Sonntag, November 24

Das Inventar des konkursiten Immobilienkonzerns Signa kommt unter den Hammer. Ein Besuch der Auktion im Wiener-Hauptsitz gibt Einblicke in ein Unternehmen, das sich stets grösser machte, als es jemals war.

Wenn es dem Ende zugeht, dann fällt der Schnickschnack weg. Das Dekor weicht dem Eingemachten. Dann zählt das Wesentliche.

Das Wiener Palais Harrach, Adresse: Freyung 3. In der Nachbarschaft rechter Hand steht das Palais Ferstl, daneben das Palais Hardegg, schräg gegenüber das Palais Kinsky. Auf Augenhöhe gegenüber ruht die im Jahr 1200 geweihte Schottenkirche. Es ist einer der repräsentativsten Plätze in der an Repräsentation nicht armen Wiener Innenstadt. Im Stadtpalast aus dem 17. Jahrhundert sitzt die Signa-Gruppe des Immobilienmilliardärs René Benko. Sie sitzt da nicht mehr lange. Die Signa-Gruppe ist pleite und hat offenbar Mietschulden. Der Eigentümer hat den Mietvertrag gekündigt und lässt das Mobiliar versteigern.

«Sie sind in der Gruppe drei», erklärt eine Mitarbeiterin des Auktionshauses Aurena, Firmensitz in Niklasdorf in der Steiermark neben dem Autohaus Leitold. Wie ihre Kollegen trägt sie an diesem Donnerstag Marineblau bis unter die Haarspitze, selbst das Käppi kommt von Aurena und hat das Firmenmotto aufgedruckt: «Versteigern am Limit». Aurena wickelt für den Eigentümer den Signa-Nachlass ab. Interessierten gewährt sie drei Tage lang Zugang zum Firmensitz, zum Innersten, zum Herzen des Signa-Konzerns.

Was bleibt, wenn Benko weg ist?

Von diesem Stadtpalais aus hat René Benko einen der grössten europäischen Immobilienkonzerne aufgebaut, er hat Immobilien wie Trophäen gesammelt, das Chrysler Building in New York, das Hotel Bauer in Venedig, das KaDeWe in Berlin. Banken gaben Geld, Politiker nahmen Geld und liessen dafür ihre Beziehungen spielen. Nun wurde Benko aus dem Haus gejagt. Und eine Frage steht im Raum: Was bleibt von ihm zurück?

Um 13 Uhr 31 darf Gruppe drei in das Palais hinein. Die Aurena-Mitarbeiter geben letzte Anweisungen: Keine Kamera. Nicht zu lange verweilen! Bitter hier entlang zur Nebentreppe! Wer heute in die Räumlichkeiten der Signa-Gruppe gelangen will, der darf schon nicht mehr den Haupteingang mit Stuckverzierung nehmen, der geht nicht mehr über die marmorne Treppe hinauf. Sondern hintenrum.

Das Blendwerk ist erloschen

Der zweite Stock, eine Glastür mit Signa-Logo. «Sodala», sagt der Aurena-Führer und stösst die Gruppe in die Mitte des Signa-Entrées. Unvermittelt steht man da. Schaut sich um. Das Ambiente? Eine Mischung aus Ikea-Showroom und gediegenem internationalem Vier-Sterne-Hotel. Die Signa-Empfangstheke? Ohne frische Blumen. Der Raum ist machtlos. Er wirkt nicht mehr. Das Blendwerk ist erloschen. Nicht einmal das Telefon hat mehr eine Stromverbindung.

Das zentrale Besprechungszimmer mit dem acht Meter langen Tisch, Position 1 im Versteigerungskatalog? Ohne Zweck: Die elektronische Anzeige für den Raum zeigt «frei für den Rest des Tages». An diesem Tisch mit «versenkbaren Stromanschlussleisten», da sass Benko, wann immer er mit seinem schneeweissen Privatflugzeug – Marke Bombardier Global Express –aus seiner Heimatstadt Innsbruck nach Wien kam. Jetzt ist die WLAN-Verbindung – Passwort Signa 4419 – abgedreht.

Der Elbtower – ein Zeugnis aus der heilen Signa-Welt

Vor einem steht der Elbtower als Miniatur in der Nische eines massiven Raumteilers aus braunem indischem Marmor, aber immerhin hat das Bauwerk alle Geschosse. Es sind letzte Grüsse aus einer heilen Signa-Welt. Das tatsächliche Elbtower-Projekt im Hamburger Hafen ist eine Bauruine, der Turm ragt halbhoch nur in den Himmel.

Die Marmorwand – Neupreis 60 000 Euro, Rufpreis 3000 Euro – hat eine Nummer aufgeklebt: Position 71.

Gruppe drei hat das Entrée gestürmt. Nur 15 Minuten bleiben für die Besichtigungstour in der Signa-Zentrale. 23 Menschen verteilen sich im Raum, gucken in die Ecken, hinter die Vorhänge, begutachten. Es ist ein bisschen wie auf einer Safari.

