Donnerstag, März 20

Die Sozialpartner haben sich über diverse Lohnschutzmassnahmen zur Abfederung des geplanten EU-Vertrags verständigt. Die Regierung will nun noch eine weitere Gewerkschaftsforderung erfüllen.

Meinungsumfragen sind keine Volksabstimmungen. Deshalb können sich die Befürworter des mit der EU ausgehandelten Vertrags zur Weiterentwicklung der Beziehung noch lange nicht zurücklehnen – trotz den günstigen Ergebnissen der jüngsten Umfrage mit fast zwei Dritteln grundsätzlicher Zustimmung.

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Im Abstimmungskampf wird das Verhalten des politischen Führungspersonals eine zentrale Rolle spielen. Wie engagiert ist der Bundesrat? Wie äussern sich die politischen Parteien? Was sagen die Gewerkschaften? Ringt sich der Gewerbeverband zu einer klaren Haltung durch? Ein wichtiger Faktor dabei ist das Massnahmenpaket im Inland, das den Lohnschutz auch in einem Regime mit dem geplanten EU-Vertrag auf dem heutigen Niveau halten soll.

Im Februar verkündete der Bundesrat eine «gemeinsame Verständigung» der Sozialpartner und der Kantone über elf Massnahmen, welche vor allem die Zugeständnisse der Schweiz an die EU in Sachen Lohnschutz direkt kompensieren sollen. Bei zwei weiteren Massnahmen gab es auch keine fundamentalen Differenzen.

Zehn bis zwölf Monate

Die grösste Kontroverse löste die Massnahme Nummer 14 aus, die es im Februar mangels Konsens nicht auf die Liste des Bundes schaffte: der Ausbau des Kündigungsschutzes für Arbeitnehmervertreter. Für den kommenden Freitag ist aber nach derzeitigem Stand ein konkreter Vorschlag des Bundesrats auf der Agenda – auch ohne Einigung der Sozialpartner.

Die Schweiz kennt im Grundsatz die Kündigungsfreiheit. In diversen Fällen gelten Kündigungen aber als missbräuchlich; die betroffenen Arbeitgeber müssen die entlassenen Angestellten nicht wieder einstellen, doch die Gerichte können eine Entschädigung von bis zu sechs Monatslöhnen aussprechen. Dem Vernehmen nach steht nun zur Diskussion, bei missbräuchlichen Kündigungen von Arbeitnehmern, die gewerkschaftlich tätig oder betriebsintern als Personalvertreter gewählt sind, die maximale Entschädigung auf zehn Monate zu erhöhen. In Diskussion ist zudem die Vorgabe von einer Mediation im Vorfeld einer Kündigung; dies könnte faktisch die Kündigungsfrist von Arbeitnehmervertretern um einen bis zwei Monate verlängern. Betroffen von den Vorschlägen wären Unternehmen mit mindestens 50 Mitarbeitern.

Bei der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sind seit langem gewerkschaftliche Klagen gegen die Schweiz hängig, weil hierzulande Personalvertreter zu wenig vor missbräuchlichen Kündigungen geschützt seien. Eine der Klagen ist schon über zwanzig Jahre alt. Eine vom Bund bestellte Studie der Universität Neuenburg zum Schutz der Arbeitnehmer hatte 2015 angeregt, die Abschreckungswirkung von Entschädigungszahlungen durch Erhöhung des Maximums zu vergrössern. Der Bundesrat scheint zu hoffen, dass er mit seinem Vorschlag die Gewerkschaften in doppelter Hinsicht besänftigen kann – zugunsten einer Unterstützung des EU-Vertrags und eines Rückzugs der Klagen bei der ILO.

20 bis 30 Problemfälle

Laut Gewerkschaftskreisen dürfte die diskutierte Ausdehnung überschaubare Auswirkungen haben; so gebe es pro Jahr nur etwa zwanzig bis dreissig Streitfälle zu Kündigungen von Personalvertretern. Gemäss Arbeitgebervertretern zeigt dies, dass es gar keinen Handlungsbedarf gibt. Grösser ist die potenzielle Betroffenheit der diskutierten Ausdehnung. Laut Bundesstatistik gibt es in der Schweiz über 11 000 Unternehmen mit mindestens 50 Mitarbeitern. Auch wenn längst nicht alle von diesen Firmen gewerkschaftlich aktive Angestellte oder intern gewählte Personalvertreter haben, hätte wohl eine vier- bis fünfstellige Zahl von Angestellten im Vergleich zu anderen Mitarbeitern einen höheren Kündigungsschutz. Erfasst wären möglicherweise auch Personalvertreter in Pensionskassen der Arbeitgeber.

