Sonntag, September 8

Gleich dreimal versuchten die Behörden in der belgischen Hauptstadt, ein hochkarätiges Treffen von europäischen Nationalkonservativen aufzulösen. Etwas Besseres hätte den Veranstaltern nicht passieren können.

Es ist Dienstagnachmittag, 15 Uhr 30, als Éric Zemmour in der Chaussée de Louvain aus einem Wagen steigt. Der Chef der Rechts-aussen-Partei Reconquête ist wider Erwarten doch noch in Brüssel aufgetaucht. Sofort schart sich ein Pulk von Journalisten und Kameraleuten um den früheren französischen Präsidentschaftskandidaten. Mikrofone recken sich ihm entgegen. Auch die Polizisten, die vor dem «Claridge» Posten bezogen haben, mustern Zemmour. Werden sie ihn durchlassen?

Nein, keine Chance. Die Beamten bleiben hartnäckig. «Hier darf niemand mehr rein», sagt einer. Dafür wird Zemmour fröhlich von einer Stimme aus dem Inneren des Veranstaltungsgebäudes begrüsst. «Willkommen in Brüssel!», ruft Filip Dewinter, ein Abgeordneter des flämischen Vlaams Belang. Auch er kann die Polizei nicht überreden, den Franzosen hineinzulassen und an der National Conservatism Conference teilnehmen zu lassen. Zemmour muss draussen bleiben. «Wie Trump sagt: Es ist ein Höllenloch hier!», ruft Dewinter. Der ehemalige amerikanische Präsident hatte einst Brüssel so bezeichnet.

«Zwischen Scharia und Diktatur»

Ist Zemmour über die Absperrung verärgert? Danach sieht es nicht aus. Der Reconquête-Führer reagiert schnell und nutzt den Moment für ein medienwirksames Statement. «Belgien war einst ein freies Land, in dem man Victor Hugo im Exil willkommen hiess», verkündet er der Presse und zuckt mit den Schultern. «Ich sehe heute ein Land zwischen Scharia und Diktatur. Es ist ein trauriges Schicksal für dieses wunderschöne Land.» Dann zieht Zemmour wieder ab.

Die Szene vor dem «Claridge» dürfte Belgien und seine Hauptstadt noch länger beschäftigen. Seit 2019 ist die sogenannte «NatCon», die Konferenz der «National-Konservativen», ein eher unauffälliges Treffen europäischer und amerikanischer Politiker, Publizisten und Akademiker aus dem konservativen bis stramm rechten Spektrum an wechselnden Orten. Noch nie kam es vor, dass lokale Behörden versuchten, den Anlass aufzulösen. Erst recht schickte bisher noch niemand den Teilnehmern die Polizei auf den Hals.

Dass es in Brüssel so weit gekommen ist, hat mit dem breiten Widerstand zu tun, der den Veranstaltern hier entgegenschlug. Sie hatten für den 16. und 17. April einen prunkvollen Ballsaal im Zentrum der Stadt gemietet. Doch nachdem die belgische Menschenrechtsliga und Antifa-Gruppen dagegen protestiert und schliesslich auch Philippe Close, der sozialistische Bürgermeister der Hauptstadt, interveniert hatte, wurde der Vertrag gekündigt. Die «NatCon» wich auf ein Luxushotel im Stadtteil Etterbeek aus. Auch hier übte der örtliche Bürgermeister Druck auf die Inhaber aus, die Konferenz abzusagen.

So landeten die National-Konservativen am Ende in dem etwas weniger schicken Quartier Saint-Josse-ten-Noode, in direkter Nachbarschaft zu einem Swinger-Klub und türkischen Kebab-Buden. Aber zufrieden war man doch, die Veranstaltung, bei der namhafte Gäste erwartet wurden, endlich abhalten zu können.

Neben Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban und Polens früherem Regierungschef Mateus Morawiecki standen etwa die ehemalige britische Innenministerin Suella Braverman, der Brexit-Vorkämpfer Nigel Farage oder der deutsche Werteunion-Chef Hans-Georg Maassen mit Themen wie «Der Nationalstaat im multikulturellen Zeitalter», «Die Zukunft Europas» oder «Familie in der Krise» auf der Rednerliste.

Farage, der am Dienstagvormittag auf die Bühne im «Claridge» stieg, lobte den Inhaber des Hauses, einen Tunesier. Dieser habe dem Druck, die «NatCon» ein drittes Mal zu canceln, nicht nachgegeben. Zu diesem Zeitpunkt erschienen vor dem Gebäude bereits die ersten drei Polizisten mit einer Anordnung. Auf Geheiss des örtlichen Bürgermeisters Emir Kir, sagten sie, solle die Konferenz beendet werden. Zur Begründung hiess es, die Veranstaltung drohe «aufgrund ihres offensichtlich provokativen und diskriminierenden Charakters die öffentliche Ordnung ernsthaft zu stören».

Ungefähr eine Stunde später rückte die Polizei mit Verstärkung an, verzichtete aber darauf, den Saal zu räumen, und begnügte sich damit, den Eingang zu versperren. Farage, der kurz darauf die Konferenz verliess, schäumte. «Einfach monströs, wie bei den Kommunisten» sei die Politik der Behörden, schimpfte er. Auch Patricia Chagnon-Clevers, eine Abgeordnete des französischen Rassemblement national, die vergeblich versuchte, in das Gebäude zu gelangen, schimpfte über die «willkürliche» Anordnung. «Wir erleben einen Angriff auf die Meinungsfreiheit.»

Wasser auf die Mühlen der Rechten

Linksradikale Gruppen hatten Proteste für den Fall angekündigt, dass die «NatCon» stattfinden würde. Angeblich war das auch für Emir Kir der wichtigste Grund, die Konferenz zu canceln. Der türkischstämmige Bürgermeister schrieb auf X jedoch nicht nur, dass er sich um die öffentliche Sicherheit sorge, sondern auch, dass die «extreme Rechte» in seiner Gegend niemals willkommen sei. Für Kir, der selber Kontakte zu türkischen Ultranationalisten pflegt, sollte das wohl nicht gelten.

Haben sich die Lokalpolitiker überhoben? Belgiens Premierminister Alexander De Croo nannte den Vorfall am Dienstagabend inakzeptabel und rechtswidrig. Die Verfassung des Landes, rügte er, garantiere seit 1830 die Freiheit der Rede und der friedlichen Versammlung. Auch aus dem Ausland kam Kritik. «Was in Brüssel passiert, lässt uns ungläubig und bestürzt zurück», sagte die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni. Die Berichte seien «extrem verstörend», hiess es aus London. Und aus Ungarn meldete sich Orban zu Wort. «Das letzte Mal, als versucht wurde, mich mithilfe der Polizei zum Schweigen zu bringen, war im Jahr 1988 unter den Kommunisten», schrieb er auf X.

Die heftigen Reaktionen sollten Wirkung zeigen. Am Mittwoch hob der Staatsrat die Polizeiverordnung auf, und der zweite Konferenztag begann ohne Zwischenfälle, dafür aber mit deutlich erhöhter medialer Aufmerksamkeit. Den National-Konservativen, die sich in ihrem Misstrauen gegen die linken und liberalen Eliten bestätigt sehen durften, hätte wohl nichts Besseres passieren können.

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