Mittwoch, Oktober 9

Eine obligatorische Erdbebenversicherung für Hauseigentümer soll kommen. Im Parlament könnte das Projekt knapp mehrheitsfähig sein.

Die Japaner sind nicht zu beneiden. Sie müssen laut der Nachrichtenagentur Kyodo mit folgender Warnung ihrer Regierung leben: Die Wahrscheinlichkeit eines grossen Erdbebens innert 30 Jahren mit enormen Schäden in dichtbesiedelten Gebieten und im schlimmsten Fall mit mehr als 200 000 Todesopfern ist 70 bis 80 Prozent. Ob es schon nächste Woche passieren dürfte oder eher erst in 10 oder 25 Jahren, kann keiner sagen.

Japan ist besonders exponiert, weil in der Nähe des Landes vier grosse Erdplatten zusammenstossen. Die Schweiz hat mehr Glück. Doch selbst unterhalb der Schweiz bebt die Erde oft – sogar täglich. Der Erdbebendienst der ETH Zürich hat seit Jahresbeginn schon über 1300 Beben vermeldet. Knapp 50 davon dürften für Teile der Bevölkerung spürbar gewesen sein.

Bern und Wallis exponiert

Viel seltener sind Beben mit nennenswerten Schadensfolgen. Aber sie sind nicht so selten, dass das Risiko vernachlässigbar wäre. «Etwa alle 8 bis 15 Jahre ist mit einem Beben zu rechnen, das Schäden verursachen kann», schreibt der Erdbebendienst. «Katastrophale» Beben in der Schweiz und dem grenznahen Ausland seien im Durchschnitt «alle 50 bis 150 Jahre» zu erwarten.

Die Spezialisten leiten aus ihren Risikomodellen folgende statistische Erwartungswerte ab: «Innert 100 Jahren können Erdbeben allein an Gebäuden und ihren Inhalten einen wirtschaftlichen Schaden von 11 bis 44 Milliarden Franken verursachen.» Viele andere Schäden zum Beispiel an Strassen und Schienen kämen hinzu. Die höchste Erdbebenwahrscheinlichkeit in der Schweiz liegt im Wallis, es folgt Basel. Doch gewichtet mit dem Ausmass der potenziellen Schäden sieht die Rangliste etwas anders aus: Die Kantone mit dem höchsten Erdbebenrisiko sind – in dieser Reihenfolge – Bern, Wallis, Basel-Stadt und Zürich.

Faktische Staatsgarantie?

In der Schweiz sind laut Bundesangaben nur etwa 15 Prozent der Gebäude gegen Erdbeben versichert. Der Erdbeben-Schadenpool der kantonalen Gebäudeversicherungen reicht mit seinem Maximalvolumen von 2 Milliarden Franken bei einem Grossbeben bei weitem nicht. Manchen Gebäudebesitzern ist wohl kaum bewusst, dass sie nicht gegen Erdbeben versichert sind. Andere mögen spekulieren, dass bei einem Grossbeben der Staat einspringt.

Solche Spekulationen dürften aufgrund der Erfahrungen in der Pandemie stark Auftrieb bekommen haben. In der Pandemie trat der Staat nachträglich als Versicherer auf, ohne zuvor Prämien dafür kassiert zu haben. Gibt es eine faktische Staatsgarantie für Schadenersatz bei Erdbeben, entspricht dies einer Subventionierung der Gebäudeeigentümer. Dies wäre ein Argument für eine obligatorische Versicherung.

Im Parlament waren früher mehrere Anläufe dazu gescheitert. Ein Kerneinwand: Kommt ein Grossbeben nur alle 50 oder 500 Jahre vor, müssen Versicherte während eines langen Zeitraums Prämien zahlen; diese Gelder wären zu verwalten, und der Nutzen komme einer späteren Generation zu, die fast nichts bezahlt habe.

