Sonntag, September 29

Die Stadt will eine Menge aus der Hunderttausende Franken teuren Aktion gelernt haben. Was, lässt sich nicht so leicht herausfinden.

Gibt es etwas Traurigeres als eine Sommerparty, zu der niemand erscheint? Die Cramerstrasse im Stadtzürcher Kreis 4 hätte im letzten August Quartiertreffpunkt und Spielplatz in einem werden sollen. Es war der letzte Akt von «Brings uf d’Strass!», einer Aktion, mit der der Stadtrat die Bevölkerung zum Spielen und Verweilen auf gesperrten Strassen hatte animieren wollen.

Und nun das: Die Statistik zeigt, dass sich auf der gesperrten Cramerstrasse zwischen vier und einer Person pro Stunde aufgehalten haben. So steht es im städtischen Schlussbericht zum dreijährigen Pilotprojekt. Also so gut wie niemand.

Und als wäre dies nicht niederschmetternd genug, hat das Sommerfest, das keines war, auch noch hässliche Narben auf der Strasse hinterlassen. Über den Bodenbelag ziehen sich bis heute Furchen. Das farbenfrohe Muster, mit dem das Tiefbauamt die Strasse überzogen hat, liess sich nur mittels Fräse beseitigen.

«Brings uf d’Strass!» wurde Ende vergangener Woche endgültig beendet. Eine Fortsetzung schloss das Tiefbauamt unter Stadträtin Simone Brander (SP) auf Nachfrage aus. Das Amt hat einen Abschlussbericht erstellt, gespickt mit Bildern und Grafiken und 29 Seiten stark. Die Botschaft: Die Aktion war ein Erfolg, und die Stadt hat viel gelernt.

Aber was?

Begonnen hat alles mit einer Ausschreibung, die im «Tagblatt der Stadt Zürich» im Frühling 2021 erschien. Fünf Strassen sollten im Sommer während fast zweier Monate gesperrt und für die Bevölkerung «bespielbar» gemacht werden.

Mit keinem Wort wurde die Öffentlichkeit oder die Quartierbevölkerung informiert. Es handelte sich um einen Schnellschuss der Marke Richard Wolff, des damaligen Tiefbauvorstehers aus der alternativen Liste.

Die Aktion verärgerte Ladenbesitzerinnen und Quartiervereinspräsidenten. An manchen Strassen verhinderten Anwohner die Sperrung mittels Einsprachen. Dort, wo Strassen gesperrt wurden, machte das Volk vom grosszügigen Spielangebot – mit dem Velo über Rampen fahren oder Ringe werfen – nur zaghaft Gebrauch. Abgesehen von einzelnen Happenings blieben die Strassen meist gähnend leer.

Gewerbetreibende höchst unzufrieden

Bemerkenswert ist, dass im Abschlussbericht als Fazit konstatiert wird, das lokale Gewerbe habe die Aktion mehrheitlich positiv bewertet. Eine Umfrage von Gewerbetreibenden selbst hat im Jahr 2021 das exakte Gegenteil ergeben. Fast alle Geschäfte beklagten Umsatzeinbussen aufgrund der wochenlangen Sperrung.

Dass es Konflikte gab, entging dem Tiefbauamt damals nicht. Es entschied sich in den folgenden beiden Jahren dazu, dem Streit im wahrsten Sinn des Wortes auszuweichen. Auf eine Strasse nahe am Waldrand in Wollishofen beispielsweise. Oder eben an die kaum genutzte Cramerstrasse im Kreis 4.

Nur war damit der eigentliche Sinn des Projekts bereits infrage gestellt. Es wäre ja eigentlich darum gegangen, Strassen im Stadtzentrum zu sperren, weil dort angeblich dringender Bedarf an Freiraum herrscht.

Und als das Tiefbauamt nun auch noch einen «Dialogprozess» mit der Bevölkerung anstiess, gelangte es zur Erkenntnis, dass Anwohnerinnen und Anwohner keine Lärmemissionen wollen. Also verzichtete es fortan auf bunte Strandstühle und dergleichen. Die ohnehin tiefen «Nutzerzahlen» sanken nochmals tiefer, bei nach wie vor hohen Kosten.

Im Schlussbericht heisst es dazu: «Die Entscheidung gegen fixe Sitzgelegenheiten reduzierte die Möglichkeiten für Aufenthalt und alltägliche Spontannutzungen.» Dadurch lasse sich auch die «niedrige Nutzungsintensität während der letzten Durchführung» erklären.

Was nichts anderes heisst als: Es war niemand da.

Stolze 630 000 Franken hat die ganze Übung gekostet. Ein Satz im Bericht gibt einen Hinweis darauf, wie die Kosten zustande kamen: «Jährlich neu beauftragte Büros standen vor der Herausforderung, sich trotz detaillierten Übergaben neu in den bestehenden Prozess einzuarbeiten.» Mit anderen Worten: Die Stadt engagierte immer wieder neue externe Partner, was zu erheblichem Reibungsverlust führte. Ein enormer Aufwand dafür, ein paar Strassen zu sperren und Pingpongtische und dergleichen aufzustellen.

Doch welcher Art sind sie denn nun, die Lehren aus dem Projekt?

Im Bericht ist die Rede von «wertvollen Erkenntnissen, die für die Standardisierung von Prozessen und Produkten weiterentwickelt und genutzt werden können». Und natürlich war das dreijährige Pilotprojekt nichts weniger als ein «Innovationsprozess».

Gelernt haben will die Stadt, dass «partizipative Ansätze» grosse Bedeutung haben. Zweifellos tut die öffentliche Hand gut daran, die Bevölkerung bei Eingriffen wie einer Strassensperrung umfassend zu informieren. Doch dies sollte eine Selbstverständlichkeit sein.

Eine Erkenntnis, die keine ist

Etwas konkreter wird es beim Verkehr. Dort sei es gelungen, den Durchgangsverkehr um 80 Prozent zu reduzieren, «während der Zielverkehr aufrechterhalten werden konnte». Das klingt auf den ersten Blick wie die Lösung eines verkehrspolitischen Grundsatzproblems: den Durchgangsverkehr aus den Quartieren verbannen, ohne den Anwohnerinnen und Anwohnern die rechtlich zugesicherte Zufahrt zur eigenen Liegenschaft zu verwehren.

Doch ganz so bahnbrechend, wie es scheint, ist diese Erkenntnis nicht. Erhoben wurden die Zahlen bei einer einzigen Strasse. Und dort hat nicht nur der Durchgangsverkehr, sondern auch der Zielverkehr, also die Zufahrt zu Liegenschaften, während der Sperrung abgenommen. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Leute das Fahrverbot im Grossen und Ganzen respektiert haben.

Schliesslich schreibt das Tiefbauamt: «Das Pilotprojekt veranschaulicht, wie Strassenräume, die zuvor vom Autoverkehr dominiert wurden, in vielseitige Lebensräume umgewandelt werden können. Diese Transformation entspricht dem Wunsch der Bevölkerung.»

Die Aktion spiegelt also das wider, was Rot-Grün politisch will. Auch hier tendiert der Erkenntnisgewinn gegen null.

Zu den hässlichen Furchen auf der Cramerstrasse hat die FDP im Stadtparlament vom Stadtrat Rechenschaft verlangt. In seiner Antwort will der Stadtrat von einem eigentlichen Schaden nichts wissen. Die Frässpuren seien nur oberflächlich und müssten deshalb auch nicht korrigiert werden. Die Strasse bleibt also, wie sie ist.

Es ist womöglich der prägendste Eindruck, den «Brings uf d’Strass!» hinterlässt.

Exit mobile version