Dienstag, Oktober 1

Die Regierung hat entschieden, vorerst auf neue Vorschriften in Sachen Grünfärberei und Datenaustausch zu verzichten. Die Branche hatte sich unter der Drohung von Staatsvorgaben bewegt. Zudem schielt der Bundesrat nach Brüssel.

Es ist fast ein Naturgesetz: Die staatliche Regulierung des Lebens nimmt laufend zu. Das dürfte vor allem drei Treiber haben: Das Leben wird komplizierter, ausländische Entwicklungen setzen auch die Schweiz unter Anpassungsdruck, und viele Politiker neigen reflexartig dazu, bei gesellschaftlichen Problemen zuerst eine Gesetzeslücke zu sehen.

So ist es bemerkenswert, wenn die Hunde in Bundesbern für einmal nicht bellen. Der Bundesrat ist am Mittwoch bei zwei Dossiers zum Schweizer Finanzsektor zu dem Schluss gekommen, zumindest vorderhand auf eine staatliche Regulierung zu verzichten. Das eine Thema betrifft die Grünfärberei («Greenwashing») – also die Neigung von Anbietern, Produkte als «nachhaltig» oder «klimafreundlich» zu verkaufen, die es nicht sind. Schon die Definition der genannten Begriffe ist knifflig.

Fortschritte geortet

Der Bundesrat hatte im Dezember 2022 einen Bericht zu einem nachhaltigen Finanzplatz Schweiz verabschiedet. Zu den dort genannten «Handlungsfeldern» gehörte auch die Vermeidung von Grünfärberei. Die Botschaft der Regierung an den Finanzsektor in den letzten Jahren lautete etwa wie folgt: «Tut selber mehr, sonst kommen wir mit staatlichen Vorgaben.»

Die Drohung scheint gewirkt zu haben. Die Regierung stellte am Mittwoch «Fortschritte» des Finanzsektors bei der Vermeidung von Grünfärberei fest. Der Bundesrat verwies auf die Selbstregulierungen, welche die Branche am gleichen Tag veröffentlicht hat. Die revidierte Richtlinie der Bankiervereinigung ist für alle Mitglieder verbindlich.

Sie nennt unter anderem Pflichten zur Kundeninformation über die Nachhaltigkeit von Produkten, zur Erhebung von Kundenpräferenzen, zur Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter sowie zur Prüfung der Einhaltung dieser Richtlinien durch die interne und die externe Revision. Die Richtlinie enthält auch gewisse Vorgaben für die Kriterien zur Beurteilung von Nachhaltigkeit. Dabei soll auch die Verwendung von hauseigenen Kriterien zulässig sein.

Auch der Verband der Verwalter von kollektiven Anlagevermögen (Amas) hat seine Richtlinien für die Mitglieder revidiert. Der Versicherungsverband (SVV) hat derweil erstmals Branchenrichtlinien zur Vermeidung von Grünfärberei beschlossen. Die Richtlinien der Versicherer sind allerdings selbst für Mitglieder des Verbands nicht verbindlich. Laut SVV sehen seine Statuten nicht vor, dass der Verband Richtlinien für verbindlich erklären könne. Der Beschluss zu den Richtlinien sei aber im Verbandsvorstand einstimmig gefallen.

Die neue Selbstregulierung soll nach einer Übergangsfrist ab Anfang 2027 vollständig gelten. Der Bundesrat hat jedoch deutlich gemacht, dass ihn die Anstrengungen des Finanzsektors noch nicht voll befriedigen. Er sprach am Mittwoch von «offenen Punkten», bei denen die 2022 definierten Ziele des Bundesrats noch nicht erfüllt sind. Die genannten Lücken betreffen unter anderem die zulässigen Definitionen von Nachhaltigkeit («Referenzrahmen») sowie die Durchsetzbarkeit.