Doch 2021 fand ein Parlamentsvorstoss für eine schlankere Version eine Mehrheit. Anstelle einer jährlichen Prämienzahlung gäbe es eine Eventualverpflichtung für die Gebäudeeigentümer: Erst im Fall eines Grossbebens müssten alle Versicherten etwas zahlen. Der Bundesrat hatte Ende 2023 eine Vorlage zur Änderung der Bundesverfassung in die Vernehmlassung geschickt. Damit würde der Bund die Kompetenz für eine obligatorische Erdbebenversicherung mit Eventualverpflichtung der Gebäudeeigentümer erhalten.

Im vorgeschlagenen Modell sind alle abgedeckten Hauseigentümer verpflichtet, bei einem gravierenden inländischen Erdbeben maximal 0,7 Prozent des Gebäudeversicherungswerts zur Schadendeckung beizutragen – auch wenn das Gebäude des Versicherten selbst keinen Schaden hat. Bei einem Versicherungswert von 800 000 Franken wäre das Maximum somit 5600 Franken. Das vorgeschlagene Modell erfasst über 99 Prozent der gut 2,7 Millionen versicherten Gebäude in der Schweiz. Ausgenommen sind Bundesbauten und Gebäude mit Versicherungssumme über 25 Millionen Franken. Die geplante Versicherung könnte Schäden bis maximal 22 Milliarden Franken abdecken. Dies entspräche dem Schadenspotenzial eines Bebens, das in der Schweiz alle 500 Jahre vorkommt. Bei einem noch grösseren Beben wären wohl Staatshilfen kaum zu vermeiden.

Links-rechts-Graben

Die Vernehmlassung zeigte ein durchwachsenes Ergebnis. Der Bundesrat hat am Mittwoch entschieden, am Grundkonzept festzuhalten. Er will indes aufgrund der Kritik aus diversen Kantonen auf die ursprünglich vorgeschlagene Bundeskompetenz zu einer Erdbebenvorsorge via Bauvorgaben verzichten. Er hofft nun stattdessen, dass die Kantone Mindestvorschriften anwenden.

Die Tendenz aus der Vernehmlassung: Die Linke ist für eine Pflichtversicherung (Stichwort: Solidarität), FDP, SVP und Grünliberale sind dagegen (Stichworte: Fehlanreize und Reduktion der Selbstverantwortung). Die Mitte könnte wie so oft den Ausschlag geben. Sie unterstützt das Projekt. Dies vor allem mit der Botschaft, dass die finanzielle Verantwortung für Erdbebenschäden bei den Gebäudeeigentümern liegen solle – und nicht beim Staat.

Der Versicherungsverband ist zwar für ein Obligatorium, doch nicht für ein Modell mit Eventualverpflichtung statt Prämienzahlungen. Das geplante Modell würde die bisherigen Angebote der Versicherer, die 2023 ein Prämienvolumen von etwa 180 Millionen Franken einbrachten, grossenteils überflüssig machen. Neue Zusatzangebote wären aber möglich.

Der Hauseigentümerverband lehnt die «staatlich verordnete Solidarhaftung» ab. Diese sei unnötig, da die Eigentümer selber die Risiken abschätzen und entsprechend handeln könnten. Der Verband betonte zudem, dass bei einem grösseren Beben ohnehin der Bund Unterstützung bieten müsse – so wie er das in der Pandemie und bei Bankenkrisen getan habe. Damit stärkt der Hauseigentümerverband ungewollt ein Kernargument für die Vorlage.

Aussicht auf Volksabstimmung

Das Finanzdepartement muss nun aufgrund des Regierungsentscheids vom Mittwoch bis Ende Jahr die definitive Vorlage ausarbeiten. Im Parlament ist eine (knappe) Mehrheit möglich; dieses hatte ja eine solche Vorlage gefordert. Doch das ist keine Garantie. Nicht alle Fraktionen dürften geschlossen sein. Immerhin sind die meisten Kantone grundsätzlich für das vorgeschlagene Pflichtversicherungsmodell, was im Ständerat eine Zustimmung erleichtern dürfte. Da es um eine Verfassungsänderung geht, könnte im Fall einer Ja-Mehrheit im Parlament zuletzt das Volk entscheiden.

Exit mobile version