Donnerstag, Oktober 3

Mit dem Neubau soll das Werk im Limmattal auch zu einem Ort der Begegnung werden. Dabei fliessen Anregungen aus der Bevölkerung ein.

Warum befasst sich ein renommierter Architekt wie Kees Christiaanse mit einer Kehrichtverbrennung? Der 71-jährige ehemalige ETH-Professor für Architektur und Städtebau hat schon manche Wohnüberbauung begutachtet. Jetzt gehört er dem Beurteilungsgremium für die neue Anlage zur Abfallverwertung in Dietikon an, die zum Energiezentrum Limmattal (EZL) wird. Christiaanse spricht von einer «Ikone der Nachhaltigkeit».

Die Limmattaler Gemeinden entsorgen Abfall und Abwasser gemeinsam durch die interkommunale Anstalt Limeco. Die Anlagen an der Mündung der Reppisch in die Limmat müssen bis zur Mitte des Jahrhunderts für etwa eine Milliarde Franken ersetzt werden. Visualisierungen erster Entwürfe erinnern mit einem diagonal an der Fassade verlaufenden Aufgang ans Centre Pompidou.

Wie das Kulturzentrum in Paris von Renzo Piano wird die neue Anlage in Dietikon nicht aussehen; es sind Ergebnisse einer Testplanung. Aber die Darstellung verdeutlicht den Anspruch, nicht einfach ein technisches Werk neu zu errichten, sondern dem Wandel im Umgang mit solchen Infrastrukturen gerecht zu werden.

Bis in die 1960er Jahre entledigte man sich des Abfalls in mehr oder weniger wilden Deponien. Dann entstanden die ersten Kehrichtverbrennungsanlagen (KVA) am Rand der Städte und Gemeinden. Inzwischen sind sie von der Siedlungsentwicklung eingeholt worden. Heute dienen sie nicht mehr nur der Verbrennung von Abfall. Die anfallende Energie wird als Fernwärme und für die Stromerzeugung genutzt, deshalb spricht man von Kehrichtverwertung.

Ofen ist bis 2034 zu ersetzen

Limeco ist als interkommunale Anstalt in verschiedener Hinsicht besonders. Sie wurde 1959 von acht Gemeinden als Zweckverband im Bezirk Dietikon gegründet. Zuerst entstand die Kläranlage: Seit den 1960er Jahren reinigt sie das Abwasser aus dem ganzen Limmattal. 1971 kam direkt daneben die KVA dazu, die auch dreissig Gemeinden im Aargau den Abfall abnimmt.

Auch in Dietikon rückt mit dem neuen Quartier Limmatfeld die Stadt näher. Zudem reagiert die Bevölkerung heute empfindlich auf Veränderungen. Darüber hinaus grenzen die Anlagen unmittelbar an Moore und Auen. Die Abwasserreinigungsanlage (ARA) befindet sich sogar mitten im Naturschutzgebiet Antoniloch.

Jede Ofenlinie hat ein Ablaufdatum. Im Fall von Limeco muss sie bis in zehn Jahren ersetzt werden. Ausserdem ist ihre Kapazität gemäss kantonaler Abfallplanung von heute 90 000 auf 160 000 Tonnen im Jahr zu erhöhen. Die ARA ist aufgrund des starken Bevölkerungswachstums im Limmattal ebenfalls zu klein und genügt den neusten Umweltauflagen nicht mehr. Sie hat wegen einer Auflage des Kantons bis Mitte des Jahrhunderts ohnehin aus dem Schutzgebiet zu weichen.

Doch eine KVA an einen neuen Ort zu verlegen, ist so gut wie unmöglich. Limeco klärte dies 2017 mit möglichen Partnern aus dem Kanton Aargau ab. Das Echo aus den Gemeindebehörden war eine unmissverständliche Absage. Weder auf Zürcher noch auf Aargauer Seite will jemand ein derartiges Werk.

Nötig war also ein Befreiungsschlag am bestehenden Standort. 2018 konnte Limeco von Coop das angrenzende Grundstück erwerben, auf dem der Grossverteiler nur noch für einige Jahre ein Logistikzentrum betreibt. Vorgesehen ist, die neue KVA und Komponenten der Kläranlage bis 2034 dort etwas abgesetzt vom Limmatufer neu zu bauen. Danach wird die restliche ARA bis 2050 an den heutigen Standort der KVA verlegt.

Quartierplatz als Verbindung zu Dietikon

«Derart grosse Projekte kann man nicht im Hinterzimmer planen. Sie stossen auf Interesse, werfen Fragen auf und lösen teilweise auch Unmut aus», sagt Christoph Rothenhöfer. Der Architekt des Planungs- und Ingenieurunternehmens TBF war Projektleiter für den Prime Tower und stellvertretender Zürcher Kantonsbaumeister. Nun verantwortet er für Limeco die Masterplanung und Testplanung sowie die Ausarbeitung eines Richtprojekts.

2018 startete der breit angelegte Entwicklungsprozess für das Limmattaler Energiezentrum, wie das neue Werk heisst. Das Nebeneinander von KVA und ARA in Dietikon erlaubt es, zukunftsträchtige Technologien zu erproben. 2022 konnte hier eine Pilotanlage in Betrieb genommen werden, die aus dem Methan der ARA mit dem Strom der KVA erneuerbares Gas erzeugt.

