Die Kritik am 35 Milliarden Franken teuren Vorhaben wurde in den letzten Monaten immer lauter. Nun wird der CEO ausgewechselt und Personal entlassen. Fachleute reden bereits vom Ende des Tunnels, der von Genf bis St. Gallen führen soll.

Die am Mittwoch publizierte Mitteilung von Cargo Sous Terrain war zuerst einmal ein Lobgesang auf das eigene Projekt. Das vom Unternehmen geplante, mindestens 30 Milliarden Franken teure und im Vollausbau 500 Kilometer lange Tunnelprojekt für den Gütertransport geniesse viel Anerkennung. Es bestehe ein breiter Konsens, dass es eine «nachhaltige Güterversorgung» sicherstellen könne. Cargo Sous Terrain oder kurz CST sei «unverzichtbar».

Doch nach dem Selbstlob folgte die dicke Post: Der Verwaltungsrat wolle «alle Parameter des Projektes nochmals überprüfen». Dazu gehört etwa die Streckenplanung und die Standorte der Hubs, also der Einrichtungen, bei denen die Waren aus dem Tunnelsystem an die Oberfläche kommen und dann feinverteilt werden. Doch auch die Finanzierung und die Anforderungen, die «Markt und Logistik» an das Projekt stellen, werden laut der Mitteilung unter die Lupe genommen.

Der CEO geht

Im Rahmen dieser Anpassung gibt der langjährige Präsident und derzeitige CEO Peter Sutterlüti sein Amt ab, er bleibt aber im Verwaltungsrat. Zudem werde «der Einsatz von Ressourcen den neuen Bedürfnissen angepasst.» Gemäss Sprecherin Jasmin Knight bedeutet das den Abbau von Personal im einstelligen Bereich. Die CEO-Stelle soll in der zweiten Jahreshälfte neu besetzt werden.

Die Mitteilung von Cargo Sous Terrain überrascht niemanden. Bereits 2019 machten der damalige SBB-CEO Andreas Meyer und der Transportunternehmer Nils Planzer klar, dass sie dem Projekt skeptisch gegenüberstehen. Planzer, Chef des grössten privaten Transportunternehmens, zog sich nach anfänglicher Unterstützung rasch wieder zurück. Die SBB gaben 2022 ihren Austritt.

Die frühen Kritiker fanden kein Gehör. Die Initianten von Cargo Sous Terrain weibelten mit Geschick für ihre Pläne. Sie schafften es, ein breit abgestütztes Aktionariat auf die Beine zu stellen und über 100 Millionen Franken einzusammeln, um die Planung durchzuführen. Gleichzeitig brachten sie die Politik auf Trab. Das Parlament beschloss ein Gesetz, das den Bau der unterirdischen Güterbahn von Genfersee bis Bodensee überhaupt erst möglich machte.

Post überprüft Beteiligung

Vor wenigen Wochen berichtete der «Blick», die Post überlege sich einen Ausstieg aus dem Projekt. Post-Sprecher Jonathan Fisch betont, die Post sei weiterhin Aktionär bei CST. Sie wolle nun die Ergebnisse der vom CST-Verwaltungsrat angestossenen Überprüfung des Projekts abwarten, so Fisch weiter. Die Post erachte aber die Herausforderungen für das Projekt als gross und die Umsetzung als nicht einfach. «Die jüngste Entwicklung gibt Anlass, unsere weitere finanzielle Beteiligung ab 2025 eingehend zu prüfen», schliesst er.

Eine weitere Hauptaktionärin ist die Versicherungsgesellschaft Mobiliar. Sie lässt verlauten, sie habe «zum heutigen Zeitpunkt noch nicht entschieden, ob und wie wir das Vorhaben weiter unterstützen werden.»

Der Detailhändler Coop, der ebenfalls zum Kreis der 11 Hauptaktionäre gehört, will offenbar für den milliardenteuren Bau des Projektes keine zusätzlichen Gelder sprechen, wie zwei Quellen gegenüber der NZZ bestätigen. Coop-Sprecher Thomas Ditzler sagt, sein Unternehmen mache zur weiteren finanziellen Unterstützung von Cargo Sous Terrain keine Angaben. «Unser Ziel war es, Cargo Sous Terrain von einem Förderverein zu einer Firma zu entwickeln, die die Realisierung auf eigenen Beinen bewerkstelligt. Dies haben wir heute erreicht», so Ditzler weiter.

«Rückzug auf Raten»

Für Finanzexperte Christoph Hammer ist schon seit langem klar, dass das Projekt keine Realisierungschancen hat. Hammer war von 2016 bis 2021 Finanzchef der SBB und kennt aus dieser Zeit sowohl Cargo Sous Terrain als auch andere grössere Infrastrukturprojekte.

«Die Logistik ist aufgrund tiefer Einstiegsbarrieren einer der kompetitivsten Märkte überhaupt», sagt er. Die Abschreibungen sowie die Betriebs-, Unterhalts- und Finanzierungskosten von Cargo Sous Terrain seien wegen der nötigen Milliardeninvestitionen enorm hoch. «Darum kann sich das Projekt für private Investoren schlicht nicht rechnen», sagt er.

