Mittwoch, Oktober 30

Der BVB reiht derzeit Niederlage an Niederlage. Der unerfahrene Coach ist nur eines von mehreren Problemen in dem Spitzenklub.

Es geschieht selten, dass Gregor Kobel die Fassung verliert, doch am Dienstagabend im DFB-Cup gegen Wolfsburg verlor der Dortmunder Goalie die Contenance. Er streifte seine Handschuhe ab und warf sie zu Boden, ebenso enttäuscht wie wütend. Denn der BVB hatte in der Verlängerung in Wolfsburg 0:1 verloren durch ein Tor des Dänen Jonas Wind.

Kobel war an diesem Gegentreffer schuldlos, wie überhaupt die Mannschaft gar keinen schlechten Eindruck hinterlassen hatte. Doch in einem blieben sich die Dortmunder treu: Sie sind in dieser Saison notorisch erfolglos. Und auch wenn erst acht Runden absolviert sind, so lässt sich doch mit einigem Recht bereits von einer veritablen Krise sprechen.

Nicht allein auf den Trainer Nuri Sahin konzentrieren sich die Diskussionen der Dortmunder vor dem Bundesliga-Match am Wochenende gegen Leipzig. Auch das Kader sei nicht gegen gravierende Veränderungen gefeit, schreibt die notorisch gut informierte «Bild»-Zeitung und berichtete von einer Streichliste, auf der prominente Namen verzeichnet sind. Es sind die Offensivkräfte Julian Brandt und Donyell Malen, die Mittelfeldspieler Emre Can und Marcel Sabitzer sowie Niklas Süle.

Süle personifiziert das Dortmunder Dilemma

Der Abwehrspieler, vor anderthalb Jahren vom FC Bayern zum BVB gelockt, personifiziert dabei ein Dortmunder Dilemma: Während seiner Zeit beim BVB stagnierte Süle nicht bloss, er bekundet einen gravierenden Formverfall, was wiederum zu der Frage führt, wie leistungsfördernd das Klima im BVB tatsächlich ist.

Zu beobachten ist eine Mediokrisierung auf hohem Niveau, doch von Jahr zu Jahr geht immer mehr vom alten Dortmunder Selbstverständnis verloren, mit dem FC Bayern zumindest konkurrieren zu wollen. Die vergangene Saison unter dem Trainer Edin Terzic war insofern besonders, als der intern schon arg umstrittene Trainer die Mannschaft immerhin in den Final der Champions League führte.

Mit einem solchen Trainer nicht weiterzumachen, war eine riskante Entscheidung. Auch wenn Terzic längst nicht mehr jene Rückendeckung genoss, die sich ein Chefcoach für gewöhnlich wünscht, so war eines angesichts dieses doch sehr speziellen Kaders klar: Es würde nicht einfach werden, einen Coach zu finden, der es wesentlich besser macht als Terzic.

In Madrid beging der Trainer Fehler

Nuri Sahin ist dieser Trainer jedenfalls nicht, zumindest nicht bis jetzt, wobei die Dortmunder Auftritte Zweifel daran aufkommen lassen, ob es sich bei ihm um einen wirklich begabten Strategen handelt. In der vergangenen Woche musste er eigene Fehler einräumen, nach einem 2:5 gegen Real Madrid. Diesem Team war der BVB unter Terzic im Final der Champions League noch äusserst couragiert begegnet (0:2). Nun verblüfften die Dortmunder eine Halbzeit lang regelrecht, sie führten 2:0. Dann nahm Sahin einige Umstellungen vor, und Real Madrid drehte das Spiel noch in ein 5:2.

Sahin nahm nach der Pause grosse Umstellungen vor, er legte grossen Wert darauf, den Aussenstürmer Rodrygo zu beschatten. Den hatte er offenbar als besonders gefährlich eingestuft. Den gegenwärtig wohl besten Angreifer im europäischen Klubfussball, den Brasilianer Vinícius Júnior, befand er offenbar keiner Sonderbewachung für würdig.

Solche taktischen Fehler untergraben die Autorität eines Trainers, solange dieser nicht Josep Guardiola heisst und eine solche Entscheidung als exzentrisch oder mindestens originell aufgefasst würde. Sie wird im Falle von Nuri Sahin als das wahrgenommen, was sie tatsächlich ist: ein kapitaler Lapsus.

Die Frage ist nun, wie lange sich Sahin auf seinem Posten noch halten kann. Seine öffentlichen Auftritte sind eher unglücklich, dem Mann aus dem sauerländischen Lüdenscheid geht die Fähigkeit ab, seine Spielidee vor der Kamera zu erklären. «Wir müssen in Momenten, in denen es schwierig ist, widerstandsfähiger sein», sagte er nach dem Spiel gegen Wolfsburg in der ARD. Nur: Wer wollte das bestreiten?

Dennoch dürfte Sahins Kredit nicht klein sein, denn seine Inthronisierung stellte ein bewusstes Wagnis dar, und darüber ist sich auch die Klubführung mit dem CEO Hans-Joachim Watzke, dem Geschäftsführer Lars Ricken und dem Sportchef Sebastian Kehl im Klaren. Kehl hatte den Wechsel von Terzic zu Sahin forciert. Wer einen solchen Kandidaten auswählt, der weiss, dass ein Scheitern auch dem eigenen Ruf schaden wird.

Sahin ist für die Fans ein echter «Borusse»

Zwar ist Sahin auf dem Niveau eines Bundesliga-Spitzenklubs ein Novize. Doch ist er für den BVB eben auch kein gewöhnlicher Trainer. Der einstige Mittelfeldspieler steht auch für die Erfolge der BVB-Mannschaft unter Jürgen Klopp, ehe sich Sahin zu Real Madrid locken liess. Die Karriere des damals noch jungen Spielers kam danach nie wieder richtig in Tritt, seine Rückkehr nach Dortmund mündete in mässigem Erfolg. Allerdings bestreitet niemand, dass Sahin für die Fans das ist, was sie anerkennend einen «Borussen» nennen: einer, der trotz seiner Odyssee im Klubfussball ein Dortmunder durch und durch ist.

Nur geht es im Fussball eben nicht immer um Sentimentalitäten, auch wenn der BVB seit geraumer Zeit den Eindruck erweckt, besonders anfällig dafür zu sein. Jahrelang trauerte der Klub seiner Überfigur Jürgen Klopp nach; die Nostalgie dürfte wohl erst jetzt ein Ende finden, nachdem Klopp sich dem RB-Konzern verschrieben hat.

Grundsätzlich ist es zwar keineswegs unsympathisch, das Bewusstsein für die eigene Geschichte zu hegen und nach Personal zu suchen, das mit dieser Historie verbunden ist. Das ist nicht nur mit Nuri Sahin so, sondern auch mit den BVB-Legenden Lars Ricken und Sebastian Kehl in der Klubführung. Aber ein Blick von aussen könnte dem BVB guttun.

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