Freitag, September 20

Bruno Kelly / Reuters

Präsident Lula da Silva wollte als erfolgreicher Regenwaldschützer eine Führungsrolle in den globalen Klimaverhandlungen übernehmen. Nun kommt ihm eine extreme Trockenheit in die Quere. Seine Pläne haben sich in Rauch aufgelöst.

Der brasilianische Landwirtschaftsminister wollte seinen G-20-Kollegen vergangene Woche vor Ort zeigen, wie nachhaltig die Agrarindustrie seines Landes produziert. Eine gute Gelegenheit, dachte sich Carlos Fávaro, denn Brasilien hat derzeit den Vorsitz in der Staatengruppe der zwanzig führenden Industrienationen der Welt. Also lud Fávaro, selbst Grossbauer, die Agrarminister der G-20 nach Cuiabá ein. Das ist die Hauptstadt des Gliedstaates Mato Grosso, wo die brasilianischen Bauern am meisten Mais und Soja für den Export produzieren.

Doch Fávaros Plan ging gründlich schief: Auf den Farmen und in der umliegenden Trockensavanne brennen derzeit so viele Felder und Flächen, dass das Treffen wegen der extremen Luftverschmutzung kurzfristig in den nahe gelegenen Nationalpark Chapada dos Guimarães verlegt werden musste.

Doch auch dort war die Rauchbelastung so stark, dass der Park für Touristen geschlossen werden musste. «Nachhaltigkeit und Landwirtschaft sind möglich», rief der Minister den Delegierten trotzig zu. «Es ist nicht an uns, mit dem Finger auf die Schuldigen zu zeigen.»

Für viele stehen die Farmer hinter den Brandstiftungen

Aus Sicht vieler Brasilianer müsste Fávaro allerdings mit dem Finger auf sich selbst und die brasilianische Agrarindustrie zeigen: Umweltschützer sehen die Bauern als Mitschuldige, wenn nicht gar Hauptverursacher der schlimmsten Brände in Brasilien seit Jahrzehnten. Zwei Drittel der brasilianischen Landfläche liegen derzeit unter einem Rauchschleier.

Auch in den Nachbarländern Bolivien, Paraguay und Argentinien ist der Himmel mit Russwolken bedeckt, die sich weit hinaus in den Atlantik ziehen. In Peru und Bolivien brennt es ebenfalls so wie selten zuvor. 350 000 Brände in dreizehn Ländern Südamerikas hat das brasilianische Weltraumforschungsinstitut (Inpe) Anfang September registriert. Das gab es letztmals vor 26 Jahren.

Für Präsident Luiz Inácio Lula da Silva ist die Brandkatastrophe ein herber Rückschlag für sein Bestreben, sich als globaler Regenwaldschützer zu positionieren. Denn nach dem Wahlsieg gegen seinen Vorgänger Jair Bolsonaro, der von Umweltschutz nichts hielt und sich für Farmer und Goldgräber einsetzte, wollte Lula in seiner dritten Amtszeit ab Januar 2023 mit einer vorbildlichen Umweltpolitik glänzen. Im Amazonasgebiet gelang es der Regierung im ersten Jahr, die Abholzung zu reduzieren. Doch die Erfolge werden nun durch Brandrodungen zunichtegemacht.

Zum einen brennt der Amazonasregenwald an seiner Südflanke. Dort verläuft die Agrargrenze, die kriminelle Landbesetzer und Farmer weiter nach Norden verschieben wollen. Die Brände im Amazonasgebiet haben im August so viel Kohlendioxid in die Atmosphäre geblasen wie letztmals 2003 – als der Regenwald dort noch weitgehend ungestört abgefackelt werden konnte.

Aber auch in der riesigen Trockensavanne des Cerrado brennen derzeit Waldflächen, um Platz für Baumwoll-, Soja- und Maisfelder zu schaffen. In diesem Biotop von der Grösse Mexikos ereignen sich derzeit fast die Hälfte aller Brände. Es ist ebenfalls ein bedeutender CO2-Speicher. Ausserdem brennt es heftig im Überschwemmungsgebiet des Pantanal an der Grenze zu Bolivien – wie inzwischen fast jedes Jahr. Immer stärker werden dort die Brände und immer grösser die verwüsteten Flächen. Schon wird darüber spekuliert, wann es dieses Biotop von der halben Grösse Deutschlands nicht mehr geben wird.

Selbst in den Zuckerrohr-Anbaugebieten um São Paulo im Südosten Brasiliens werden Weiden und das Unterholz in den Plantagen abgefackelt, was dort seit zwanzig Jahren verboten ist. Unklar ist, ob es an der erwarteten Straflosigkeit für die Brandstifter unter dem Gouverneur Tarcisio Freitas liegt, der ein enger Vertrauter Bolsonaros ist. Es ist weitaus billiger, Weiden abzufackeln, als sie mechanisch zu bearbeiten. Auch wird darüber spekuliert, ob die in São Paulo dominierende Drogenmafia PCC dahintersteckt, um Chaos zu stiften und die Sicherheitskräfte zu verwirren.

