«Caravaggio 2025» im Palazzo Barberini in Rom ist ein Publikumsmagnet. 24 Werke, darunter einige bisher selten gezeigte, lassen den Werdegang des rebellischen Malers nacherleben.
Am 27. Mai 1606 ereignet sich ein Mord in Rom. Caravaggio, alias Michelangelo da Merisi, tötet während eines Ballspiels Ranuccio Tommasoni, mit dem ihn sicher keine freundschaftlichen Beziehungen verbanden. An Zeugen fehlt es nicht. Ein Prozess findet aber nicht statt. Die Kirche, die damals in Rom herrscht, greift entschieden ein. Papst Paul V., der im Mai 1605 zum Heiligen Vater gewählt worden war, verhängt die Todesstrafe und macht den Maler zum Freiwild: Jeder, der Michelangelo da Merisi auf dem Gebiet des Kirchenstaates antrifft, hat das Recht, ihn zu töten.
Noch am folgenden Tag floh Caravaggio in Richtung Neapel, dank der Hilfe des Fürsten Filippo Colonna. Warum aber wurde eine so strenge Strafe und vom Papst höchstpersönlich verhängt? Handgemenge, oft auch mit tödlichem Ausgang, waren im damaligen Rom alles andere als eine Seltenheit. War Caravaggio der Kirche ein Dorn im Auge? Und wie kommt es, dass er heute der Star des Heiligen Jahres ist?
Die Ausstellung «Caravaggio 2025» ist zwar keine Initiative des Vatikans, sondern eine staatlicher Museen. Doch begrüsst die Kirche die Idee, das Jubeljahr mit Caravaggio zu feiern. Mindestens 700 000 Besucher werden im Palazzo Barberini in Rom erwartet.
Der Durchbruch
Michelangelo da Merisi kam 1595 als 24-Jähriger nach Rom. Seine Lehrjahre hatte er in Mailand bei dem Maler Simone Peterzano verbracht. Nun wollte er sein Glück in der Ewigen Stadt versuchen. Hier hatte er allerdings weder Freunde noch Mentoren. In den ersten Jahren malte er vornehmlich Stillleben, die sich damals grosser Beliebtheit erfreuten. Doch schon im Gemälde «Kranker Bacchus» wich Caravaggio von dem Genre ab und brachte sich selbst ins Bild ein.
Das Gemälde gilt als sein frühestes Selbstporträt, auf das viele folgen sollten. Im Ansatz lässt sich bereits die dramatische Hell-Dunkel-Malerei erkennen, mit der der Maler zu Ruhm und Ehre gelangte. Noch sieht er kränklich aus. Caravaggio war arm, verkehrte in niedrigen Kreisen und suchte verzweifelt, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, in einem Rom, in dem die Konkurrenz unter den Malern beinhart war.
Das Blatt wendete sich, als 1598 Kardinal Francesco Maria Del Monte auf ihn aufmerksam wurde. Er kaufte einige Bilder und nahm den Maler unter seine Fittiche. Del Monte verhalf Caravaggio zu seinem ersten grossen Auftrag für die Kirche. Er sollte die Kapelle Contarelli in San Luigi de’ Francesi mit Gemälden zum Matthäus-Evangelium, namentlich der Berufung und dem Martyrium des Matthäus, dekorieren.
Caravaggio wagte es, die biblischen Ereignisse nicht als Andachtsbild huldvoll distanziert zu malen, sondern sie als dramatische Momente eines im Hier und Jetzt lebenden Evangelisten zu inszenieren. Die Gegenwart, das Rom der Schankstuben und Strassenhändler, bildete eine neue, nie gesehene Kulisse für die Episoden der Heiligen Schrift. Die Kirche war verblüfft, doch musste sie zugeben, dass gerade diese naturalistische, menschennahe und so wenig andächtige Darstellung die Gläubigen zutiefst ansprach.