Widerstand aus dem Gewerbe

Für Donnerstag ist ein Treffen der Präsidenten der Sozialpartner mit dem Wirtschaftsminister Guy Parmelin geplant. Schon jetzt ist aber absehbar, dass es in diesem Punkt keine Einigung der Sozialpartner geben wird. So lehnt der Gewerbeverband den Ausbau des Kündigungsschutzes für Personalvertreter klar ab. «Diese Massnahme hat überhaupt nichts mit dem EU-Vertrag zu tun», sagt der Verbandsdirektor Urs Furrer: «Wir wehren uns deshalb aus grundsätzlichen Gründen dagegen.» Dagegen spreche auch, dass man damit «eine neue Kategorie von Kündigungsschutz» schaffe mit der Gefahr, dass der erhöhte Schutz «in ein paar Jahren auf andere Zielgruppen ausgedehnt wird».

Auch der Arbeitgeberverband hat die Ausdehnung bekämpft. Es habe in diesem Punkt keine gemeinsame Verständigung der Sozialpartner gegeben, betont der Verbandsdirektor Roland Müller: «Wir lehnten die Erhöhung der Sanktionen ab und auch den Einbezug von betriebsexternen gewerkschaftlichen Tätigkeiten in einen ausgebauten Schutz.» Die Arbeitgeber waren laut Müller bereit, bei Kündigungen von Arbeitnehmervertretern über eine Voranmeldefrist von einem Monat zu reden – nach dem Muster des Gesamtarbeitsvertrags in der Maschinenindustrie.

Zum erwarteten Vorschlag des Bundesrats nahm Müller am Mittwoch noch nicht direkt Stellung: «Wir haben dazu im Arbeitgeberverband keinen Beschluss gefasst und kennen den Vorschlag auch noch nicht im Detail. Wenn alle Angaben vorliegen, werden wir eine Gesamtbeurteilung des Lohnschutzpakets machen.»

Einigkeit herrscht derweil im Grundsatz über die Idee, den Bestand der allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträge (GAV) zu bewahren. Bei einigen GAV namentlich im Bausektor könnte das nötige Arbeitgeberquorum bald unterschritten werden. Derzeit müssen für die Allgemeinverbindlichkeit mindestens 50 Prozent aller betroffenen Arbeitgeber beim GAV mitmachen. Vorgesehen sind nun Erleichterungen bei dieser Vorgabe bei jenen GAV, die bereits allgemeinverbindlich sind.

Gar keine Freude über die geplanten Änderungen bei Kündigungsschutz und GAV-Regeln herrscht in der SVP, der Partei des Wirtschaftsministers Parmelin. «Das ist ein Angriff auf den liberalen Arbeitsmarkt», sagt die SVP-Nationalrätin und Unternehmerin Magdalena Martullo-Blocher. Und: «Der Bundesrat will durch die Hintertür des EU-Vertrags neue Regulierungen für den Arbeitsmarkt einführen, die er im Parlament sonst nicht durchbringt.»

Die Einigkeit der Sozialpartner zur Stärkung der GAV begründet Martullo einerseits mit «Macht- und Finanzinteressen» der Gewerkschaften; anderseits können laut der Unternehmerin bei Arbeitgeberverbänden ebenfalls finanzielle Interessen sowie die Ausschaltung des Wettbewerbs am Arbeitsmarkt eine Rolle spielen.

Taktische Zeitspiele

Schon vorbeugend warnt Martullo zudem vor einer raschen Behandlung der Gesetzesvorlage zum EU-Vertrag im Parlament: «Die Befürworter wollen ein möglichst schnelles Verfahren, damit die Volksabstimmung noch vor den Parlamentswahlen 2027 stattfindet. Doch die Vorlage ist so umfangreich und hat so viele problematische Punkte, dass eine fundierte Auseinandersetzung notwendig ist.»

Die Zeitfrage spielt eine zentrale Rolle bei den Diskussionen um das Prozedere im Parlament. Vorgesehen sei das gleiche Prozedere wie bei den Vorlagen zu den Vertragspaketen für die Bilateralen I und II, sagt der Zürcher FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann: «Die Zuständigkeit liegt bei den Aussenpolitischen Kommissionen, und die betroffenen Fachkommissionen können Mitberichte einreichen.» Laut Portmann gibt es aber auch Stimmen, welche die Vorlage auf die einzelnen Fachkommission aufteilen wollen: «Das würde mehr Koordinationsaufwand bringen und das Verfahren verlängern.»

Im Temposzenario käme der Urnengang über die SVP-Volksinitiative zur 10-Millionen-Schweiz Ende 2026 oder Anfang 2027 und die Abstimmung über den EU-Vertrag im ersten Halbjahr 2027 und damit noch vor den Parlamentswahlen. Doch es könnte auch wesentlich länger gehen.

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