Mittwoch, Januar 15

Nach dem 2:4 beim Aufsteiger stellen die Klubverantwortlichen des BVB wieder einmal Grundsätzliches infrage. Dabei waren im Herbst noch gute Ansätze zu sehen gewesen.

Der blanke Horror sprach aus den Gesichtern der Klubverantwortlichen von Borussia Dortmund. Sie sollten am Dienstagabend eine Niederlage analysieren, die sich in besseren Phasen leicht begründen liesse. So ein Auswärtsspiel im Januar bei Holstein Kiel auf einem zerfurchten Rasen, der schnelle Kombinationen unmöglich macht, ist für jedes Fussballteam, das seine Gegner spielerisch dominieren will, eine Herausforderung.

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Ausserdem grassiert ein Virus im BVB-Kader, mehrere Spieler lagen die Tage zuvor krank im Bett, und der Fussballzwerg berauschte sich im Laufe der 4:2 gewonnenen Partie an der wachsenden Verzweiflung der Gäste. Diese Art der Sensation gehört zu den Klassikern des Fussballs, die sich Saison für Saison in anderen Ausprägungen wiederholen. Was aber ganz und gar nicht klassisch klang, waren die Erklärungen der Dortmunder für ihren Untergang an der Ostseeküste.

«Beschämend» sei der BVB aufgetreten, sagte der Trainer Nuri Sahin und verkündete: «Ich bin sprachlos, ich bin fassungslos, wie wir so eine Leistung bringen können.» Der Captain Emre Can merkte an, dass so ein Auftritt auch «etwas mit Ehre zu tun» habe, und der Sport-Geschäftsführer Lars Ricken griff die Spieler sogar frontal an: Es sei «etwas Besonderes, für Borussia Dortmund zu spielen», sagte er, deshalb sei es «peinlich und unwürdig, wie wir die schwarz-gelben Farben repräsentieren». Offenbar sind im Klub ernsthafte Zweifel am Charakter dieser Mannschaft entstanden.

Löst ein Trainerwechsel wirklich die Probleme?

Die Dortmunder mussten schon andere schwierige Momente in der laufenden Bundesligasaison überstehen, gerade auswärts, wo sie während der gesamten Hinrunde nur ein einziges Mal gewonnen haben. Und sie haben auch schon ähnlich schlecht gespielt. Doch in rhetorischer Hinsicht war diese letzte Partie der Hinrunde nicht nur ein Höhepunkt, sondern womöglich auch ein Kipppunkt. In Dortmund stellen die Verantwortlichen traditionell spätestens dann Grundsatzfragen, wenn die Qualifikation für die Champions League in Gefahr gerät. Dieser Punkt scheint nun erreicht. «So geht es nicht weiter», sagte der Captain Can.

Fans und Experten spekulieren längst über die Möglichkeit eines Trainerwechsels, ohne dass jedoch klar ist, ob das zur Problemlösung beiträgt. Denn nach aussen macht Sahin grundsätzlich einen guten Eindruck, und die fussballerischen Fortschritte, eine klarere Idee im Spiel mit Ball waren immer wieder erkennbar in der ersten Saisonhälfte. Ausserdem waren einflussreiche Spieler im Kader keinesfalls unglücklich, als Edin Terzic im Mai zurücktrat und der Assistenztrainer Sahin zum Chefcoach befördert wurde. Würde da ein anderer Coach wirklich besser passen? Und wer stünde zur Verfügung?

Bis zum nächsten Spiel, das bereits am Freitagabend auswärts gegen Eintracht Frankfurt stattfindet, wird Sahin in jedem Fall bleiben. Und diesem unberechenbaren Dortmunder Team ist sogar zuzutrauen, dass es dort mit einem Sieg wieder für etwas Ruhe sorgt. Doch der Schaden der Kiel-Reise wird länger nachwirken, weil er für interessante Einblicke sorgte.

Ricken, der vor dieser Saison den Sportbereich von dem im kommenden Sommer endgültig scheidenden Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke übernommen hat, macht in der Krise keinen überzeugenden Eindruck. Der gebürtige Dortmunder verbreitet eher Panik als das Gefühl, die Hebel zu kennen, die nun betätigt werden sollten. Der Appell an die Spieler, sie sollten es wertschätzen, für den grossen BVB zu spielen, der gerade ziemlich klein erscheint, wirkt nachgerade verzweifelt.

Auch Sahin lässt Verzweiflung und Ratlosigkeit erkennen. Und der Sportdirektor Sebastian Kehl, der Hauptverantwortliche für die Kaderplanung, hat eine Mannschaft zusammengestellt, der im Herbst zugetraut werden durfte, die anfänglichen Probleme zu überwinden und in den Flow eines echten Erfolgsteams hineinzufinden. Die Ansätze waren da. Doch statt einer guten Entwicklung hat ein Prozess des Zerfalls eingesetzt, der weit über das Sportliche hinaus zu wirken droht.

Leverkusen, Leipzig und Frankfurt drohen vorbeizuziehen

Im Machtgefüge des deutschen Klubfussballs war der BVB seit 2011 die unangefochtene Nummer zwei, errang zwei Meistertitel, war sieben Mal Zweiter und verpasste nur einmal die Qualifikation für die Champions League. Dieser Status als erster Bayern-Verfolger bröckelt nun. Weil RB Leipzig sich als Champions-League-Klub etabliert hat und nun auch noch auf die Expertise von Jürgen Klopp zählen kann. Weil mit der Frankfurter Eintracht ein Traditionsklub mit enormem ökonomischem Potenzial immer heller leuchtet. Und weil Bayer Leverkusen momentan nicht nur besser und erfolgreicher spielt, sondern auch wirtschaftlich prosperiert.

Laut einer Auswertung von Statista beträgt der Kaderwert der Leverkusener in dieser Saison 609,6 Millionen Euro, der von Borussia Dortmund 473,1 Millionen. Das deutet darauf hin, dass die Rheinländer im für sämtliche deutschen Klubs hinter dem FC Bayern existenziell wichtigen Geschäftsfeld der Spielerverkäufe besser aufgestellt sind als der BVB. In diesem oder im nächsten Jahr dürfte Florian Wirtz für mindestens 150 Millionen Euro transferiert werden. Die Frankfurter arbeiten an einem Verkauf von Omar Marmoush an Manchester City, der 80 Millionen Euro einbringen soll. Solche Deals gibt das Kader des BVB zurzeit nicht her. In dieser Situation auch sportlich abzustürzen, wäre für die Dortmunder nur schwer zu verkraften.

Überlegungen dieser Art begegnen die Dortmunder immer wieder – mit Verweis auf die erst am letzten Spieltag verpasste Meisterschaft 2023 und den verpatzten Champions-League-Final 2024. Die Klubverantwortlichen entgegnen jeweils, so schlecht könne es nicht bestellt sein um einen Klub, der erst vor kurzen derart erfolgreich war. Doch gemäss einer alten Fussballweisheit ist es die Bundesliga-Tabelle, die das ehrlichste und am wenigsten durch Glück und Zufälle beeinflusste Bild zeichnet. Und da war der BVB am Ende der vergangenen Saison Fünfter. Nun, am Ende der Hinrunde, stehen die Dortmunder noch schlechter da.

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