Samstag, Januar 4

Der Islam-Feind Wilders treibt die Vier-Parteien-Regierung vor sich her, obwohl er ihr gar nicht angehört. Seine Politik ist salonfähig geworden.

Menschen neigen dazu, Probleme kleinzureden, wenn sie dafür (mit-)verantwortlich sind. Ministerpräsidenten sind bekanntlich auch Menschen. Und darum sind die Worte bemerkenswert, die der niederländische Regierungschef Dick Schoof kurz vor Weihnachten ungefragt und ohne Not wählte: «Lief dieses Jahr alles reibungslos? Nein, das konnte jeder sehen. Es war holprig.»

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Er bezog sich auf die am meisten rechts stehende Regierungskoalition, die das 18-Millionen-Einwohner-Land in der Nachkriegszeit je geführt hat. Dass der gemeinsame Weg kompliziert werden würde, zeigte sich schon beim Startschuss im Juli: Gleich vier Parteien sind im Kabinett vertreten, darunter – mit der Rechtsaussenpartei PVV («Partei für die Freiheit») und der Landwirtschaftspartei BBB – zwei ohne jede Regierungserfahrung. Und über den Köpfen der Minister schwebt einer, der gar nicht der Regierung angehört, im Hintergrund aber unentwegt die Fäden zieht: Geert Wilders, der wohl prominenteste Islamophobe Europas.

Dank ihm ging die PVV im November 2023 als klar stärkste Kraft aus den Parlamentswahlen hervor. Wilders wäre als Ministerpräsident prädestiniert gewesen, seine migrationspolitischen Ansichten waren den Koalitionspartnern aber zu extrem. Also einigten sie sich auf Schoof als Regierungschef – einen Parteilosen, der einst der Meinung war, besser keine Meinung zu haben.

Nicht das «Rückgrat einer Banane» – oder doch?

Über die Monate hinweg hat der 67-Jährige an Profil gewonnen. Er hatte aber vor allem alle Hände voll zu tun, um seine Koalition überhaupt zusammenzuhalten. Mindestens zweimal in diesen sechs Monaten stand die niederländische Regierung kurz vor dem Zusammenbruch – und stets war Wilders direkt daran beteiligt.

Anfang Oktober drohte der Rechtspopulist, mit seiner Partei die Koalition zu verlassen, falls diese nicht ein Asyl-Notstandsgesetz nach seinem Gusto verabschiede. Zu Zugeständnissen war er nicht bereit, schliesslich habe er ja «nicht das Rückgrat einer Banane», sagte er damals. Das Notstandsgesetz kam nicht – die PVV verblieb trotzdem in der Regierung.

Der Spott über die Beschaffenheit seiner Wirbelsäule war Wilders gewiss, seine politische Glaubwürdigkeit scheint darunter aber nicht gelitten zu haben. Bei Umfragen schneidet er weiterhin auf dem ersten Platz ab – zu stark treiben Medien und Bevölkerung seine Hauptthemen, Asyl und Migration, nach wie vor um. Den grössten Erfolg hat der 61-Jährige ohnehin schon eingefahren: Seine Politik ist in den Niederlanden salonfähig geworden, die politischen Gegner arbeiten mit ihm zusammen. Der Cordon sanitaire, mit dem Rechtsaussen-Parteien von der Macht ausgeschlossen werden, ist im Königreich definitiv Geschichte.

Aussenminister von Israel ausgeladen

Kurz: Wilders, der formell nach wie vor das einzige Mitglied seiner Partei ist, treibt die niederländische Regierung richtiggehend vor sich her. Aber nicht nur sie: Gemäss der Zeitung «NRC» können die PVV-Mitglieder im Parlament kaum eigenständig handeln. Sämtliche Entscheidungen von Relevanz fälle der Chef persönlich.

Nichts illustriert seine Macht – und Narrenfreiheit – besser als der Nachgang zu den Krawallen von Amsterdam zwischen israelischen Fussballfans und einheimischen Immigranten, die auch den Regierungssitz in Den Haag erschütterten: Als wäre er Teil des Kabinetts, empfing Wilders den israelischen Aussenminister am Flughafen. Wenig später reiste er selbst nach Israel, wo er mit Staatschef Isaac Herzog und Premierminister Benjamin Netanyahu zusammentraf.

Der wirkliche Aussenminister, Caspar Veldkamp, wurde hingegen von der israelischen Regierung wieder ausgeladen, nachdem er eigenmächtig angekündigt hatte, dass man die Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) gegen Netanyahu und den ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant gegebenenfalls ausführen würde. Er tat dies ohne Absprache mit dem Regierungschef Schoof, der ihn in der Folge prompt zurückpfiff – und damit erneut für hitzige Diskussionen im Kabinett sorgte.

Parteiführer mit Burnout

Als wankelmütiges Koalitionsmitglied hat sich die Partei «Neuer Gesellschaftsvertrag» (NSC) entpuppt, die ausgerechnet mit dem Slogan der «verantwortungsvollen Regierungsführung» in die Wahlen gezogen war. Als eine ihrer Staatssekretärinnen im Zuge der Amsterdam-Krawalle zurücktrat, deuteten NSC-Minister an, dass sie es ihr gleichtun und damit die Regierung zu Fall bringen könnten. Bis spät in die Nacht wurde an jenem Freitag verhandelt, bis schliesslich Entwarnung gegeben wurde.

Vorsitzender der NSC ist Pieter Omtzigt, der die Partei 2023 auch gegründet hatte. Doch er war im letzten Halbjahr wegen eines Burnouts mehrheitlich abwesend, was der Verlässlichkeit der Partei nicht eben diente. Denn bei wichtigen Entscheidungen wollte er weiterhin involviert sein.

Der Zentrist ist auf dem Weg der Besserung – aber ganz wiederhergestellt ist er nicht. Das zeigte sich, als Omtzigt, der im Herbst 2023 noch die höchsten Beliebtheitswerte errungen hatte, in einem TV-Interview kurzerhand aus dem Studio lief, als ihm eine Frage zu persönlich war.

«Leider ist das Teil des Erholungsprozesses, der mit Höhen und Tiefen einhergeht. Ihr konntet jetzt einen flüchtigen Blick darauf erhaschen», schrieb Omtzigt danach auf X. Der offene Umgang mit seiner Krankheit scheint seiner Beliebtheit freilich nicht geholfen zu haben: Die NSC ist in Umfragen zuletzt regelrecht abgestürzt.

Der grosse Budgetstreit steht bevor

So ist es alles andere als sicher, dass die neuartige Vier-Parteien-Koalition eine volle Legislatur absolvieren wird. Dass ein Partner regelmässig den anderen droht und ein anderer sowohl im Kabinett als auch in der Bevölkerung kaum mehr Rückhalt geniesst, lässt wenig Gutes erahnen.

Dabei steht der niederländischen Regierung der mutmasslich schwierigste Test erst noch bevor: die Budgetverhandlungen, die auf den Frühling verschoben wurden und bei denen sich die Parteien angesichts der notwendigen Kürzungen alles andere als einig sind. So «holprig» das erste Halbjahr für den bemitleidenswerten Dick Schoof und sein Team war – das zweite dürfte erst recht hürdenreich sein.

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