Unklare Sanktionen

So ist unklar, was bei Verstössen gegen die Branchenrichtlinien passiert. In der Amas-Richtlinie heisst es, dass die Betroffenen «geeignete Massnahmen» ergreifen müssten. Die Richtlinie der Bankiervereinigung hat keine Bestimmungen dazu. Als Sanktionsmittel käme bei Selbstregulierungen am ehesten der Pranger infrage – im vorliegenden Fall mindestens eine Bemerkung der externen Revisionsstelle im Jahresbericht. Die Bankiervereinigung gab auf Anfrage keine direkte Antwort zu möglichen Sanktionen.

Der Bundesrat hat den Finanzsektor jedenfalls nur auf Bewährung freigesprochen. Für den vorläufigen Verzicht auf Gesetzesvorgaben sprachen auch Unklarheiten über die künftige Entwicklung in der EU. Wie es sich für die regulierungsfreudige EU gehört, kennt Brüssel bereits eine «Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor» von 2019.

Diese Verordnung steckt zurzeit in Revision. Im Mai dieses Jahres hat die EU-Kommission ihren Bericht zur Konsultation über die Wirkung der Verordnung und über Anpassungsbedarf publiziert. Mit Verschärfungen wird zu rechnen sein. Schweizer Finanzinstitute mit einem Geschäftsmodell, das auch auf EU-Kunden ausgerichtet ist oder Angebote mit EU-basierten Produkten vorsieht, sind laut Branchenangaben den relevanten EU-Regeln unterstellt.

Laut Bundesrat soll es bis spätestens Ende 2027 eine neue Lagebeurteilung geben. Dabei werden die Entwicklungen in der EU und die Umsetzung der neuen Selbstregulierung im Schweizer Finanzsektor eine wichtige Rolle spielen.

Wem gehören Kundendaten?

Ähnliche Vorzeichen gelten bei einem weiteren Finanzplatz-Dossier. Dabei geht es im Kern um die Frage, wem die Kundendaten gehören: den Finanzinstituten oder ihren Kunden? Der Bundesrat hatte sich 2022 die Förderung eines offenen Finanzplatzes («Open Finance») auf die Fahne geschrieben. Gemeint war damit die Bereitschaft von Finanzinstituten, Kundendaten auf Wunsch der betroffenen Kunden anderen Anbietern zugänglich zu machen. Das soll die Innovation fördern. Hat ein Kunde zum Beispiel Beziehungen zu mehreren Finanzinstituten, kann eine Verknüpfung der Kundendaten neue Angebote von Drittfirmen unterfüttern – wie zum Beispiel für die Berechnung des ökologischen Fussabdrucks oder für das Anlagemanagement.

Aus der engen Sicht des einzelnen Instituts mag es problematisch erscheinen, die «eigenen» Kundendaten anderen Finanzdienstleistern und damit vielleicht auch potenziellen Konkurrenten zur Verfügung zu stellen. Im Unterschied zur EU und zum Vereinigten Königreich gebe es in der Schweiz keine gesetzliche Verpflichtung für Finanzinstitute, auf Wunsch des Kunden anderen Dienstleistern Zugang zu Kundendaten zu geben, hatte der Bundesrat 2022 festgestellt. Und auch hier erging eine Drohung an die Branche nach dem Motto «Wenn ihr nicht vorwärtsmacht, werden wir eingreifen».

Auch in diesem Fall reagierte die Branche. Im Mai 2023 hatten 40 Finanzinstitute eine Absichtserklärung in Sachen Multibank-Angebote unterzeichnet. Zu dieser Gruppe zählen auch grosse Anbieter wie die UBS, ZKB, Postfinance und Valiant. Die teilnehmenden Banken decken laut Branchenschätzung über die Hälfte des Retail-Markts in der Schweiz ab. Vor diesem Hintergrund hat der Bundesrat am Mittwoch beschlossen, vorderhand auf eine staatliche Regulierung zu verzichten. Er will aber die weitere Entwicklung «aufmerksam verfolgen». Auch in diesem Dossier schielt Bern nach Brüssel. Ein Vorschlag der EU-Kommission von 2023 zu einer Verordnung für den Zugang zu Finanzdaten steckt zurzeit im EU-Parlament.

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