Mittwoch, Januar 15

In Brasilien nimmt die Korruption zu, die Politik schwächt die Gewaltenteilung, und die Justiz agiert immer politischer. Präsident Lula spielt dabei eine unrühmliche Rolle.

Im kürzlich veröffentlichten Korruptionsindex 2023 der Nichtregierungsorganisation Transparency International hat Brasilien schlecht abgeschnitten: Das grösste Land Lateinamerikas verlor zehn Positionen und steht nun auf Rang 104 von 180 Staaten. Das ist deutlich schwächer als vergleichbare Schwellenländer wie China (76), Südafrika (83) oder Indien (93). Der Grund, so die Organisation: Die Justiz agiere zunehmend politisch und komme ihrer Kontrollfunktion immer weniger nach.

Wie schlecht die Korruptionsbekämpfung in Brasilien aussieht, das demonstrierte der Richter Dias Toffoli vom Obersten Gerichtshof gerade: Er setzte die Zahlung einer Geldbusse in Höhe von 8,5 Milliarden Reais (etwa 1,5 Milliarden Franken) durch den Baukonzern Novonor, ehemals Odebrecht, aus.

Odebrecht hat Korruption zugegeben – und muss nicht zahlen

Der private Baukonzern stand im Mittelpunkt der Ermittlungen im Lava-Jato-Verfahren ab 2014, dem grössten Korruptionsskandal der Geschichte Brasiliens. Die Eigentümer und 77 Führungskräfte des Konzerns hatten 2016 mit der Staatsanwaltschaft eine Kronzeugenregelung unterzeichnet. Sie entgingen langjährigen Haftstrafen, dafür gaben sie systematische Schmiergeldzahlungen zu und überführten mit Beweisen andere Verdächtigte.

Doch das gilt nicht mehr: Im vergangenen September ist der Richter Toffoli mit einer Einzelentscheidung im Obersten Gerichtshof vorgeprescht und hat alle Urteile des Verfahrens wegen Korruption gegen den Konzern für ungültig erklärt. Der Grund: Die Beweise seien nicht rechtmässig erhoben worden.

Im Dezember erliess er bereits der J&F-Holding des Fleischkonzerns JBS ihre Strafzahlungen in Höhe von 10,3 Milliarden Reais (1,8 Milliarden Franken). Es ist abzusehen, dass nach und nach alle vom Lava-Jato-Verfahren betroffenen Konzerne ihre Strafen annulliert bekommen werden. Sie könnten zudem Schadenersatzforderungen stellen, weil sie durch die Urteile jahrelang von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen waren.

Für die Korruptionsbekämpfung in Brasilien ist das ein gewaltiger Rückschritt. Die Erhebung von Transparency International, die auf subjektiven Einschätzungen von Akteuren in Politik und Wirtschaft basiert, zeigt eindrücklich: Die Schwächung des Rechtssystems und der Korruptionsbekämpfung korreliert positiv mit einer zunehmenden Korruption.

Diese Entwicklung hat direkt nach den Lava-Jato-Urteilen eingesetzt. Noch 2013 erreichte Brasilien mit dem Rang 69 unter 175 Staaten seine bisher beste Platzierung auf dem Index der Korruption. Seitdem sinkt die Platzierung.

Bolsonaro hat das System gegen die Korruption zerstört

Diese Entwicklung hat vor allem die Regierung von Jair Bolsonaro (2019–2022) beschleunigt. Der Rechtspopulist war von vielen Brasilianern aus Frust über die gewaltigen Korruptionsskandale gewählt worden. Die Bolsonaro-Regierung habe gezeigt, wie in nur wenigen Jahren ein jahrzehntelang aufgebauter rechtlicher und institutioneller Rahmen zur Korruptionsbekämpfung zerstört werden könne, heisst es bei Transparency International.

Heute existiert kein gesellschaftlicher Konsens für eine effiziente Korruptionsbekämpfung in Brasilien mehr. Um das Rechtssystem zu schwächen, halten Politiker, Justiz und Unternehmer, die auf Staatsaufträge hoffen, zusammen. Auch seit dem Antritt von Präsident Lula da Silva im Jahr 2023 wurden die Kontrollinstanzen des Staates weiter geschwächt.

Der Korruptionsbericht erwähnt beispielsweise Budgetzuweisungen im Kongress an Abgeordnete ohne jede Rechenschaftspflicht. Als bedenklich stuft er ebenso die Besetzung des Obersten Gerichtshofes durch Cristiano Zanin und Flávio Dino ein. Zanin ist der persönliche Anwalt von Lula, Dino sein Justizminister.

Die verschiedenen Instanzen der Justiz nehmen sich gegenseitig in Schutz. Die Controladoria-Geral da União, also das höchste Kontrollorgan der Judikative, hat die Ergebnisse von Transparency International sofort disqualifiziert: Die Analysen seien mit Vorsicht zu geniessen, die Regierung habe bedeutende Fortschritte gemacht bei der Korruptionsbekämpfung.

Ein Bundesrichter mit gleich zwei Interessenkonflikten

Auch der Richter Toffoli vom Obersten Gerichtshof ist empört, weil er in dem Bericht gleich mehrfach genannt wird. Transparency International sieht bei dem Richter gleich zwei Interessenkonflikte: So soll Toffoli in der Kronzeugenerklärung von Marcelo Odebrecht, dem ehemaligen CEO, als Empfänger von Schmiergeldzahlungen genannt worden sein. Zudem arbeitet Toffolis Frau als Anwältin für den Lebensmittelkonzern J&F, dessen Milliardenbusse er gerade erlassen hat.

Toffoli hat nun die Justiz aufgefordert, zu ermitteln, ob Transparency International in Brasilien unberechtigterweise staatliche Gelder erhalten habe. Die Organisation hat bei der Kronzeugenregelung mit dem Fleischkonzern JBS zusammengearbeitet, aber dafür nach eigenen Angaben keine Honorare genommen. Schon vor zwei Jahren hat die Staatsanwaltschaft die Organisation von den Vorwürfen freigesprochen, die vor allem bei der Linken in Brasilien kursieren.

Besonders aktiv dabei, den Lava-Jato-Prozess zu diskreditieren und vergessen zu machen, sind die Arbeiterpartei Lulas und der Präsident selbst. Gerade erklärte er seine Sicht des seinerzeit grössten Korruptionsprozesses weltweit: «Alles, was in diesem Land geschah, war eine geheime Absprache zwischen einigen Richtern und einigen Staatsanwälten in diesem Land, die dem Justizministerium der USA unterstellt waren, die nie akzeptieren konnten, dass Brasilien ein Unternehmen wie Petrobras besitzt.»

Der staatliche Ölkonzern Petrobras stand im Zentrum des Skandals, bei dem Milliardenaufträge an private Baukonzerne vergeben wurden, die sich wiederum mit Schmiergeldzahlungen an Politiker erkenntlich zeigten.

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