Donnerstag, September 19

Die deutsche Bundesregierung will über Usbekistan nach Afghanistan abschieben. Bedingung dafür war ein Abkommen. Experten sind allerdings skeptisch, ob die Umsetzung einen grossen Effekt hat.

Wirtschaftliche Zusammenarbeit und die Anwerbung von Fachkräften sollten im Mittelpunkt der Reise von Kanzler Olaf Scholz in die zentralasiatischen Länder stehen. So zumindest war die offizielle Verlautbarung aus dem Kanzleramt. Innenpolitisch eine grössere Signalwirkung hatte aber das Migrationsabkommen, das Scholz mit dem usbekischen Präsidenten Schawkat Mirsijojew am Sonntagabend in Samarkand unterzeichnete. Die brisanten Details finden sich in Nebensätzen.

In dem Abkommen geht es vordergründig um die Anwerbung von Fachkräften und die Rückführung von Usbeken ohne Bleiberecht in Deutschland. Letzterer Punkt betrifft allerdings nur rund 200 Personen. Das sind weniger als 0,1 Prozent aller 225 000 ausreisepflichtigen Migranten in Deutschland.

Der Passus zur «Durchbeförderung» von Straftätern in dem Abkommen ist innenpolitisch viel interessanter. Denn er beinhaltet die Bereitschaft Usbekistans, afghanische Straftäter wieder in ihr Heimatland zu befördern. Als Nachbarland von Afghanistan soll Usbekistan eine wichtige Scharnierfunktion einnehmen.

Das zentralasiatische Land war dabei schon lange im Blickfeld des deutschen Innenministeriums. Bereits im Mai sollen laut «Spiegel» Ministeriumsvertreter mit den usbekischen Beamten Wege über Ausschaffungen von afghanischen Straftätern besprochen haben. Es sei Deutschland signalisiert worden, Usbekistan könne die Formalitäten mit den Taliban übernehmen. Zunächst müsse allerdings das Migrationsabkommen abgeschlossen werden, das jetzt von Scholz unterzeichnet wurde.

Gedämpfte Erwartungen über schnelle Umsetzung

Für Deutschland ist diese Regelung über Drittstaaten der einzige Weg für Ausschaffungen, da Verhandlungen mit den radikalislamischen Taliban als Tabu gelten. Seit 2012 gilt auch für Syrien ein Abschiebestopp.

Somit ist die Bundesregierung immer auf Kooperationspartner angewiesen – in diesem Fall soll es Usbekistan sein. Ob das Abkommen allerdings den Praxistest besteht, bleibt abzuwarten. Die Bundesregierung hatte intern bereits die Erwartungen gedämpft und von einem längeren Zeitraum gesprochen.

Der Leiter des Ifo-Zentrums für Migration und Entwicklungsökonomik, Panu Poutvaara, sieht in dem Abkommen dennoch «das Potenzial, die aktuelle Debatte abzukühlen». Vieles hänge von der Umsetzung ab. Er sei aber optimistisch, denn beide Seiten hätten ein Interesse daran, dass es funktioniere, sagte das Mitglied des Sachverständigenrats Migration der NZZ.

Jochen Oltmer, Migrationsexperte von der Universität Osnabrück, ist skeptisch über die innenpolitische Wirkung. Gefordert würden in der Diskussion vor allem rasche Lösungen, die es aus vielerlei rechtlichen und praktischen Gründen nicht geben werde, sagte er der NZZ. «Von daher hat das Abkommen mit Usbekistan weder kurz- noch mittelfristig einen Effekt auf die innenpolitische Debatte.»

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm, sagte der NZZ, es sei innenpolitisch interessant, ob und zu welchem Preis das Abkommen einen Transit durch Usbekistan nach Afghanistan ermöglichen werde. «Denn wir erwarten von der Bundesinnenministerin, dass sie ihren Ankündigungen Taten folgen lässt und Abschiebungen nach Afghanistan mit allen Mitteln fortführt», betonte der Christlichdemokrat.

Dennoch ist die Bundesregierung bemüht, die Unterzeichnung als innenpolitischen Erfolg zu verbuchen. Scholz und auch Innenministerin Nancy Faeser hatten immer wieder die konsequente Abschiebung von ausländischen Straftätern versprochen, aber gleichzeitig auf die rechtlichen Hürden verwiesen. Nach dem islamistischen Attentat in Solingen Ende August mit drei Toten hatte sich der Druck auf die Bundesregierung erhöht. Der mutmassliche Täter war ein Syrer, der sich gar nicht in Deutschland hätte aufhalten dürfen.

Wenige Tage nach dem Terrorangriff wurde erstmals seit drei Jahren wieder nach Afghanistan abgeschoben. In dem Sammelflug ab Leipzig befanden sich 28 afghanische Straftäter. Die Ausschaffung erfolgte mit Unterstützung von Katar.

Ausschaffungen sollen mit afghanischer Airline erfolgen

Die Organisation der Rückführungen über Usbekistan ist laut «Spiegel» schon konkret. So sollten die Ausschaffungen mit der afghanischen Fluggesellschaft Kam Air zunächst nach Usbekistan erfolgen. Den Weitertransport nach Kabul und die entsprechenden Absprachen mit den Taliban sollten dann die Usbeken übernehmen. Ebenfalls sei über direkte Flüge von Leipzig nach Kabul gesprochen worden, hiess es. Diese würden durch eine Charter-Airline abgewickelt.

Erst in der vergangenen Woche war in Berlin ein Migrationsabkommen mit Kenya unterzeichnet worden. Mit Indien, Georgien, Marokko und Kolumbien gibt es bereits solche Vereinbarungen. Mit der Moldau und Kirgistan sind die Verhandlungen bereits weit fortgeschritten, und auch mit den Philippinen und Ghana laufen Gespräche.

Am Montag ist Scholz in die kasachische Hauptstadt Astana weitergereist. Der Kanzler wird dort mit weiteren zentralasiatischen Staatschefs zusammentreffen. Thema der Unterredungen sollen unter anderem Wirtschaft und Energie sein. Kasachstan ist eines der rohstoffreichsten Länder weltweit und verfügt unter anderem über Erdöl. Auch Usbekistan verfügt über grosse Rohstoffreserven.

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