Mittwoch, Januar 1

Uns geht es gut, weil unsere Wirtschaft sich so erfolgreich darauf spezialisiert hat, der ganzen Welt Waren und Dienstleistungen zu verkaufen, die uns hohe Löhne sichern. Zerfällt die Welt in Blöcke, müssen wir uns neu orientieren.

Was verbinden der Brasilianer, der Chinese oder der Pole mit der Schweiz? Wahrscheinlich Uhren, Schokolade, Berge, Banken und Reichtum.

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Das ist nicht verkehrt. Gemessen an der Wirtschaftsleistung pro Kopf und den Daten der Weltbank ist der Wohlstand in der Schweiz nach Bermuda und Norwegen am dritthöchsten in der Welt. Korrigiert man um die Kaufkraft, überholen uns noch Luxemburg und Irland, und es reicht für den fünften Platz.

Das war nicht immer so. Noch 1870 war die Wirtschaftsleistung pro Kopf laut den wirtschaftshistorischen Daten von Angus Maddison in Österreich, Frankreich und Belgien höher als in der Schweiz. Doch die Industrialisierung und mit ihr die Intensivierung des Welthandels veränderten den Wohlstand, das Bildungsniveau und den Speisezettel. Wirtschaftlich gesehen ist die Schweiz schon längst kein Agrarland mehr.

Der hohe Pegel hebt alle Boote

Die Schweiz hat es frühzeitig verstanden, sich darauf zu spezialisieren, für den Rest der Welt Güter und Dienstleistungen zu produzieren, die eine besonders hohe Wertschöpfung versprechen und damit hohe Löhne sichern. Weltoffenheit, ein komplett liberalisierter Kapitalverkehr, die Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften, der harte Franken und die Bereitschaft, sich dem Strukturwandel immer wieder neu zu stellen, waren und sind Voraussetzungen dafür. Auch Rechtssicherheit, Stabilität, die gute Infrastruktur und die funktionierende Verwaltung und natürlich der hohe Bildungsstand spielen eine wichtige Rolle.

Auf die maschinell hergestellten Textilien von einst folgten Werkzeugmaschinen, Vermögensverwaltung, Rohstoffhandel und mit hochspezialisierten Verfahren hergestellte Medikamente. Geblieben sind zumindest vorläufig noch die Uhren als in der ganzen Welt begehrtes Luxusgut. Die Schokolade ist zwar eine süsse Botschafterin, sie kommt aber nur für ein Viertelprozent aller Exporte auf. Der Wert der gesamten Exporte der Schweiz ist auf 77 Prozent der Wirtschaftsleistung gestiegen, in den USA sind es nur 12 Prozent.

Die wirtschaftliche Offenheit und der Handel erlauben der Schweiz ein Produktivitätsniveau, das alle Boote hebt. Auch der Spengler, der Coiffeur und die Krankenschwester verdienen mehr als andernorts, weil in der Eidgenossenschaft das allgemeine Wohlstandsniveau so hoch ist.

Immer häufiger drohen Sanktionen

Das bedingt allerdings, dass Absatzmärkte offen sind und sich problemlos importieren lässt, was man selbst nicht herstellt. Das Schweizer Erfolgsmodell baut darauf, dass multilaterale Regeln an die Stelle des brachialen Gesetzes des Stärkeren treten. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat das weidlich funktioniert. Die jüngsten geopolitischen Entwicklungen stellen dies jedoch infrage.

So schränken die USA nicht mehr nur ihren eigenen Handel mit China ein, sie verlangen auch von Unternehmen in Drittländern, Produkte nicht mehr nach China zu liefern, sofern diese Komponenten enthalten, welche die USA als Schlüsseltechnologien betrachten. Halten sie sich nicht daran, drohen Sanktionen. Neuerdings will der US-Kongress sogar Pharmafirmen in aller Welt die Zusammenarbeit mit gewissen chinesischen Zulieferern verbieten. Leisten diese der Aufforderung nicht Folge, sollen sie vom amerikanischen Markt ausgesperrt werden – und das kann sich kein grosser Pharmakonzern leisten.

