod, während auf dem Kommissariat alle mit Sahnetorte und Ballonen auf den Ermittler warten. Er werde ihr fehlen, sagt Mila Sahin. Das wird er nicht nur ihr.
«Tatort» aus Kiel: «Borowski und das Haupt der Medusa», am Sonntag, 20.05/20.15 Uhr, SRF 1 / ARD.