Mittwoch, April 30

Das Wirtschaftsministerium galt einst als «ordnungspolitisches Gewissen» der deutschen Regierung. Nun soll die Energie-Managerin Katherina Reiche das Haus übernehmen und wieder näher an diese Wurzeln heranführen.

Wer immer in Deutschland das Wirtschaftsministerium führt, muss sich an Ludwig Erhard messen lassen. Dieser hatte als erster Wirtschaftsminister der Bundesrepublik von 1949 bis 1963 den Mut zu gewagten Entscheiden im Dienste einer liberalen Wirtschaftsordnung. Mit Erfolg: Mit Massnahmen wie der Preisliberalisierung legte er die Basis für das damalige «Wirtschaftswunder» und die Etablierung der Sozialen Marktwirtschaft.

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Positive Reaktionen

Katherina Reiche, die der voraussichtliche künftige Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) zur Wirtschaftsministerin machen will, übernimmt das Amt in einer ganz anderen Lage. Aber auch sie steht vor grossen Herausforderungen: Die Volkswirtschaft stagniert das dritte Jahr in Folge, das Land fällt in fast allen internationalen Rankings zurück. Auch Reiche wird deshalb mutige Entscheide treffen müssen, will sie die vielbeschworene Wirtschaftswende einleiten und Deutschland wieder auf Wachstumskurs bringen.

Erste Reaktionen aus der Wirtschaft auf ihren Namen fallen verhalten positiv aus. Hervorgehoben wird vor allem, dass sie Erfahrungen aus Politik und Wirtschaft kombiniert.

«Wir brauchen eine starke Stimme und eine Anwältin für die Wirtschaft. Dass eine erfahrene Energiemanagerin und Politikerin neue Ministerin für Wirtschaft und Energie wird, ist dafür ein wichtiges Signal», sagt zum Beispiel Tanja Gönner, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). «Katherina Reiche denkt wirtschaftlich und tickt politisch. Das ist ein grosser Vorteil: Wir brauchen mehr Wechsler aus der Wirtschaft in die Politik», sagt Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger.

Von der Politik in die Wirtschaft und zurück

Tatsächlich kennt die dreifache Mutter beide Welten von innen. Für das Ministeramt gibt Reiche einen gutbezahlten Job in der Energiewirtschaft auf: Seit 2020 ist sie Vorstandsvorsitzende von Westenergie, einem Energiedienstleister und Infrastrukturanbieter mit einem Jahresumsatz von gut 7 Milliarden Euro und 11 000 Mitarbeitern. Westenergie ist eine Tochter des Energiekonzerns E.On, die in Westdeutschland unter anderem Millionen von Kunden mit Strom und Gas versorgt.

Von 2015 bis 2019 war Reiche Hauptgeschäftsführerin des Verbandes kommunaler Unternehmen. Vorangegangen war eine Karriere als Berufspolitikerin der CDU: Nach ihrem Studienabschluss als Diplom-Chemikerin war die 1973 geborene Reiche von 1998 bis 2015 Mitglied des Bundestags. Ab 2009 amtierte sie zudem als parlamentarische Staatssekretärin beim Umwelt- und später beim Verkehrsministerium.

Für ihren künftigen Job wird sie zumindest ein Amtsvorgänger sehr gut briefen können: Reiche und der frühere CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg sind privat liiert, wie die beiden am Montag über einen Anwalt gegenüber der Nachrichtenagentur DPA bestätigt haben. Zu Guttenberg war 2009 für kurze Zeit Wirtschaftsminister, bevor er ins Verteidigungsministerium wechselte und 2011 im Gefolge einer Plagiatsaffäre alle politischen Ämter niederlegte.

Wende bei der Energiewende

Mit der Berufung von Reiche verbinden sich in der CDU und bei externen Experten hohe Erwartungen vor allem im Bereich Energiepolitik. Mit ihren beruflichen Erfahrungen werde sie praxisnähere Lösungen finden, mit einfacheren und weniger restriktiven Vorgaben, mehr Kosteneffizienz und der verstärkten Einbindung marktwirtschaftlicher Instrumente, so die Hoffnung. Das wäre ein Bruch mit der als dirigistisch und detailverliebt kritisierten Energiepolitik ihres Amtsvorgängers Robert Habeck.