Sollten die amerikanisch-chinesischen Spannungen bloss Vorbote sein für einen Zerfall der globalisierten Welt in protektionistische Blöcke, die sich gegenüberstehen, so wäre das für die kleine exportorientierte Volkswirtschaft der Schweiz besonders schlimm. Sie müsste plötzlich zwischen Freund und Feind unterscheiden. Ein erzwungener Rückzug aus China etwa hätte heute eine ganz andere Dimension als einst die Auseinandersetzungen zwischen West und Ost im Kalten Krieg, denn die abgeschottete Sowjetunion spielte wirtschaftlich kaum eine Rolle.

Sollten Konflikte und damit verbundene Sanktionen eine Deglobalisierung erzwingen, würde das bedeuten, dass die Schweizer Wirtschaft ihre Arbeitskräfte und ihr Kapital vermehrt zur Herstellung von Waren und Dienstleistungen einsetzen müsste, bei denen sie keinen komparativen Vorteil besitzt. Die Produktivität der Volkswirtschaft als Ganzes und damit der Wohlstand würden dem zum Opfer fallen.

Alles selber machen macht nicht sicherer

Das ist auch der Denkfehler aller Sicherheitsfanatiker in Übersee und hierzulande. Es stimmt zwar, dass eine einseitige Abhängigkeit von schnellen Medikamentenlieferungen aus einem einzelnen Land in einer Notlage heikel ist. Aber die Pandemie hat auch gezeigt, dass Regierungen schnell von Exportbeschränkungen Abstand nehmen, wenn sie realisieren, wie verflochten ihre Wirtschaft ist und wie sehr man aufeinander angewiesen ist.

Alles selber herstellen zu wollen, macht nicht sicherer, sondern schwächer. Man gibt die Vorteile der Spezialisierung und der internationalen Arbeitsteilung auf und setzt mehr eigene Ressourcen zur Produktion von weniger Wohlstand ein. Dann fehlen Mittel für Sicherheit und die Abwehr äusserer Bedrohungen.

Noch ist eine Entkoppelung der Weltwirtschaft erst in Ansätzen und primär auf potenziell militärisch relevanten Gebieten zu erkennen. Die Welthandelsorganisation (WTO) erwartet, dass das Volumen des Welthandels 2024 im Gleichschritt mit der globalen Wirtschaftsleistung um 2,7 Prozent gewachsen ist und sich 2025 um 3 Prozent erhöhen wird. Die WTO diagnostiziert aber seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine eine stärkere Fragmentierung des Welthandels. Vorher sind die Handelsflüsse innerhalb und zwischen den geopolitischen Blöcken gleichmässig gewachsen. Nun ist der Handel innerhalb der Blöcke weiter um rund 5 Prozent gewachsen, während sich derjenige zwischen den Blöcken um 10 bis 15 Prozent zurückgebildet hat.

Renditen und Risiken abwägen

Was bedeutet das für das Geschäftsmodell der Schweiz? Sollten sich die geopolitischen Spannungen weiter verschärfen und zu Sanktionen und ernsthaften Einschränkungen beim Marktzugang führen, würde das den Erfolg der vergangenen Jahrzehnte in der Tat infrage stellen. Müsste sich die Schweizer Wirtschaft zwischen Freund und Feind entscheiden, ginge das nicht ohne Wohlstandseinbussen am Standort Schweiz. Sich weniger abhängig von einzelnen Lieferanten und Abnehmern zu machen, ist schon heute eine kluge Strategie. Eine Lagerhaltung, die über Lieferengpässe hinweghelfen kann, kostet zwar, zahlt sich aber spätestens in Notfällen aus.

Doch am Ende bleibt, dass ein Engagement in fernen Märkten neue Horizonte und Renditemöglichkeiten eröffnet, aber geopolitische Risiken birgt, die jede Firma für sich selber einschätzen und beherrschen muss. Nehmen die geopolitischen Risiken zu, so gewinnt ein möglichst friktionsloses Verhältnis mit den wichtigsten Märkten, mit denen man am stärksten zusammenarbeitet, erst recht an Bedeutung. Ohne wirtschaftliche Integration in Europa und ohne gutes Verhältnis zu den USA braucht die Schweiz ein neues Geschäftsmodell. Die schönen Berge, Skifahren und Schokolade werden unseren Wohlstand nicht sichern können.

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