Seit August ist der Gotthard-Basistunnel teilgesperrt. Nur dank der alten Linie ist das Tessin im Personenverkehr nicht abgeschnitten. Jetzt soll sie längerfristig erhalten bleiben.
In den Kehrtunnels um die Kirche von Wassen (Uri) herrscht wieder reger Betrieb – wie es während Jahrzehnten üblich war. Wegen der teilweisen Sperrung des Gotthard-Basistunnels verkehren praktisch alle Fernverkehrszüge der SBB ins Tessin über die Bergstrecke. Nur zwischen Freitagabend und Sonntagabend fahren einzelne Personenzüge durch den Basistunnel. Auch einige Güterzüge leiten die SBB über die Bergstrecke. Die Bundesbahnen schätzen, dass der Basistunnel erst im September wieder vollständig zur Verfügung steht.
Die Entgleisung eines Güterzuges im August 2023 im Basistunnel machte allen klar, wie wichtig die alte Linie als Umleitungsstrecke bleibt. Der Bund will diese nun längerfristig erhalten, wie aus einem Entscheid hervorgeht, der bisher kaum auf Beachtung gestossen ist. In Antwort auf Interpellationen der Urner Ständeräte Josef Dittli (FDP) und Heidi Z’graggen (Mitte) legte die Landesregierung Ende des letzten Jahres offen, dass der Bund und die SBB eine Milliarde Franken in die Gotthard-Bergstrecke investieren wollen. Diese soll in den nächsten Jahrzehnten saniert werden.
Die Investition hatten der Bund und die SBB schon vor der Entgleisung beschlossen. «Die Unterbrechung hat aber bestätigt, dass eine Ausweichstrecke am Gotthard wichtig ist», sagt Michael Müller, der Sprecher des Bundesamts für Verkehr (BAV). Es gehe darum, Tunnels, Brücken und die Fahrbahn auf der ganzen Strecke zu erneuern. Grössere Investitionen seien ab der Leistungsvereinbarung mit den SBB von 2029 bis 2032 geplant.
Am Ende der Lebensdauer
Ein Grossteil der Anlagen komme ans Ende ihrer Lebensdauer, sagt der SBB-Sprecher Reto Schärli. Vor allem die zahlreichen Kunstbauten und die Bahntechnik sind betroffen. Die Bundesbahnen wollen von 2025 bis 2050 jährlich einen zweistelligen Millionenbetrag investieren. Die Mittel kommen aus dem Bahninfrastrukturfonds. Die Strecke soll gemäss Schärli doppelspurig erhalten bleiben.
Das war noch vor wenigen Jahren alles andere als selbstverständlich. Der Fernverkehr gehe jetzt unten durch, sagte der damalige SBB-Chef Andreas Meyer im Jahr 2016 bei der Eröffnung des Basistunnels. «Wir können nicht ein Angebot auf die Schiene stellen, das niemand nutzt.» Für eine überdimensionierte Bergstrecke müssten alle anderen Kunden mitbezahlen.
Die SBB begannen, Weichen auszubauen oder zu verschrauben, was sie mit der Sperrung des Basistunnels plötzlich bitter bereuten. Wo es kurzfristig möglich war, nahmen sie Weichen wieder in Betrieb, wie die Fachzeitschrift «Schweizer Eisenbahn-Revue» im Dezember berichtete.
Der teilweise Rückbau der Infrastruktur ist auf den Kostendruck zurückzuführen. Der Aufwand, um die Bergstrecke zu betreiben, ist gross. Die Strecke mit ihren vielen Tunnels und Brücken muss nicht nur unterhalten, sondern auch gegen Naturgefahren wie Lawinen geschützt werden. Im Jahr 2012 war die Gotthard-Strecke wegen eines Felssturzes bei Gurtnellen tagelang gesperrt.
Erfreut über den Entscheid des Bundes und der SBB zeigte sich der Kanton Uri. Es handle sich um «einen wichtigen Meilenstein», teilte der Urner Volkswirtschaftsdirektor Urban Camenzind unlängst mit. Der Erhalt der Bergstrecke sei dem Kanton seit je ein grosses Anliegen.
Mit den Investitionen ist die Zukunft der Gotthard-Bergstrecke gesichert. Auch die Südostbahn (SOB) hat dazu ihren Teil beigetragen. Seit dem Jahr 2020 betreibt sie den «Treno Gottardo» mit durchgehenden Zügen von Zürich und Basel/Luzern nach Locarno, im Rahmen der Fernverkehrskonzession der SBB bis 2029. In den Jahren nach der Eröffnung des Basistunnels war das Angebot der Bundesbahnen wenig attraktiv. Sie setzten auf der Bergstrecke zunächst nur Regionalzüge ein, deren Passagiere in Erstfeld umsteigen mussten.
Der «Treno Gottardo», den die SOB auch touristisch vermarktet, ist ein Erfolg. «Die Züge sind sehr gut frequentiert», sagt der Direktor Thomas Küchler auf Anfrage. Die SBB gaben diesen Monat bekannt, dass sie die Kooperation mit der SOB auch nach 2029 fortführen wollen.
Redundanz auf Schiene und Strasse erhöhen
Die Redundanz des Bahnnetzes ist nicht nur auf der Gotthard-Achse ein Thema. Im Jahr 2021 war die wichtigste Bahnstrecke der Westschweiz, die Linie Lausanne–Genf, beim Waadtländer Dorf Allaman mehrere Tage lang unterbrochen. Der Bundesrat will nun auf einem ersten Abschnitt eine Ausweichstrecke schaffen. Letztes Jahr hat er beschlossen, im Raum Morges statt des vorgesehenen dritten Geleises einen neuen Tunnel zu bauen.
Die Redundanz ist ebenfalls im Strassenverkehr ein Thema. Im September war der Gotthard-Strassentunnel wegen Schäden an der Decke tagelang gesperrt. Mit der A 13 über den San Bernardino gibt es eine Ausweichroute. Eine Verbesserung wird zudem die zweite Röhre des Gotthard-Tunnels bringen, die sich im Bau befindet. Damit würden sich die Risiken vermindern, da der Verkehr richtungsgetrennt geführt werde, schreibt der Bundesrat in der Antwort auf Josef Dittlis Interpellation. Die Risikosituation auf Zufahrtstrecken bleibe unverändert. Bis der Verkehr im Gotthardtunnel richtungsgetrennt geführt wird, dauert es noch eine Weile: Nach der Eröffnung der zweiten Röhre soll zunächst die bestehende saniert werden.
Im Vergleich zu anderen Alpenübergängen ist die Redundanz in der Schweiz vergleichsweise hoch. Im letzten August unterbrach ein Erdrutsch bei Maurienne in Savoyen die wichtigste Bahnverbindung zwischen Frankreich und Italien (Lyon–Modane–Turin) und die Strasse. Die Züge fielen ohne Umleitungen aus. Die Bahnlinie ist immer noch gesperrt. Erst seit diesem Monat gibt es für die TGV-Züge von Paris nach Mailand wenigstens eine Ersatzverbindung mit Umsteigen auf einen Bus auf einem Teilstück.