Laut dem Schweizer Luftqualitätsinstitut IQAir war São Paulo in der vergangenen Woche wiederholt die Metropole mit der weltweit höchsten Luftverschmutzung. In dem gleichnamigen Teilstaat haben die tödlichen Unfälle auf Fernstrassen zugenommen, wegen der schlechten Sicht aufgrund der Rauchwolken.

Höhepunkt der Brände noch nicht erreicht

Die Umweltkatastrophe dürfte sich in den kommenden Wochen noch verschärfen: Die Trockenzeit beginnt zwar meist im August. Doch in der Regel ist die Biomasse erst im September so trocken, dass sie brennen kann. «Der Höhepunkt der Brände steht uns im September und Oktober noch bevor», sagt Mark Parrington vom Copernicus Atmosphere Monitoring Service (CAMS). Normalerweise enden die Brände Anfang Dezember mit dem Einsetzen tropischer Regenfälle.

In diesem Jahr haben eine frühe Trockenzeit und eine Hitzewelle die Feuersaison vorverlegt. Der Juni war in Brasilien der heisseste, trockenste und windigste Monat seit 70 Jahren, so die World Weather Attribution (WWA), ein Zusammenschluss von Forschungsinstituten, die extreme Wetterereignisse untersuchen. Seitdem hat es in Brasiliens Landesinnern kaum noch geregnet.

Die extreme Trockenheit wurde von Brandstiftern genutzt. Denn Brände werden in Brasilien hauptsächlich von Menschen verursacht – nicht wie in vielen Ländern durch Blitzschlag. Dabei kann es sich einerseits um legale Brandrodungen handeln, um Weideland oder Felder für die landwirtschaftliche Nutzung vorzubereiten. Diese müssen den Behörden gemeldet werden. «Die allermeisten Brandrodungen sind jedoch kriminell», sagt Carlos Nobre, einer der führenden Klimaexperten Brasiliens.

Von Brandrodungen zu modernen Plantagen

Sie lösen eine Kettenreaktion aus: Erst brennen «grileiros», professionelle kriminelle Landbesetzer, Waldflächen ab, um sie in Weideland zu verwandeln und an kleine Viehzüchter zu verkaufen. Wenn die Weiden keinen Ertrag mehr bringen, verkaufen die illegal arbeitenden Viehzüchter die Weiden an professionelle Farmer weiter. Diese verwandeln sie in Plantagen, die mit modernster Agrartechnik bewirtschaftet werden.

Durch Satellitenüberwachung können die brasilianischen Behörden die illegalen Brände ziemlich genau lokalisieren und verfolgen. Dann wird das Land für den Weiterverkauf gesperrt, und die Besitzer erhalten keine staatlichen Kredite mehr. Aber das ist den illegal wirtschaftenden Kleinbauern ohnehin egal. Die Grossbauern verlassen sich darauf, dass eine Amnestie für Brandrodung kommt – was in der Vergangenheit jedes Jahr geschah. Die Agrarlobby im Kongress ist eine der mächtigsten Interessengruppen in der Legislative.

Aber bei einer so massiven Häufung von Bränden wie jetzt kommen die Behörden nicht mehr nach. «Wir können nicht auf jedem Feld und auf jeder Weide einen Beamten postieren», rechtfertigt sich jetzt Rodrigo Agostinho, der Chef der Umweltbehörde Ibama.

Lulas Anfangserfolge im Amazonas gehen gerade in Rauch auf

Nächstes Jahr wird Brasilien Gastgeber des Uno-Umweltgipfels sein. Bei der Uno-Generalversammlung in zwei Wochen wollte Lula seine traditionelle Eröffnungsrede mit Fortschritten im Kampf gegen den Klimawandel untermauern – und die Welt zum Handeln auffordern.

Doch das wird nicht gelingen, wenn die Regierung nicht einmal die Situation im eigenen Land in den Griff bekommt. Obwohl sie seit Anfang Jahr warnend auf die Gefahr der drohenden Dürre und von Bränden hingewiesen hat, hat sie keinen Plan vorgelegt, wie sie darauf reagieren will. Jetzt hat Präsident Lula die Idee eines Klima-Superministeriums wieder hervorgeholt, die er bereits im Wahlkampf erwähnt hatte. Doch wie diese Behörde ohne eigenes Budget und weitreichende Befugnisse die klimabezogenen Aktivitäten zwischen den Ministerien steuern soll, bleibt ein Rätsel.

Unter Umweltschützern wächst die Kritik an der Regierung, die tatenlos zusieht, wie immer mehr Wälder in Flammen aufgehen. Sergio Leitão, Direktor des Umweltinstituts Escolhas, fordert von der Regierung viel umfassendere Massnahmen zur Brandbekämpfung. «Wenn sich nichts ändert, wird das Feuer nicht nur den Wald verbrennen, sondern auch die Glaubwürdigkeit der Regierung», warnt er.

Mitarbeit: Adina Renner, Gilles Steinmann.

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