Donnerstag, Januar 16

Der Weg aus der Dauerkrise scheint nah. Dennoch sind die Erwartungen an die neue bulgarische Regierung tief.

Seit 2022 haben die Bulgaren siebenmal gewählt. Die Urnengänge bringen brachten dabei jeweils unklare Mehrheitsverhältnisse hervor, die schwierigen Koalitionsverhandlungen scheiterten oder mündeten in instabilen Regierungen – und am Ende gab es wieder Wahlen. Das Land ist gefangen in einer Endlosschlaufe.

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Prowestlicher Kurs in Gefahr?

Lange sah es danach aus, als ob sich das Spiel ein weiteres Mal wiederholen würde. Doch nun haben sich vier Parteien wider Erwarten geeinigt. Seit Donnerstag hat Bulgarien tatsächlich eine Regierung. Der frühere Parlamentsvorsitzende Rosen Scheljaskow von der grössten Fraktion Gerb wird als Regierungschef das Kabinett anführen. Neben Vertretern seiner eigenen konservativen Partei werden der Regierung Minister von den Sozialisten und der Protestpartei «Es gibt ein solches Volk» des Fernsehmoderators Slawi Trifonow angehören.

Zudem unterstützt eine Fraktion der DPS die Regierung, ohne selber im Kabinett vertreten zu sein. Die Partei, die als Stimme der türkischen Minderheit gilt, hat sich wegen eines Führungsstreits im vergangenen Jahr in zwei Gruppen aufgespalten.

Der Durchbruch kommt zu einem Preis. Die dezidiert euroatlantische Gerb hatte bisher ausgeschlossen, mit Kräften zusammenzuarbeiten, die für eine Äquidistanz zwischen Russland und dem Westen stehen und die Waffenhilfe an die Ukraine ablehnen. Doch die Sozialisten, denen auch der Staatschef Rumen Radew nahesteht, gehören diesem Lager an.

Angesichts der Kräfteverhältnisse innerhalb der Regierung und der Einbindung Bulgariens in die EU und die Nato ist die Westbindung des Landes zwar nicht ernsthaft in Gefahr. Dennoch haben die Konservativen, die in Brüssel viel politisches Kapital in den Ruf als verlässliche Partner investiert haben, für die Koalition eine rote Linie geopfert.

Fragwürdige Verstrickungen

In euroatlantischen Kreisen hätte man lieber ein Zusammengehen zwischen Gerb und dem ebenfalls prowestlichen Reformbündnis PP-DB gesehen, wie es 2023 für mehrere Monate bestand. Die Koalition zerbrach damals an Meinungsverschiedenheiten über den Reformbedarf im Land, vor allem im Justizwesen.

PP-DB ist während der monatelangen Proteste gegen die weitverbreitete Korruption unter dem langjährigen Regierungschef Bojko Borisow von Gerb gross geworden. Borisow ist nur schon deshalb ein rotes Tuch für die Reformer. Nicht ganz zu Unrecht zweifeln diese an der Bereitschaft der Konservativen zu ernsthaften rechtsstaatlichen Reformen. Borisow hält sich bei Gerb zwar im Hintergrund, dennoch laufen bei ihm die Fäden zusammen.

Ebenfalls von Bedeutung ist das Verhältnis zu Deljan Pejewski, der kontroversesten politischen Figur des Landes. Sein grosser Einfluss auf das Justizwesen und auf viele Politiker, auch aus den Reihen von Gerb, ist ein offenes Geheimnis.

Pejewski ist der Vorsitzende einer der beiden Fraktionen der türkischen DPS, gehört aber selber nicht der Minderheit an. Die Partei war immer auch ein Machtinstrument für Oligarchen. Gegen Pejewski bestehen amerikanische Sanktionen unter der Magnitsky Act. Borisow hat sich nie glaubhaft von ihm distanziert.

Euro-Beitritt als Priorität

Vor diesem Hintergrund sind die Erwartungen an die neue Regierung gedämpft. Mit Fortschritten bei der Rechtsstaatlichkeit und der Korruptionsbekämpfung rechnet niemand, und in der aussenpolitischen Debatte dürften die Störgeräusche lauter werden.

Dennoch herrscht verhaltene Zuversicht. Ein Ausbruch aus der Dauerkrise wäre per se eine positive Entwicklung, schreibt der Politbeobachter Daniel Smilow für den bulgarischen Dienst der Deutschen Welle.

Tatsächlich kann das Land ohne reguläre Regierung etwa bei der Einführung des Euro, einem langjährigen Projekt des Landes, nicht vorankommen. Die Koalition unter Ministerpräsident Scheljaskow hat den Beitritt zur Gemeinschaftswährung zur Priorität ernannt. In dieser Frage sind Fortschritte durchaus möglich.

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