Samstag, November 23

Die Risikoprämien an den Börsen bewegen sich in Zyklen auf und ab. Das heutige Umfeld erinnert stark an die Exzesse in der letzten Phase der Internethausse Ende der Neunzigerjahre. Was hat es demnach zu bedeuten, dass Warren Buffett Aktien wie Apple oder Bank of America in rauen Mengen verkauft und stattdessen Bargeldreserven anhäuft?

Barry Bannister, der Chef-Aktienstratege beim US-Investmenthaus Stifel, hat unlängst eine hervorragende Studie zu den künftigen Renditen von Anlagen an der Börse veröffentlicht. Er stützt seine Analyse auf eine Kenngrösse, die in der Branche als Equity Risk Premium oder kurz ERP bezeichnet wird. Gemeint ist damit die zusätzliche Rendite, die Aktien im Vergleich zu als risikolos betrachteten Anlagen wie US-Staatsanleihen künftig einbringen werden.

Gemäss Bannister können Investoren bei den amerikanischen Aktien im Leitindex S&P 500 in den nächsten zehn Jahren durchschnittlich bloss mit einer risikoadjustierten Rendite von nicht mehr als 3% pro Jahr rechnen. Seine Argumentation illustriert er anhand der folgenden Grafik:

Ironischerweise ist dies genau das Argument, das Warren Buffett 1999 in seinem berühmten Referat an der Allen & Company Sun Valley Conference in Idaho machte, im privaten Kreis mit seinen Freunden teilte und schliesslich in der Novemberausgabe des Wirtschaftsmagazins «Fortune» in einem Essay publizierte. Er sprach dabei von einer «biblischen Symmetrie», die an den Märkten zwischen der Beliebtheit respektive der Bewertung von Aktien und künftigen Renditen besteht.

Wie Bannister ist Buffett der Meinung, dass sich die Renditen an den Börsen in Zyklen bewegen: Befinden wir uns heute diesbezüglich im Penthouse eines Wolkenkratzers, wird man sich morgen mit einem Platz im Keller abfinden müssen.

Parallelen zu 1999

In diesem Kontext ist bemerkenswert, dass Buffett in jüngster Zeit Aktien von Unternehmen wie Apple und Bank of America in rauen Mengen veräussert hat. Dies, obwohl er sagt, dass seine bevorzugte Haltedauer «ewig» sei. Auch hat er einen massiven Bestand an Bargeld aufgebaut, der rund 30% der Marktkapitalisierung seiner Investmentgesellschaft Berkshire Hathaway entspricht.

Um dieses Verhalten mit Baseball zu vergleichen: Buffett verhält sich bei der Selektion von Einzelaktien ungefähr so, als würden die Los Angeles Dodgers das gegnerische Team darum bitten, ihren Superstar Shohei Ohtani einfach auf die erste Base zu schicken, anstatt ihm die Chance auf einen Home Run zu geben. Anders gesagt: Warum verzichtet der beste Stock Picker aller Zeiten momentan freiwillig darauf, Aktien auszuwählen und erhöht stattdessen lieber seinen Bestand an Cash?

Hier sind die Überlegungen, die Buffett 1999 kurz vor dem Platzen der Internetblase geäussert hatte:

  1. Anleger erwarten zu viel von Aktien. Stifel-Stratege Bannister vertritt in dieser Hinsicht die Auffassung, dass das Geschehen an den Märkten einer Zeitschleife wie im Film «Groundhog Day – Und täglich grüsst das Murmeltier» gleicht und sich manche Dinge laufend wiederholen: Es ist mehr als zwanzig Jahre her, seit sich Investoren an viel zu hohen Bewertungen die Finger verbrannt haben, wovor Buffett seinerzeit warnte. Gemäss Daten der US-Notenbank halten amerikanische Haushalte gemessen an ihrem Vermögen derzeit einen dreimal so hohen Anteil an Aktien wie 1982.
  2. Buffetts «biblische Symmetrie» basiert im Wesentlichen auf zwei Aspekten: wie teuer Aktien sind, und wie niedrig oder hoch die Zinsen sind. Bannister macht in seiner Studie zwar keine Aussagen zum aktuellen Zinsniveau. Die «biblische Symmetrie» zeigt sich heute aber in der winzigen Risikoprämie für Aktien.
  3. Die Aktienrenditen sind über die Unternehmensgewinne bis zu einem gewissen Grad mit dem Wirtschaftswachstum verlinkt, werden aber stärker von der Entwicklung der Zinsen beeinflusst. Von 1964 bis 1981 expandierte die US-Wirtschaft um 370%, doch der Dow Jones stieg nicht an. Als die Zinsen dann fielen, wuchs die Wirtschaft von 1981 bis 1998 um 200%, und der Dow kannte in diesen siebzehn Jahren so gut wie kein Halten.
  4. Die Zinsen haben einen direkten Einfluss auf die Unternehmensgewinne als Prozentsatz des Bruttoinlandprodukts. Buffett war 1999 zutiefst beunruhigt, als die Unternehmensgewinne 6% des BIP erreichten. Bannister äussert gegenwärtig zu Recht ähnliche Bedenken, denn die Gewinne kotierter Unternehmen liegen bei 11% des BIP. Irgendwann wird dieser Prozentsatz zum historischen Mittelwert zurückkehren – und das ist der Moment, in dem sich die Risikoprämie für Aktien wieder ausweitet.
  5. Noch ein letzter Punkt. Buffett und Bannister erkennen, dass es sich mit der Psychologie des Aktienmarktes ähnlich verhält wie mit dem Pawlowschen Hund. Die Börse eröffnet jeden Tag, und alle – vom Daytrader bis zum Rentner – stellen sich in der Hoffnung an, wundersame Renditen zu erzielen. Wir sagen manchmal: «Hunde jagen Autos nach, und Menschen jagen Aktien nach». Leider geht es dabei in beide Richtungen. Von 1999 bis 2009 machten die Leute einen grossen Bogen um Aktien, als ob sie eine Krankheit vermeiden wollten; genauso, wie sie es auch in der Periode von 1969 bis 1982 taten.

Auf wetterfeste Unternehmen setzen

Im gegenwärtigen Umfeld setzen wir deshalb auf die Strategie eines konzentrierten Portfolios von Aktien, die für Investoren aus Gründen attraktiv sein können, die nicht von der allgemeinen Entwicklung an den Börsen abhängen. Unternehmen aus dem Öl- und Gassektor beispielsweise offerieren ein Produkt, auf das wir vorerst nicht verzichten können. In einem inflationären Umfeld, in dem die Zinsen die Risikoprämie für Aktien wieder auf ein normalisiertes Niveau nach unten drücken, dürften sie sich erfreulich entwickeln.

Value-Aktien waren relativ betrachtet zu lange billig, weil es keinen Grund gab, über einen längeren Zeitraum auf den Erfolg von Value-Strategien zu vertrauen. Doch Aktien wie Target und Merck werden von demografisch vorteilhaften Trends profitieren. U-Haul, ein Vermieter von Zügelwagen, und Häuserbauer sind für die Zukunft gut positioniert, zumal 180 Mio. Amerikaner im Alter von unter vierzig Jahren das Bedürfnis haben, frei nach ihrer Wahl in anderen Regionen des Landes nach einer erschwinglichen Wohnung zu suchen.

Zusammenfassend lässt sich damit sagen, dass Stock Picker wie wir die Verteilung der Wahrscheinlichkeiten zu unserem Vorteil nutzen können. Warren Buffett und Barry Bannister sind sich in ihrem Denken verwandt. Wir sagen dazu gerne: «Das Einzige, was besser ist, als klug zu sein, ist zu wissen, wer klug ist!»

Die englische Fassung dieses Artikels ist abrufbar unter: smeadcap.com

Bill Smead

Bill Smead ist der Gründer und Chief Investment Officer der auf amerikanische Value-Aktien fokussierten Anlagegesellschaft Smead Capital Management. Der Branchenveteran startete das Unternehmen mit heutigem Sitz in Phoenix 2007. Zum Führungsduo gehört sein Sohn Cole. Smead begann seine berufliche Karriere nach einem Wirtschaftsstudium 1980 beim Broker Drexel Burnham Lambert. Weitere Stationen waren Oppenheimer & Co., Smith Barney und Wachovia Securities. Dort leitete er zuletzt als Portfoliomanager die Smead Investment Group. Smead teilt seine Einschätzung zum aktuellen Geschehen an den Finanzmärkten regelmässig im Blog «Missives». Zudem publiziert Smead Capital regelmässig einen hörenswerten Podcast.
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