Afrikanische Länder haben einen anderen Blick auf den Ukraine-Krieg als die Europäer. Das stellte der Schweizer Aussenminister auf einer mehrtägigen Reise fest. Er sagt, trotzdem positive Signale erhalten zu haben.
Aussenminister Ignazio Cassis ist in den vergangenen Tagen durch das Horn von Afrika gereist – eine Schwerpunktregion der Schweizer Afrika-Politik, Schauplatz einiger der grössten humanitären Krisen weltweit und Herkunftsregion vieler in der Schweiz aufgenommener Flüchtlinge.
Cassis besuchte Äthiopien, Djibouti und Kenya. Er warb dabei auch für die geplante Ukraine-Friedenskonferenz, die Verteidigungsministerin Viola Amherd im Januar angekündigt hat und für die die Schweizer Diplomatie seither trommelt. Die Afrikaner wollten eine Rolle spielen im Friedensprozess für die Ukraine, sagte Cassis am Donnerstagabend bei einem Gespräch in der Residenz des Schweizer Botschafters in Kenyas Hauptstadt Nairobi. Gleichzeitig hätten ihm die Gesprächspartner auch zu verstehen gegeben, dass Afrika mit mehreren Kriegen auf dem eigenen Kontinent konfrontiert sei. Am Horn von Afrika zum Beispiel hat der Bürgerkrieg im Sudan fast 8 Millionen Menschen vertrieben.
Afrikanischer Ärger
Die Friedenskonferenz für die Ukraine hatte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski im Januar bei einem Besuch in der Schweiz angeregt. Die Bundesräte Amherd und Cassis haben die Idee zu einem Prestigeprojekt gemacht, der Aussenminister ist im Februar nach China und Indien gereist, um für das Treffen zu werben. Die Konferenz soll weiter gehen als ein Format, bei dem zuletzt im Januar in Davos die Berater für nationale Sicherheit von 83 Staaten über Wege zum Frieden in der Ukraine diskutierten.
Die Teilnehmer der Schweizer Konferenz, die voraussichtlich in Genf stattfände, wären idealerweise Regierungschefs oder mindestens Aussenminister. Das Treffen soll auch breiter abgestützt sein als das Format mit den Sicherheitsberatern, das heisst: Nicht nur Europäer und klassische Verbündete des Westens sollen vertreten sein – sondern auch der «globale Süden».
Gerade auf dem afrikanischen Kontinent ist dies kein Selbstläufer. Die meisten afrikanischen Staaten sehen den Ukraine-Krieg als einen Konflikt, in dem sie nichts zu gewinnen haben, dafür einiges zu verlieren. Als der Krieg zu einem globalen Anstieg von Weizen- und Düngerpreisen führte, traf dies viele afrikanische Länder hart. Kenya zum Beispiel importierte vor dem Krieg einen Drittel seines Weizens aus der Ukraine und Russland. Viele afrikanische Länder drückten ihren Unwillen, im Ukraine-Krieg Partei zu ergreifen, aus, indem sie sich bei Abstimmungen in der Uno-Generalversammlung enthielten, die Russlands Angriff verurteilten. Das afrikanische Zögern verärgerte Europäer und Amerikaner.
In Afrika wiederum ärgerte man sich, dass der Westen den Konflikten auf dem Kontinent oft wenig Beachtung schenkt, aber Solidarität für die Ukraine einforderte.
Brics-Staaten wollen beitragen – und stellen Bedingungen
Diese Haltung besteht noch immer, wie auch Bundesrat Cassis bei seinen Gesprächen mit Präsidenten, Aussenministern und dem Kommissionspräsidenten der Afrikanischen Union feststellte. «Wir Europäer haben die Haltung: ‹Der Krieg ist zurück in Europa› – als ob es der einzige Krieg in der Welt wäre. Die Afrikaner aber sind mit mehreren Kriegen auf ihrem Kontinent konfrontiert, das habe ich wieder gespürt.» Die Afrikaner seien aber trotzdem gewillt, an einer Lösung für die Ukraine mitzuarbeiten.