Umgehend folgte der nächste Auftrag. Der Schatzmeister des Papstes, Tiberio Cerasi, wünschte sich für seine Kapelle in Santa Maria del Popolo die Kreuzigung Petri und die Bekehrung des Paulus. Es war der Durchbruch. Man verzieh Caravaggio sein ausschweifendes Leben, billigte seinen Umgang mit Prostituierten und Kurtisanen – deren Kunden letztlich ja auch nicht allzu selten die hohen Würdenträger der Kirche waren. Man empörte sich nicht einmal, als die stadtbekannte Lebedame Maddalena Antonietti seiner Pilgermadonna für die Kirche Sant’Agostino Modell stand.
Eine Alte als heilige Anna
Doch dann kam alles anders: Kurz darauf sollte die schöne Lena erneut der Jungfrau als Modell dienen. Diesmal für ein Auftragswerk der Erzbruderschaft der Reitknechte des Papstes. Am 8. April 1606 übergab Caravaggio den Palafrenieri sein Werk. Doch sollte es nur wenige Tage über dem Altar hängen. Caravaggio war einen Schritt zu weit gegangen.
Es war nicht die vollbusige Lena, die sich gemeinsam mit dem Jesuskind der Aufgabe widmet, das Böse zu besiegen, die die Reitknechte störte. Nein, es war die Darstellung der heiligen Anna, ihrer Schutzpatronin: Eine alte Frau mit schlechten Zähnen und runzligem Hals, die eher skeptisch auf die Bemühung von Tochter und Enkelkind, die Schlange zu ihren Füssen zu zertreten, hinunterschaut. Am 16. Juni 1606 verkaufte die Bruderschaft das Gemälde an Scipione Borghese.
Nur wenige Wochen zuvor war Caravaggio notgedrungen aus Rom geflohen, verurteilt von Papst Paul V., dem Onkel von Scipione Borghese. Die Kirche war offenkundig gespalten, das Werk des Malers zu bedeutend, als dass man es hätte übersehen können, sein Lebensstil zu anrüchig, als dass man nun ein Auge hätte zudrücken können. Vielleicht wollte Paul V., dessen Steckenpferd die Rechtsprechung war, auch ein Exempel statuieren.
Vier Jahre lebte Caravaggio auf der Flucht, verweilte in Neapel, Malta und Sizilien, fand überall neue Auftraggeber, die seinen revolutionären Stil zu schätzen wussten. Doch er wollte nach Rom zurückkehren. Dabei hoffte er nicht zu Unrecht auf die Fürsprache von Scipione Borghese, der seinen Onkel dazu bewegen sollte, den Maler zu begnadigen. Auch die Familie Colonna, die ihm einst zur Flucht verholfen hatte, legte ein gutes Wort für ihn ein.
Voller Hoffnung schiffte sich Caravaggio im Juni 1610 auf einer Feluke ein, sein Gepäck bestand aus wenigen Gemälden für Scipione Borghese und den Papst. Doch sollte es seine letzte Reise sein. Er wurde im Hafen von Palo festgenommen, nach zwei Tagen wieder freigelassen, nur war die Feluke mit seinen Werken nach Porto Ercole weitergesegelt. Caravaggio eilte ihnen über Land hinterher, waren sie doch das Pfand für seine Gnade.
Am 18. Juli verliessen ihn die Kräfte. Sein Traum, Rom wiederzusehen, ging nicht in Erfüllung. Doch ist er dort allgegenwärtig, seine Werke gehören seit Jahrzehnten zu den Hauptattraktionen Roms. Die Ausstellung «Caravaggio 2025» im Palazzo Barberini legt nahe, dass die Kirche heute sein Werk für eine wichtige Botschaft an die Glaubensgemeinschaft hält. An dessen Publikumswirksamkeit besteht jedenfalls kein Zweifel. Offenkundig hat man Caravaggio seit langem verziehen.
«Caravaggio 2025», Galleria Nazionale di Arte Antica – Palazzo Barberini, Rom, bis 6. Juli. Katalog: 40 Euro.