Sonntag, Oktober 6

Rund zehntausend Kläger wollten die Corona-Massnahmen des Bundes höchstrichterlich für rechtswidrig erklären lassen. Sie betrachten die Einschränkung ihrer Grundrechte während der Pandemie als unbegründet.

Es kommt selten vor, dass vor dem Bundesgericht eine Hauptverhandlung mit Plädoyers von Kläger und Beklagtem stattfindet. Normalerweise fällen die Richter in Lausanne ihre Urteile einstimmig im Zirkularverfahren ohne Sitzung, oder sie kommen zu einer öffentlichen Urteilsberatung zusammen. Am Donnerstag jedoch gab es eine Hauptverhandlung, wie sie in Bundeszivilprozessen vorgesehen ist, bei denen das Bundesgericht die einzige Instanz ist.

Es klagten rund 10 000 Gegner der Corona-Massnahmen, die vom Bund ursprünglich je einen symbolischen Franken Schadenersatz forderten. Zudem wollten sie die Widerrechtlichkeit der Massnahmen durch das Bundesgericht feststellen lassen. Im Vorbereitungsverfahren einigten sich die Parteien darauf, das Verfahren vorerst auf die Frage der -Widerrechtlichkeit zu beschränken.

Die Anwälte der Kläger, Gerald Brei und Philipp Kruse aus Zürich, haben die Corona-Massnahmen in der Schweiz bereits in zahlreichen Verfahren angefochten. Am Donnerstag kritisierten sie den Bund und die unmittelbaren Bundesbehörden insbesondere für die Zertifikatspflicht, die Testpflicht und die «indirekte Nötigung zur Impfung». Spätestens ab dem Frühsommer 2020, also als sich die Erkenntnisse über das Virus Sars-CoV-2 verfestigten, habe es keine Rechtsgrundlage für die präzedenzlosen Freiheitseinschränkungen während der «besonderen» und «ausserordentlichen Lagen» gegeben, sagte Brei.

Anwalt spricht von «sogenannter Corona-Pandemie»

Sars-CoV-2 sei bis heute nicht «isoliert, gereinigt und biochemisch charakterisiert» worden, sagte der Anwalt weiter. Dem Virus fehle jede Eigenschaft als Krankheitserreger. Die Belastung der Spitäler sei nicht über jene in einer «mittleren oder starken Grippewelle» hinausgegangen. Konsequenterweise sprach Brei von der «sogenannten Corona-Pandemie».

Statt einer gesundheitlichen habe es sich um eine staatsrechtliche Krise von ungeahnter Dimension gehandelt. 2020 habe sich der Bundesrat zum Chefarzt der Schweiz ermächtigt, der Massnahmen zum Schutz der Öffentlichkeit erlasse. Das Parlament komme seiner Aufgabe nicht mehr nach, den Bundesrat zu kontrollieren.

Die Schweiz drohe eine «Diktatur der Exekutive» zu werden, sagte der Anwalt der Kläger weiter. «An die Stelle des Rechtsstaats träte der Polizeistaat.» Gerald Brei wandte sich direkt an das Gericht: «Sie als Bundesrichter müssen sich entscheiden, ob Sie im Einklang mit der Verfassung das Recht oder den Bundesrat schützen wollen.»

Bund habe im besten Wissen gehandelt

Der Vertreter des Bundes, ein Beamter des Finanzdepartements, wies alle Vorwürfe zurück. Der Bundesrat und die Behörden hätten «stets im besten Wissen und Gewissen und in Abwägung aller Interessen gehandelt». Die Massnahmen seien im öffentlichen Interesse und verhältnismässig gewesen.

Auf einzelne Covid-Massnahmen ging der Bundesvertreter nicht ein. Die Massnahmen seien stets Teil eines Massnahmenbündels gewesen, um die Belastung des Gesundheitssystems zu verlangsamen oder zu verhindern. Selbst wenn man hypothetisch davon ausgehe, dass einzelne Massnahmen rechtswidrig gewesen seien, habe der Bund seine Amtspflicht nicht wesentlich verletzt. Eine solche Pflichtverletzung aber wäre Voraussetzung für eine Haftung des Bundes.

Als die fünf Bundesrichter und -richterinnen sich zur Beratung zurückzogen und die Prozessteilnehmer zum Warten vor den Gerichtssaal gebeten wurden, schienen die Kläger, von denen rund ein Dutzend anwesend war, noch guter Laune und vorsichtig zuversichtlich. Eine Frau aus dem Kanton Bern erzählte, dass sie sich im November als Gemeindepräsidentin zur Wahl stelle. Ein Mann erzählte, er sei vier Mal wegen Nichttragens einer Corona-Maske angezeigt worden. Dann überreichte er zwei seiner Bücher zur «Fake-Pandemie».

Die vorsitzende Richterin Florence Aubry Girardin verkündete das Urteil: Das dem Bundesrat vorgehaltene Verhalten erfülle nicht die Voraussetzung der Widerrechtlichkeit, sagte sie. Damit sei eine der kumulativen Voraussetzungen für die Haftungsklage gegen den Bund nicht gegeben. «Die Klage wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.» Die Kosten des Verfahrens betrügen 10 000 Franken und würden zu gleichen Teilen den Klägern auferlegt. Die schriftliche Urteilsbegründung folgt.

Die Kläger sassen wie versteinert auf den Bänken. Sie lächelten ungläubig, schüttelten den Kopf. Das Urteil müssten sie erst einmal verdauen, sagten mehrere. Der Klägeranwalt Brei wollte das Urteil nicht kommentieren, solange die Begründung nicht vorliege.

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