Dass Reiche eine Vergangenheit in der Energiewirtschaft habe, dürfte hilfreich sein, erklärt die Energieexpertin und «Wirtschaftsweise» Veronika Grimm auf Anfrage. Sie sei «politisch erfahren, durchsetzungsstark und mit Kompass. Ich habe sie immer als jemanden erlebt, dem es gelingt, auch sehr unterschiedliche Akteure zusammenzubringen.»

Der Verein Lobbycontrol hingegen warnt vor Interessenkonflikten: «Es ist höchst fraglich, ob Reiche die nötige kritische Distanz und Unabhängigkeit zur Energiewirtschaft einhalten kann, um ausgewogen zu entscheiden.»

Will man allerdings durch mehr Durchlässigkeit zwischen Wirtschaft und Politik vermehrt praktische Erfahrungen in die Berliner Blase einfliessen lassen, wie oft gefordert wird und wie Merz es nun versucht, werden sich solche potenziellen Interessenkonflikte nie ausschliessen lassen. Wichtig sind ihre Offenlegung und der korrekte Umgang damit.

Wieweit Reiche all den Erwartungen gerecht werden kann, wird vielleicht schon bald ihre Kraftwerksstrategie zeigen: Damit will Berlin Anreize für den dringenden Bau neuer Kraftwerke schaffen. Diese sollen zunächst mit Gas und später mit Wasserstoff betrieben und flexibel zugeschaltet werden können, wenn die Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen nicht ausreicht.

Industriepolitik als Test

Will Reiche in die Fussstapfen von Ludwig Erhard treten und ihr Haus wieder zum ordnungspolitischen Gewissen der Regierung machen, wird sie Durchsetzungsvermögen auch innerhalb der Regierungskoalition benötigen. Nicht erst unter Habeck hat ihr künftiges Ministerium einen Hang zu einer aktiven, interventionistischen Industriepolitik entwickelt. Allzu oft hat es sich nicht auf das Setzen von Leitplanken für das unternehmerische Handeln beschränkt, sondern mit einer Vielzahl von Förderprogrammen, einer selektiven Unterstützung einzelner Unternehmen von Intel bis Northvolt und Detailvorschriften in unternehmerische Entscheide eingegriffen.

Ökonomen sind sich weitgehend einig, dass stattdessen Strukturreformen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit nottäten. «Die wichtigen Handlungsfelder sind Deregulierung, Abbau von Förderung, Schaffung von verlässlichen Rahmenbedingungen, Kosteneffizienz bei der Energiewende und Verfügbarkeit von qualifizierten Fachkräften», ist Grimm überzeugt.

Frau Reiche müsse «durch gute Rahmensetzungen den Standort Deutschland wieder flottmachen, nicht durch Subventionen», ergänzt Marie-Christine Ostermann, Präsidentin des Verbandes Die Familienunternehmen. Dazu müsse sie mit der bisherigen Politik ihres Ministeriums brechen. «Es braucht ein Zurück zur Ordnungspolitik.»

Familie und Unternehmen

Die Perspektive der Familienunternehmen kennt Reiche auch aus ihrem Elternhaus: Ihre Familie betreibt den Kunststoffverarbeiter Hesco in Luckenwalde im ostdeutschen Bundesland Brandenburg, dem Geburtsort der künftigen Ministerin. Der Betrieb geht auf eine Neugründung nach dem Zweiten Weltkrieg zurück, er wurde zu DDR-Zeiten verstaatlicht und nach der Wende reprivatisiert.

Mit Spannung erwartet wird nun, wieweit eine Wirtschaftsministerin Reiche tatsächlich eine Wirtschaftswende einleiten kann und will. Die Beharrungskräfte in der Politik sind gross. Zudem gibt es zahlreiche Profiteure der bisherigen Subventionen, und der Koalitionspartner SPD dürfte den Status quo in vieler Hinsicht vehement verteidigen. Auch verliert das Wirtschaftsministerium an Gewicht, weil es unter anderem die Zuständigkeit für die Klimapolitik abgeben muss.

Ideellen Rückhalt kann sich Katherina Reiche zumindest von der Ludwig-Erhard-Stiftung erhoffen, deren Mitglied sie ist. Die Stiftung setzt sich nach eigenen Angaben «für ordnungspolitische Grundsätze in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft» ein und versammelt einige wichtige liberale Stimmen des Landes.

Sie können dem Berliner Wirtschaftskorrespondenten René Höltschi auf den Plattformen X und Linkedin folgen.

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