Freitag, Oktober 18

Der Luzerner Immobilienökonom Christian Kraft deckt auf, dass nicht allein Zinsen und Inflation den Wohnungsbau ausbremsen. Die Schweiz stehe erst am Anfang einer neuen Knappheit auf dem Wohnungsmarkt.

Der Blick eines Zürcher Architekten, nennen wir ihn Alex M., springt zwischen Excel-Tabellen, Offerten und Preisen von Baumaterialien hin und her. Seit Tagen versucht er sich einen Überblick zu verschaffen. Sein Projekt, ein Wohnhaus für einen privaten Kunden, wird zur Zerreissprobe. Manche Handwerker geben nicht einmal Offerten ab. Einmal fehlt auf der Baustelle der Sanitär oder der Elektriker. Und jetzt verlangt der Baumeister aus heiterem Himmel 50 Prozent mehr für seine Arbeit. Der Kostenschock sitzt so tief, dass das Projekt auf der Kippe steht.

Alex M. muss auch die Nachbarn und Anwälte im Blick haben, von denen viele wahre Meister im Umgang mit Baurekursen sind. Der Architekt wird seinem Kunden erklären müssen, dass es heutzutage unklar sei, wann mit einer Baufreigabe zu rechnen sei. Im Verfahren sind immer noch mehr kommunale und kantonale Ämter involviert, die immer noch mehr Aspekte prüfen, von zonenkonformer Nutzung bis hin zu Lärmschutz und Wärmedämmung.

Der verborgene Kostenschub

Nebst der Ungewissheit, die heute fast jedem Bauprojekt anhaftet, sind Investoren mit der Bauteuerung konfrontiert. Der Baupreisindex des Bundesamtes für Statistik (BfS) ist seit dem Jahr 2020 um rund 15 Prozent gestiegen. Allein die Teuerung sowie höhere Zinsen bremsen den Bau dringend benötigter Wohnungen.

Christian Kraft, Professor für Immobilienwirtschaft an der Hochschule Luzern (HSLU), deckt noch weitere Fakten auf: «Die durchschnittlichen Stückkosten pro Wohnung sind seit 2018 von 472 000 auf rund 600 000 Franken angestiegen.» Wenn wir die Kostenexplosion von 27 Prozent zum Nennwert nehmen, sieht sich der Schweizer Wohnungsbau mit Problemen der gröberen Sorte konfrontiert.

Wie hat der Luzerner Experte gerechnet? Christian Kraft geht davon aus, dass sich nicht nur einzelne Baustoffe oder die Arbeit des Baumeisters verteuern. Die Stückkosten bilden noch andere Faktoren ab – etwa die heute erheblichen Risiken, wenn man wie Alex M. in einer dichtbesiedelten Zone bauen will. «Durch das im Raumplanungsgesetz erklärte Ziel der Innenentwicklung entstehen zusätzliche Komplexitäten im Planungsprozess, Einspracherisiken und längere Bewilligungszeiten», sagt Christian Kraft.

Die Raumplanung lenkt die Entwicklung in die urbanen Räume. Wer dort baut, sieht sich mit einer ausufernden Bürokratie konfrontiert. Vom Lärm- und Gewässerschutz bis zum Schattenwurf sind rigide Bestimmungen einzuhalten. «Die Komplexität der Planung an diesen Lagen schlägt sich in den höheren Stückkosten pro Wohnung nieder», sagt Kraft überzeugt.

In den genannten Durchschnittskosten von 600 000 Franken pro Neubauwohnung ist der Landanteil noch nicht einmal inbegriffen, da dieser sehr unterschiedlich ist. Doch auch hier gilt: Die Raumplanung, die kaum noch Einzonungen von Bauland erlaubt und den Bau in die nachfragestarken Zentren steuert, verteuert das Wohnen. In Städten ist der Preis für einen Quadratmeter Bauland um ein Vielfaches höher als auf dem Land.

Die Krise des Wohnungsbaus ist offensichtlich. Ein Blick auf die Wohnungsproduktion der letzten Jahre zeigt ein alarmierendes Bild: Die Zahl der bewilligten Neubauwohnungen ist seit dem Höhepunkt im Jahr 2013 sukzessive rückläufig. «Die neusten Zahlen deuten sogar auf eine weitere Abschwächung hin», sagt Fabian Waltert, Immobilienökonom bei der UBS. Die rund 35 000 Einheiten im Jahr 2023 sind der tiefste Wert seit zwanzig Jahren (siehe Grafik).

