Sonntag, November 24

In «Road Diary» werden der amerikanische Rock-Star und seine E Street Band bei Proben und auf Tournee begleitet. Der Dokumentarfilm hebt altbekannte Qualitäten des Musikers hervor.

Als Corona vorbei war, freute sich Bruce Springsteen darauf, das Publikum wieder mit Konzerten zu verwöhnen. Auf eine sechsjährige Pause sollte 2023/24 eine neue Tournee folgen. Aber waren er und seine Mitmusiker nach dem Unterbruch und angesichts ihres fortgeschrittenen Alters den Anforderungen eines Live-Konzerts noch gewachsen?

In Thom Zimnys Dokumentation «Road Diary» (für Disney+) sorgt die rhetorische Frage für behelfsmässige Dramatik. Die ersten Sequenzen sind deshalb gleich der Probearbeit gewidmet, wo sich die Musiker in einem Theater in Red Bank, New Jersey, bewähren müssen.

Zwei Ziele strebe er hier an, erklärt der Boss: Seine alten Stücke sollen von Spinnweben befreit werden. Vor allem aber gelte es, Songs seines zwanzigsten Studioalbums, «Letter to You» (2020), zusammen mit Klassikern und Covers zu einem schlüssigen Repertoire zu fügen.

Methodische Nonchalance

Die alten Kämpen der E Street Band wie der Gitarrist Steven Van Zandt und der Drummer Max Weinberg erzählen, wie obsessiv Springsteen einst auf der Detailarbeit beharrt habe. Unterdessen sei er lockerer geworden; zu locker, findet der Manager Jon Landau. Springsteens Nonchalance scheint allerdings seiner Erfahrung entsprungen. Etwas gehe ohnehin immer schief im Konzert, findet der Bühnenprofi; Fehler aber machten die Live-Musik aus. Und Max Weinberg erklärt dem Perkussionisten Anthony Almonte, was der Frontmann im Konzert nie sagen werde: «So haben wir das aber nicht geprobt!» Vielmehr verlange er von allen Offenheit und Flexibilität.

Almonte spielt zum ersten Mal für die E Street Band. Die Formation ist zuweilen auf neue musikalische Fachkräfte angewiesen. Bruce Springsteen aber, das betonen seine Kumpane immer wieder, setze so weit wie möglich auf Konstanz in der Besetzung und auf einen geradezu familiären Zusammenhalt der Musikerinnen und Musiker. Steven Van Zandt scheint tatsächlich eine Art Bruder zu sein, und die Chorsängerin Patti Scialfa hat Bruce Springsteen 1991 geheiratet.

Selbst inzwischen verstorbene Musiker der E Street Band werden nicht vergessen, sondern rituell und regelmässig gewürdigt. Wenn Springsteen den Titel «Nightshift» anstimme – eigentlich eine Huldigung der Commodores an den verstorbenen Soul-Star Marvin Gaye –, dann gedenke er jeweils des 2011 verstorbenen Saxofonisten Clarence Clemons, weiss Jon Landau.

Nach intensiver Probearbeit findet im Februar 2023 in der Tampa Bay, Florida der Tournee-Auftakt statt. Das Konzert beginnt mit «No Surrender». Bruce Springsteen scheint all seine Kräfte zu mobilisieren. Im schwarzen Kurzarmhemd, die Haare streng nach hinten frisiert, steht er vor dem Mikrofon und singt: «I’m ready to grow young again.» Man glaubt ihm aufs Wort. «This is the church», wird der Chorsänger Curtis King Jr. nach dem Konzert sagen; von der ersten Sekunde an sei das Publikum «explodiert».

Und freilich ist Bruce Springsteen für seine Fans, die er dann in 31 amerikanischen Arenen beglückt, um anschliessend nach Europa zu reisen, ein priesterliches Idol. In «Road Diary» wird er aber auch als Schwerarbeiter charakterisiert, der alle seine psychischen und physischen Anstrengungen in seine Aufgabe investiert, das Publikum zu unterhalten.

Nichts neu erfunden

In den rund hundert Minuten von «Road Diary» zeigt Thom Zimny seinen Protagonisten tatsächlich meist bei der Arbeit. So kann er einige eindrückliche Konzertmomente bannen und wesentliche Qualitäten des Rock-Stars herausheben. Hingegen erfährt man im Film nichts über den Privatmenschen oder den kritischen Zeitzeugen. Thom Zimny erfindet Bruce Springsteen nicht neu. Und schon gar nicht das Genre der Musiker-Dokumentation.

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