Deutschlands neuer Kanzler will die Bürokratie entschlacken, die illegale Migration begrenzen und die stärkste Armee Europas aufbauen. Bereits im Sommer sollen die Bürger erste Veränderungen spüren.
Deutschlands Kanzler Friedrich Merz hat im Wahlkampf mit grossen Versprechen nicht gespart. Nun setzte er in seiner Regierungserklärung an diesem Mittwoch eine Ankündigung obendrauf: Die ersten spürbaren Verbesserungen im Alltag der Bürger sollen bereits im Sommer kommen.
Geht es nach Merz, soll der Asylzuzug bis zum Sommer spürbar begrenzt, die Wirtschaft von einigen bürokratischen Vorgaben entlastet, erste Kredite für die Erneuerung der Infrastruktur in die Bundesländer zugeteilt werden. In den kommenden Jahren will zudem seine Koalition aus CDU, CSU und SPD die Bundeswehr modernisieren und mit mehr Personal ausstatten.
Dabei begann seine Kanzlerschaft holprig. Kurz nach der Wahl brach er das Versprechen, die Schuldenbremse unangetastet zu lassen, die der Bundesregierung nur eingeschränkt eine Neuverschuldung erlaubt. Stattdessen verhandelte er mit Hilfe der SPD und den Grünen ein nach oben hin offenes Schuldenpaket für zusätzliche Investitionen in Verteidigung, Klimaschutz und Infrastruktur.
Dann verfehlte er im ersten Wahlgang zur Kanzlerschaft die nötige Mehrheit. 18 Abgeordnete seiner eigenen Koalition verweigerten ihm die Stimme. Erst im zweiten Wahlgang war es so weit.
Die Bundeswehr als «stärkste Armee Europas»
Diese Startschwierigkeiten erwähnte Merz in seiner Regierungserklärung nicht. Doch er wählte deutliche Worte, um das Ausmass der vor ihm stehenden Herausforderungen zu beschreiben. Die Entscheidungen der Regierung in den kommenden Jahren würden «prägend sein für das Leben unserer Kinder und unserer Enkelkinder». Wegen Russlands Krieg in der Ukraine stehe «die Friedensordnung unseres ganzen Kontinents auf dem Spiel», warnte er.
Besonders ambitioniert äusserte sich Merz zur von ihm geplanten umfassenden Reform der Bundeswehr. Er verkündete, sein Kabinett werde «zukünftig alle finanziellen Mittel zur Verfügung stellen, die die Bundeswehr braucht, um konventionell zur stärksten Armee Europas zu werden».
Das ist eine Ansage, denn seit über zehn Jahren gilt die Bundeswehr als marode. Es fehlt an Personal und an modernem Gerät, die Führungsstrukturen gelten als ineffizient und verkrustet. Was Merz dagegen unternehmen möchte? Gemäss dem Kanzler soll ein freiwilliger Wehrdienst Abhilfe schaffen. Für Investitionen steht eine Ausnahme von der Schuldenbremse bereit, die er vor seinem Amtsantritt mit der SPD und den Grünen verhandelt hatte.
Zudem will Merz die Rüstungsindustrie europäischer machen. Dabei gehe es nicht nur um die Sicherheit Deutschlands, sondern auch Europas und der Nato, sagte er. Vom transatlantischen Bündnis mit den USA schwärmte Merz in höchsten Tönen. Er habe mit dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump telefoniert. Ziel sei eine baldige Waffenruhe und perspektivisch ein Friedensschluss in der Ukraine.
Vom Transatlantiker zum USA-Kritiker und zurück
Vor der Wahl zum Kanzler, kurz nachdem Trump den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski im Weissen Haus brüskiert hatte, äusserte sich der bekennende Transatlantiker Merz noch anders. Er warf Trump vor, die Situation bewusst provoziert zu haben und stellte die Bündnistreue der Amerikaner infrage. Davon war in seiner Regierungserklärung nichts mehr zu hören.
Von Deutschlands Unterstützung für einen ukrainischen Sieg über Russland sprach Merz auch nicht mehr. Zwar sagte er, seine Regierung werde die Ukraine weiter unterstützen. Doch er stellte klar: «Wir sind nicht Kriegspartei und wollen dies auch nicht werden.»
Nicht nur in dieser Hinsicht führt Merz die Linie seines Amtsvorgängers Olaf Scholz fort. Wie dieser hält Merz die Gründung eines Palästinenserstaats ohne die terroristische Hamas für die beste Chance auf Frieden in Nahost. Kurzfristig wolle er sich für einen «raschen Frieden in der Region» einsetzen, sagte er. Das tönt anders als die Rhetorik des Wahlkämpfers Merz, der Israel im Krieg gegen die Hamas seine uneingeschränkte Unterstützung zugesichert hatte.
Wirtschaftspolitisch ist von Merz’ Wahlprogramm ein zentrales Ziel geblieben: Der Bürokratieabbau. Das umständliche Lieferkettengesetz soll entfallen, die Verwaltung digitalisiert werden. Doch die Rolle des Staates in der Wirtschaft bewertet Merz inzwischen anders. Trommelte er als Wahlkämpfer noch für marktwirtschaftliche Reformen, um Deutschland aus der Rezession zu holen, will er nun als Kanzler private Investitionen in die Industrie steuerlich begünstigen. Zudem solle der Staat schuldenfinanzierte Investitionen in die Eisenbahnen und die Schulen vornehmen.
Mit einer wohlwollenden Opposition darf Merz nicht rechnen
Über die zunehmende Kriminalität auf deutschen Strassen sprach Merz nur indirekt. Anders als im Wahlkampf begründete er die Zurückweisungen Asylsuchender an den nationalen Grenzen nicht mit der erodierenden inneren Sicherheit in Deutschland, sondern mit dem überlasteten Sozialstaat: Es seien zu viele gering qualifizierte Migranten in die Sozialsysteme eingewandert.
Nach der Regierungserklärung holte die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel zu einem polemischen Rundumschlag aus. Sie nannte Merz den Kanzler der «zweiten Wahl», weil er den ersten Wahlgang im Bundestag verloren hatte. Ausserdem äusserte sie ihren Unmut darüber, dass der deutsche Verfassungsschutz ihre Partei als «gesichert rechtsextremistisch» eingestuft hat. Stattdessen unterstellte sie der Regierung Extremismus.
Die Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge kritisierte, die Koalition sei «instabiler», als Dröge es Merz gewünscht habe. Sie warf ihm vor, den europäischen Konsens in der Asylpolitik «aufgekündigt» zu haben. Sören Pellmann, Co-Fraktionsvorsitzender der Linkspartei, schimpfte über den «Aufrüstungswahnsinn» der neuen Koalition. Mit Wohlwollen vonseiten der Opposition dürfte der Kanzler also in den kommenden Jahren nicht rechnen.
Merz hat in seiner Regierungserklärung den Anspruch an seine Amtszeit formuliert, Deutschland werde «wieder nach vorne» kommen. Ob das gelingt, hängt nicht zuletzt von ihm selbst ab.