Die Baubewilligungen für neue Wohnungen gehen drastisch zurück

Baugesuche und Baubewilligungen für neue Wohnungen 2002 bis 2023

Krise im Wohnungsbau

Die Gründe liegen auf der Hand: Der aufgezeigte markante Anstieg der Stückkosten muss bei gleich viel Kapital, das eingesetzt wird, unweigerlich zu einem tieferen Output an Wohnungen führen. Auch die höheren Finanzierungskosten und das Investorenverhalten geben nicht Anlass zu Hoffnung, im Gegenteil. Die Pensionskassen haben die zulässige Immobilienquote während der Tiefzinsphase bereits ausgeschöpft. Aufgrund höherer Zinsen stehen allen Investoren andere, attraktivere Anlagemöglichkeiten offen.

Sebastian Zollinger, Head Real Estate Advisory bei PwC Schweiz, führt sowohl regulatorische als auch ökonomische Ursachen ins Feld. Erstens zur Regulierung: Das 2014 in Kraft gesetzte Raumplanungsgesetz sehe in den Grundzügen vor, dass die Schweiz in den Städten in die Höhe wachse und nicht mehr in die Breite auf dem Land. Doch die Innenverdichtung scheitere allzu oft an rigiden Bauvorschriften.

«Für grössere Investoren ist die Attraktivität des Wohnungsbaus im derzeitigen Marktumfeld erheblich zurückgegangen», so Zollinger. Lange Fristen in Kombination mit höheren Projektrisiken infolge Einsprachen und Verzögerungen – das ist letztlich der Albtraum vieler Investoren.

Zweitens spielen ökonomische Faktoren mit hinein. Manche Investments kommen für institutionelle Investoren nicht in Betracht, weil sie die Rentabilität im Gesamtportfolio trübten. Der deutliche Zinsanstieg letztes Jahr verteuert die Finanzierung von Wohnbauprojekten. Der Experte Sebastian Zollinger hält dazu fest: «Um die höheren Finanzierungskosten auszugleichen, suchen die Investoren Immobilien mit einer höheren Rentabilität, die es ihnen erlaubt, diese Mehrkosten aufzufangen.»

Ähnlich wie Christian Kraft kommt Zollinger zu einem ernüchternden Schluss: «Wir sind auf direktem Weg zu einer weiteren Verknappung des Wohnungsangebots.»

Investoren ziehen sich zurück

Erfahrene Fachleute sprechen von einer eigentlichen «Baumüdigkeit». Dazu gehört Stefan Cadosch, der früher dem Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein (SIA) als Präsident vorstand und heute ein auf Baukosten spezialisiertes Startup leitet.

Natürlich ist ihm klar, dass steigende Zinsen und die Bauteuerung den Wohnungsbau dämpfen. Doch Stefan Cadosch weiss auch bestens Bescheid, welche Blüten die Bürokratie treibt: «Vor dreissig Jahren genügten für ein Baugesuch zehn A4-Seiten. Heute benötige ich dafür fünf Bundesordner an Unterlagen, meist noch in zigfacher Ausführung für die verschiedensten Ämter.» Der Aufwand aufseiten Bauherr habe sich deswegen vervielfacht.

Mehr Aufwand heisst höhere Kosten, die direkt beim Investor anfallen – «ohne dass dem irgendein Nutzen für den Bauherrn gegenübersteht». Selbst bei geringfügigen Massnahmen spricht Cadosch von einem Ämtergang ohne Ende, auch wenn es nur um einen kleinen Wintergarten geht.

«Im Fall von Zürich sind dabei bis zu zwölf Ämter involviert», so die Erfahrung von Cadosch. Er kommt zu dem Schluss, dass die Baubürokratie über den Einzelfall hinaus weitreichende Folgen hat: «Eben deshalb macht sich auch bei vielen institutionellen Investoren eine Baumüdigkeit breit, und sie suchen vermehrt nach Alternativen zum Wohnungsbau.»

Die Folgen sind klar: Die anhaltende Verengung des Angebots an Mietwohnungen verursacht steigende Mietpreise auf dem Markt und eine rückläufige Leerwohnungsziffer. Die Mieten der neu ausgeschriebenen Wohnungen haben sich letztes Jahr gemäss Zahlen von Wüest Partner um 4,7 Prozent verteuert. Der Trend wird sich dieses Jahr fortsetzen.

Eine rasche Entspannung der Situation ist nicht in Sicht. Die für dieses Jahr erwarteten Zinssenkungen der Schweizerischen Nationalbank (SNB) könnten zwar eine gewisse Entlastung bringen. «Der Rückgang beim Wohnungsbau wird aber frühestens 2025 Boden finden», so die Einschätzung des UBS-Ökonomen Fabian Waltert.

Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»

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