Das Werk soll als Teil von Dietikon wahrgenommen werden, «an die Stadt andocken», wie Rothenhöfer sagt. Dazu gehört, dass ein Teil des Grundstücks zum Industriegebiet Silbern hin, heute kein Ort zum Verweilen, als Quartierplatz gestaltet wird. Nicht etwa, weil mehr Platz als nötig vorhanden sei, im Gegenteil, wehrt Rothenhöfer ab. Doch ein öffentlich zugänglicher Platz als Verbindung zur Stadt sei Limeco wichtig.

Solche Erkenntnisse fielen nicht einfach vom Himmel. Als die Testplanung Anfang 2023 abgeschlossen gewesen sei, sei man bezüglich der technischen Anforderungen an eine solch komplexe Anlage weit gewesen, erklärt Rothenhöfer. Noch fehlte die räumliche Einordnung.

Drei beauftragte Teams entwarfen unterschiedliche Konzepte: Eines beansprucht möglichst wenig Fläche, wächst dafür aber in die Höhe. Das andere nutzt das vorhandene Grundstück voll aus. Die dritte Idee besteht aus einer riesigen Struktur, die man flexibel mit Inhalt füllen könnte.

Ein Ort der Begegnung

Das Endergebnis wird einmal eine Mischung aus diesen Konzepten sein. Erste Reaktionen aus der Nachbarschaft zeigten rasch, dass die Kubatur und vor allem die Höhe der Gebäude ein heikler Punkt sind. Limeco ist jedoch auf den Goodwill der Bevölkerung angewiesen. Die Bauteile sollen nun abgestuft wie ein Hügel angeordnet werden.

Auf die Testplanung folgte deshalb eine Phase der Beurteilung durch Fachleute wie Kees Christiaanse, von Workshops und dem Einbezug der Bevölkerung. Nur so könne man die Leute ernsthaft mitnehmen, sagt Rothenhöfer.

Dazu gehört die Bereitschaft, Ideen aufzunehmen. Dieses Echo auf die Testplanung floss in das zweite Weissbuch ein, das im Mai veröffentlicht worden ist. Darein fand der nicht unbedingt naheliegende Vorschlag für ein Restaurant Eingang. Die ohnehin vorgesehene Betriebskantine wird deshalb zu einem öffentlichen Bistro erweitert. Es gibt nur einen Eingang, für Angestellte und Besucherinnen und Besucher: KVA und ARA als Ort der Begegnung.

Dietikon wächst weiter, das Gebiet Niderfeld wird erst noch überbaut. Mehr Menschen werden den Weg zu Natur, zum Wasser an den Uferweg entlang der Limmat suchen. Deshalb sieht das Richtprojekt den Bau eines barrierefreien Fusswegs über die Anlage hinweg vor, der in der Bevölkerung gut ankam. Denkbar ist, ihn als Lehrpfad zu gestalten, von dem aus zu erkennen ist, was im Innern geschieht.

Die grossen Dachflächen kann man nicht nur für die Erzeugung von Solarstrom nutzen. So gingen auch Ideen für einen Spielplatz oder eine Grillstelle ein. Im Vordergrund stehen selbstverständlich die Sicherheit und der Betrieb, der nicht eingeschränkt werden darf.

Spitzenarchitektur im Dienst der Sache

Nach einer Präqualifikation im Frühling beteiligen sich nun sechs Teams aus Architekten, Ingenieuren und Landschaftsgestaltern an einem Wettbewerb. Das Ergebnis wird Anfang 2025 bekannt. Das Siegerprojekt wird dann mit den von TBF entwickelten technischen Vorgaben zu einem Gesamtprojekt verwoben. Die Erkenntnisse der Testplanung und der Partizipation bilden die Basis für einen Gestaltungsplan.

Architekt Kees Christiaanse über die Testplanung «Limmattaler Energiezentrum»

Braucht es dafür Spitzenarchitektur? Den Begriff verwendet Christoph Rothenhöfer selbst. Es komme darauf an, was man darunter verstehe. Jedenfalls nicht, dass alles teuer werde und lange dauere, entgegnet er. «Unser Anspruch ist, dass Limeco für die Aufgabe, die sehr hohe Investitionen erfordert, die beste Anlage erhält. Dafür braucht es das bestmögliche Architekturbüro, und das erhält man mit einem guten Auswahlverfahren.»

Zwar finanziert sich Limeco selbst, aber für grosse Ausgaben ist die Zustimmung der beteiligten acht Gemeinden nötig. Das geht nur, wenn die Bevölkerung im Bezirk und am Standort Dietikon das neue Energiezentrum akzeptiert. Das Vertrauen ist da: Im Herbst bewilligten die Stimmberechtigten den Projektierungskredit für mehr als 60 Millionen Franken mit 70 bis 80 Prozent Zustimmung.

Limeco ist ähnlich organisiert wie ein Spitalverband. Doch ein Regionalspital, das ist nun bekannt, kann geschlossen werden. Abfall fällt trotz Recycling nicht weniger an und Abwasser schon gar nicht. Das Werk zur Verwertung und Reinigung an der Limmat ist unabdingbar.


Exit mobile version