Dazu komme die Frage was passieren würde, wenn zum Beispiel negative Überraschungen beim Tunnelbau das Vorhaben verzögern würden oder sich die Zinsen in die falsche Richtung entwickeln. «Die Konsequenz ist dann, dass der Bund und somit die Steuerzahler einspringen müssen, um das Vorhaben zu retten.»

Laut Hammer ist Cargo Sous Terrain eine äusserst innovative Vision. «Eine Vision muss jedoch finanzierbar sein.» Deshalb sei jetzt die Finanzierungsfrage zu klären. «Geschieht dies nicht, ist eigentlich allen klar, dass es einen Übungsabbruch braucht».

Transportunternehmer Nils Planzer sagt, es spreche nichts dagegen, völlig neue Ideen wie Cargo Sous Terrain zu entwickeln. «Doch es hat schon lange allen klar werden müssen, dass sich dieses Projekt nicht wird umsetzen lassen.»

«Fragwürdige» Rolle der Aktionäre

Es sei zwar auf den ersten Blick bestechend, angesichts verstopfter Autobahnen den Gütertransport unter die Oberfläche zu verlegen. Nur: Die grosse Herausforderung in der Logistik ist laut Planzer die Verteilung der Güter auf der sogenannten letzten Meile – also der Transport zum Firmenkunden oder zur Privatperson. «Hier hat Cargo Sous Terrain bisher kein neuartiges und überzeugendes Konzept vorgelegt.»

Das zweite Problem sind die Kosten. Das zeige sich beim Güterverkehr der SBB. Seit Jahren kämpfe SBB Cargo mit roten Zahlen. «Wie soll da ein Projekt erfolgreich sein, das solch enorme Neuinvestitionen benötigt?», fragt Planzer. Es sei darum viel wichtiger, das bestehende Verkehrssystem besser auszulasten, «bevor wir milliardenteure neue Tunnel graben».

Kritisch sieht Planzer die Rolle der Aktionäre von Cargo Sous Terrain. Die Post oder die im Aktionariat vertretenen Detailhändler hätten hinter vorgehaltener Hand schon lange gesagt, dass das Projekt nicht umsetzbar sei. «In der Öffentlichkeit vertraten sie aber eine völlig andere Haltung», sagt Planzer. Das sei fragwürdig. Es habe nicht nur dazu geführt, dass immer mehr Geld in Projektstudien investiert worden sei. Sondern auch dazu, «dass heute in Öffentlichkeit und Politik noch immer viele an das Projekt glauben».

Angst vor Mehrverkehr

Bei Cargo Sous Terrain ist aber längst nicht nur die Finanzierung umstritten. In jüngerer Vergangenheit stellte sich auch die Frage, wo genau die Tunnels enden, und wie die Weiterverteilung der Güter konkret funktionieren wird. Als Cargo Sous Terrain in den vergangenen Monaten erste Pläne präsentierte, waren die Reaktionen zum Teil sehr negativ.

Der «Tages-Anzeiger» berichtete im Mai darüber, dass die Stadt Zürich nicht nachvollziehen könne, inwieweit die angestrebte Verkehrsentlastung überhaupt erreicht werden könne. Um die Hubs sei gar mit deutlichem Mehrverkehr zu rechnen. Ähnliche Bedenken äusserte der Kanton Zürich in einer vor wenigen Tagen publizierten Stellungnahme. Er bestritt den überregionalen Nutzen nicht, warnte aber vor zusätzlichem Verkehrsaufkommen rund um die Hubs.

Vielsagend ist auch die Stellungnahme der Gemeinde Spreitenbach: Die Gemeinde äusserte ich zwar positiv zur grundsätzlichen Idee. An der Planung übte sie jedoch massive Kritik: Die Planung gewichte die Interessen für eine schnelle Machbarkeit höher als «eine langfristige, raumplanerisch sinnvolle Lösung».

CST bleibt optimistisch

Cargo Sous Terrain gibt sich weiterhin optimistisch. Laut CST-Sprecherin Jasmin Knight ist das Unternehmen ausreichend finanziert, um den aktuellen Projektreview durchzuführen und die weitere Umsetzung voranzubringen. Wie der Businessplan aussehe und wie hoch die Finanzierungskosten seien, werde in diesem Rahmen überprüft.

Laut Knight gibt es zudem innerhalb und ausserhalb des Aktionariats Interessenten, die bereit seien, die anstehende Bauphase zu finanzieren. CST sei auch im Gespräch mit Banken und weiteren institutionellen Investoren. «Der Projektreview erhöht die Qualität sowie die Machbarkeit von CST und ist im Interesse der Investoren», sagt sie. Die kritische Überprüfung der Parameter und die Anpassung des Zeitplans würden die Erfolgschancen für die Realisierung von CST wesentlich steigern.

Wie der neue Zeitplan für Bau und Betrieb der ersten Teilstrecke aussehe, werde CST kommunizieren, so Knight weiter. Dies, wenn der Projektreview durchgeführt und mit den Behörden abgeglichen sei.

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