An der Adresse Freyung 3 können Privatpersonen Benkos kaufmännischem Zerfall beiwohnen. Ja, man könnte die Auflösung anfassen, wenn man nur dürfte. Darf man aber nicht. «Bitte nicht berühren», murmeln die Aurena-Mitarbeiter notorisch.

Die Auktion soll bis zu 2,8 Millionen Euro einbringen

180 Positionen umfasst der Prospekt, den man zu Beginn in die Hand gedrückt bekommt, einen Kugelschreiber gibt’s gratis dazu. Auf der Online-Plattform finden sich mehr als 1000 Exponate. Die ersten kamen am Freitag unter den Hammer, darunter Signa-Kleiderbügel. Die vorläufigen Erlöse gibt Aurena nicht bekannt. Bis zum 2. Februar wird in sieben Runden das Signa-Inventar verscherbelt. Laut dem Auktionshaus könnte es bis zu 2,8 Millionen Euro bringen.

  • Lederbank mit 3 Kissen, wandmontiert. Keine Füsse! Rufpreis 80 Euro.
  • Design-Hängeleuchte, 16-flammig, zirka 736/270/8,5 cm. Rufpreis 900 Euro.
  • Laminiergerät Leitz Home Office A4, 7 Euro.
  • Mülleimer, 1 Euro.
  • Zimmerpflanze, zirka 17 cm Durchmesser, 4 Euro.
  • Schneekugel Signa, 5 Euro.
  • Digitaler Duschkopf Hansa Activejet, Rufpreis 6 Euro.
  • Luftpumpe, Rufpreis 3 Euro.

Die Signa-Mitarbeiter haben ihre Schreibtische offensichtlich in Eile verlassen. Seit Ende November hat ihnen das Unternehmen kein Gehalt mehr gezahlt. Die Verbindlichkeiten der Signa-Gruppe belaufen sich auf mehr als zehn Milliarden Euro, es ist die grösste Firmenpleite im Österreich der Nachkriegszeit. Ein verlorener Schreibstift am Boden, der tschechische Pflaumenschnaps Marke Svestka im Regal. Er trägt Staub auf dem Korken. Vielleicht einmal ein Weihnachtsgeschenk?

«Weitergehen!», mahnt der Aurena-Mitarbeiter.

Was macht einer eigentlich hier? Regina, eine flotte Rentnerin aus dem noblen 19. Bezirk, rittert um einen Schmutzläufer aus dem Bürotrakt. «Der wäre perfekt für mein Stiegenhaus», sagt sie. Ein Unternehmensberater interessiert sich für Schallschutzwände. Ein grossgewachsener Mann untersucht eingehend drei E-Bikes, kontrolliert den Tachostand: 50 Kilometer. Wie neu!

Doch es geht um mehr als um Schnäppchen. Kann man hier vielleicht Hinweise darauf finden, wie es überhaupt zum Fiasko kommen konnte? Lag der Niedergang im Protz und Prestigezwang? Muss nicht derjenige, der seines Reichtums nicht sicher ist, ihn ständig betonen? Darf nicht ausgerechnet dann niemand bemerken, dass die schmuckvolle Fassade nur die Leere verdeckt?

Die Magnumflasche Riesling Smaragd kostet 10 Euro

Bei der Mipim-Messe in Cannes – es ist die wichtigste der europäischen Immobilienbranche – erzählen sie sich folgenden Spruch: «Wer die grösste Jacht hat, geht nächstes Jahr pleite.» René Benko reiste im letzten Jahr mit einem 62-Meter-Schiff an.

Die Besichtigungstermine im Viertelstundentakt sind alle ausgebucht. René Benko führte das Leben des Superreichen, unnahbar und vor der Mehrheitsgesellschaft versteckt.

Doch falls einer hoffte, seiner im Firmensitz habhaft zu werden, wird an diesem Nachmittag enttäuscht. Sein Büro ist nicht zu besichtigen. Der Weinkeller – darunter die Magnumflasche Weisswein Riesling Smaragd, Rufpreis 10 Euro, und mehrere französische Rotweine, Klasse Grand-Cru – ist schon geräumt.

Nur das Raumparfum überlebt

Wer eine alte Bauernstube betritt, der kann die Leben spüren, die Generation um Generation dort stattfanden. Sie haben sich in die Wände eingeschrieben, in die Kachelöfen und den Herrgottswinkel. In der Signa-Zentrale hängt nur ein austauschbares Raumparfum.

Den eigentlichen Eingang der Signa-Gruppe an der Palais-Frontseite rahmen immer noch das Firmenlogo, zwei Blumentöpfe und ein roter Teppich. Doch selbst die Ficus-Bäume haben ihre Blätter fallen lassen. Die Reste vertrocknen auf dem Textil. Gekehrt hat hier schon lange niemand mehr.

Gegenüber verkauft ein Florist Edelzedern und Feuerdorn. Man schaut auf die Ficus-Bäume mit den verblassenden Schleifen. Man hofft, dass der Nachbar vielleicht einmal mit einer Giesskanne Wasser herüberkommt.

Die Autorin leitet das Politikressort der Wiener Wochenzeitung «Falter».

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