Für die Schweiz wäre insbesondere die Unterstützung von Äthiopien wichtig. Das Land mit der zweitgrössten Bevölkerung Afrikas ist Anfang Jahr dem Brics-Staatenverbund beigetreten, dem unter anderem Russland und China angehören. Cassis thematisierte die Friedenskonferenz in Gesprächen mit dem äthiopischen Präsidenten und dem Aussenminister. «Sie sind bereit, es sich anzuschauen, was schon eine Absichtserklärung ist. Die Antwort werden wir in den nächsten Tagen sehen.»
Noch nicht klar ist auch, ob und in welcher Form andere wichtige Brics-Staaten wie China, Indien oder Brasilien, die ein entspannteres Verhältnis zu Russland als der Westen pflegen, an der Konferenz mitwirken würden. Ohne sie ergibt eine Konferenz keinen Sinn, weil diese dann wieder ein Projekt der westlichen Verbündeten der Ukraine wäre. China hat sich freundlich, aber unverbindlich geäussert.
Cassis sieht das Glas bezüglich der Brics-Staaten halb voll: «Alle sind gewillt beizutragen, aber alle haben Wünsche, die nicht immer vereinbar sind mit jenen westlicher Staaten – der Amerikaner oder der Europäischen Union.» Alle würden Bedingungen stellen.
Immerhin scheint die Unterstützung der USA inzwischen gegeben, was vor zwei Wochen noch nicht klar war. Man habe Gespräche geführt, sagt der Aussenminister: «Die USA werden eine Rolle spielen. Welche genau, müssen wir noch klären.»
Mitte April soll Entscheid über Konferenz fallen
Die Schweiz will noch bis Anfang April weiter sondieren, wie viel Unterstützung sie für die Konferenz hat. Bis Mitte April soll ein Entscheid fallen, ob die Konferenz stattfindet und ob zu dem Zeitpunkt, den man ursprünglich angepeilt hatte. Dies wäre noch vor dem Sommer.
Die Schweizer Friedensinitiative hat viele Kritiker, die «Süddeutsche Zeitung» zum Beispiel hat sie eine «diplomatische Show ohne Substanz» genannt. Das liegt unter anderem daran, dass die Konferenz von der Ukraine angeregt wurde und eine Teilnahme Russlands von Anfang an ausgeschlossen war. Ignazio Cassis hat wenig Verständnis für die Skeptiker: «Was ist die Alternative? Herumzusitzen und zu warten. Wenn wir nichts tun, tun wir nichts Falsches, wir tun aber auch nichts Richtiges.» Es gibt zurzeit mehrere Friedenspläne für die Ukraine, aber keine konkreten Prozesse. Man erhalte deshalb viel Ermunterung von allen Gesprächspartnern, sagt der Bundesrat.
«Ein Afrika, das als Erwachsener behandelt werden will»
Die Reise des Aussenministers war seine erste ans Horn von Afrika, er hatte früher schon andere afrikanische Regionen besucht. Es ging auch darum, Erkenntnisse zu sammeln für die nächste Schweizer Subsahara-Afrika-Strategie. Die aktuelle läuft Ende Jahr aus. In Äthiopien legte Cassis zusammen mit dem äthiopischen Aussenminister den Grundstein für den Neubau der Schweizer Botschaft. In Djibouti besuchte Cassis ein von der EPFL durchgeführtes Projekt, das untersucht, wie sich verschiedene Umwelteinflüsse auf Korallen im Roten Meer auswirken. In Kenya – einem Land, das die Schweizer Afrika-Strategie als «wirtschaftliche Löwin» bezeichnet – ging es unter anderem darum, 60 Jahre bilaterale Beziehungen zu begehen.
Er habe auf seiner Reise ein Afrika angetroffen, «das sich emanzipiert, das als Erwachsener, nicht als Halbwüchsiger behandelt werden will», sagt Cassis. Gerade in Bezug auf Geopolitik und Multilateralismus – also auch auf Projekte wie die Friedenskonferenz.