Dienstag, November 26

Die Mammografie sagt: Brustkrebs. Die Nachuntersuchung sagt: falsch. Und eine neue Studie sagt: In so einem Fall ist das Risiko trotzdem höher, später daran zu erkranken.

Eine Mammografie kann eine unangenehme Erfahrung sein, aber damit lässt sich Brustkrebs frühzeitig erkennen, und es sterben weniger Frauen an der Krankheit. Immer wieder kommt es indessen vor, dass die Mammografie auf einen Tumor deutet und sich dann mit weiteren Untersuchungen herausstellt, dass der Alarm falsch war.

In solchen Fällen spricht man von einem falsch positiven Befund – was für die betroffenen Frauen eigentlich ein Grund zur Freude sein müsste. Diese wird nun aber getrübt durch eine jüngst erschienene Studie des Karolinska-Instituts, der medizinischen Universität in Stockholm. Gemäss der Studie besteht bei Frauen mit einer falsch positiven Mammografie ein höheres Risiko, dass sie in den folgenden Jahren doch noch Brustkrebs bekommen.

«Die Studie hat für mich Konsequenzen», sagt Johannes Heverhagen, Direktor der Klinik für Radiologie im Inselspital Bern. «Erstens bei allen falsch positiven Befunden nochmals kritisch alle Untersuchungen anschauen, ob sie auch wirklich falsch positiv waren. Zweitens die Frau darauf hinweisen, dass sie unbedingt weiter regelmässig zur Mammografie gehen soll, auch mit über siebzig Jahren noch.»

Zeigt eine Mammografie eine Auffälligkeit, die auf Brustkrebs hinweist – zum Beispiel einen unregelmässigen, sternförmigen weissen Fleck –, wird meist zunächst ein Ultraschall durchgeführt, bei dichtem Brustgewebe womöglich zusätzlich eine Kernspintomografie. Sieht hier alles gesund aus, braucht die betroffene Frau nichts weiter zu machen. Ist aber auch mit diesen Untersuchungen Brustkrebs nicht auszuschliessen, erfolgt der nächste Schritt, um den Befund abzusichern: eine Biopsie, also eine Entnahme von Gewebe, aus der Brust.

Und dann folgt der nächste Stress

Ein falsch positives Ergebnis bekommen in Europa nach einer Mammografie etwa 25 von 1000 Frauen. Abgesehen vom Zeitaufwand für Untersuchungen und Gespräche mit den Ärzten kann die Situation psychisch belastend sein und Ängste auslösen. Mit der Entwarnung «falsch positiv» kommt dann der nächste Stress, dass für die Frau nun eben doch ein höheres Brustkrebsrisiko besteht.

Die schwedischen Forscher werteten Daten des Mammografieprogramms in Stockholm von genau 593 836 Frauen aus. 45 213 von ihnen hatten einen falsch positiven Befund erhalten. In den folgenden zwanzig Jahren erkrankten 113 von 1000 Frauen mit falsch positivem Ergebnis an Brustkrebs und 73 in der Vergleichsgruppe der Frauen ohne falsch positive Mammografien.

Warum aber ist das Krebsrisiko bei Frauen mit einem falsch positiven Befund erhöht? Darüber lässt sich bis anhin nur spekulieren. Womöglich hatte die Frau den Tumor doch schon bei der ersten Mammografie, aber er war so klein oder unscheinbar, dass er durch die weiteren Abklärungen nicht gefunden wurde. «Manchmal sieht man in der Mammografie eine Unregelmässigkeit, zum Beispiel einen weissen Fleck, für den man dann im nachfolgenden Ultraschall keine Erklärung findet oder den man als gutartig einstuft», erklärt Jann Wieler, Oberarzt in der Radiologie im Unispital Zürich. «Dann wird der Befund zu falsch positiv zurückgestuft, und wir verzichten auf engmaschige Kontrollen – was in der Mehrzahl der Fälle auch richtig ist.»

Zur Hypothese des «übersehenen Tumors» passt, dass Frauen mit falsch positiven Ergebnissen den Brustkrebs eher in der gleichen Brust bekamen, dass er häufig grösser war und auch, dass viele dieser Tumoren nach der ersten Kontrolle gefunden wurden. Das Brustkrebsrisiko könnte aber auch aus anderen Gründen erhöht sein, etwa wegen einer Hormontherapie oder wegen Vererbung.

Eine Frage der Abwägung

Dass sich bei Frauen mit falsch positiven Befunden tendenziell grössere Tumoren fanden, könnte auch daran liegen, dass die Frauen nach dem ersten Test längere Zeit nicht zu Kontrollen gingen. Eine Frau könnte sich in Sicherheit wiegen, weil sie damals ja keinen Brustkrebs gehabt habe, sagt Heverhagen. «Womöglich hält sie dann einen Knoten in ihrer Brust für harmlos und geht nicht zum Arzt.» Nicht auszuschliessen sei zudem, sagt sein Kollege Wieler, dass eine Frau einen falsch positiven Befund als «Versagen der Medizin» ansehe und das Vertrauen verliere.

«Als Arzt möchte man einer Frau, die gerade den Angst machenden Prozess eines falsch positiven Befundes durchgemacht hat, nicht noch zusätzliche Sorgen machen mit der Mitteilung, sie habe möglicherweise ein höheres Brustkrebsrisiko», sagt er. «Wichtig ist, dass Frauen Änderungen an der Brust sofort zeigen, und wir empfehlen – wie die kantonalen Screening-Programme –, alle zwei Jahre zur Mammografie zu gehen.»

Solche Screening-Programme gibt es in der Schweiz nur in bestimmten Kantonen. Auf der Website von Swiss Cancer Screening kann sich eine Frau informieren, ob das in ihrem Kanton der Fall ist. Die Grundversicherung zahlt eine Mammografie zur Früherkennung ab fünfzig Jahren alle zwei Jahre, aber nur Rahmen eines Programms. Die Untersuchung kostet rund 200 Franken.

Jede Frau kann und muss selbst entscheiden, ob sie das machen lassen möchte. Bezogen auf 1000 Frauen zwischen fünfzig und siebzig Jahren wird in der Mammografie zwar bei 17 Frauen Brustkrebs festgestellt, der so harmlos ist, dass er ihnen keine Probleme bereitet. Doch gleichzeitig verhindern die Mammografien 5 Todesfälle.

«Ich kann nachvollziehen, wenn eine Frau Angst hat, zu den 17 Frauen zu gehören und womöglich überflüssige Untersuchungen und psychischen Stress erleiden zu müssen», sagt Heverhagen. «Man muss immer das Risiko einer Überdiagnose gegen das Risiko von zu spät diagnostiziertem Brustkrebs, der tödlich enden kann, abwägen.» Das gelte auch für die Männer, wenn es um Prostatakrebs gehe. «Diese Abwägung kann einem keiner abnehmen.»

Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»

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