Die Verantwortlichen der 500 Kilometer langen, unterirdischen Güterbahn müssen das Projekt grundlegend überprüfen. Die Migros wird zudem kein weiteres Geld sprechen. Ein Blick in die Geschichte des Vorhabens zeigt: Die Erfolgsaussichten waren schon immer klein.

Im Nachhinein wird man vielleicht einmal sagen: Der August 2022 war der Höhepunkt für das Projekt Cargo sous terrain und für dessen Hauptinitianten Daniel Wiener. Am 1. August setzte der Bund ein speziell entwickeltes Gesetz in Kraft. Dieses legte die rechtliche Basis für den Bau der 33 Milliarden Franken teuren, unterirdischen Güterbahn zwischen Genf und St. Gallen. Nur vier Wochen später unterschrieb der damalige baselstädtische Regierungspräsident Beat Jans eine gemeinsame Erklärung über eine enge Zusammenarbeit mit Cargo sous terrain. Jans und Wiener sind seit langem freundschaftlich und geschäftlich verbunden.

Der Erfolg schien zum Greifen nah. Doch seither geht es bergab. Inzwischen muss sich Daniel Wiener auf der Internetplattform Linkedin mit kritischen Kommentaren herumschlagen. Als ein Verkehrsexperte dort vor einem Monat den Nutzen von Cargo sous terrain in Zweifel zog, verlor Wiener die Nerven. Solche Aussagen seien «kreditschädigend», wetterte er.

Negative Reaktionen von Kantonen und Gemeinden

Seit Mittwoch ist klar, warum Wiener so dünnhäutig reagierte. Das Unternehmen, bei dem er im Verwaltungsrat sitzt, hat eine Überprüfung fast der gesamten Planung bekanntgegeben. Zudem wird es den CEO ersetzen und mehrere Mitarbeitende entlassen.

Ein Grund für die Krise sind die kritischen Stellungnahmen der betroffenen Kantone und Gemeinden. Sie befürchten so ziemlich alles, was man bei einem solchen Grossprojekt befürchten kann: Von einer überhasteten Planung über die Beeinträchtigung des Grundwassers bis hin zum Verkehrskollaps an den Orten, an denen die unterirdische Güterbahn an die Strasse angeschlossen wird.

Für die Öffentlichkeit kommt die Krise dennoch überraschend. Denn die Hauptaktionäre des Unternehmens – die Detailhändler Coop und Migros etwa, die Post, Swisscom oder die Versicherungen Mobiliar und Vaudoise – sind seit Jahren des Lobes voll für das mit privaten Mitteln finanzierte Vorhaben. Bei Cargo sous terrain «werden die Logistiklösungen der Zukunft entwickelt», sagte 2017 etwa Rainer Deutschmann, damals Leiter der Direktion Logistik und Transport des Migros-Genossenschafts-Bundes, in einer Migros-Publikation.

Doch hinter den Kulissen und abseits der farbigen PR-Broschüren der Mitaktionäre sieht die Situation längst anders aus. Migros-Logistiker Deutschmann, der in der Szene als grosser Förderer des Vorhabens gilt, verliess vor gut einem Jahr still und leise den Verwaltungsrat von Cargo sous terrain. Der Abgang war signifikant, denn seither haben die beiden potenziellen Grosskunden Migros und Coop keinen Sitz mehr im Gremium.

Beobachter vermuten, die Migros habe ihren Exponenten zurückgezogen, als sie bemerkte, dass das Projekt auf die schiefe Bahn geraten könnte. Migros-Sprecher Marcel Schlatter sagt einzig, Deutschmanns Rücktritt sei «aus persönlichen Gründen» erfolgt. Laut einer Sprecherin von Cargo sous terrain – oder kurz CST – ist Deutschmann weiterhin Delegierter der Migros im Aktionariat des Unternehmens.

Kritik aus der Logistikbranche

Deutschmanns Begeisterung für das Projekt des 500 Kilometer langen Tunnels ist in der Logistikbranche eher die Ausnahme. Einer, der das Projekt gut kennt, ist Martin Willhaus, bis 2018 Leiter der Kühne-Stiftung. Zu den Schwerpunkten der Stiftung von Klaus-Michael Kühne (Kühne + Nagel) gehört die Erforschung der Logistik. Vor Jahren landete das Vorhaben auch auf ihrem Tisch. Willhaus, der heute eine eigene Beratungsfirma führt, sagt es klar und deutlich. «Das Vorhaben war für mich von Anfang an eine Schnapsidee. Deshalb stiegen wir damals gar nicht erst ein.»

An seiner Haltung hat sich bis heute nichts geändert. Denn wenn Cargo sous terrain eine so gute Sache ist: Warum hat dann noch niemand ein solches System gebaut? Stau gibt es ja auch anderswo, und gar noch reichlicher als in der Schweiz. Und wie man Tunnels bohrt, ist auch seit langem bekannt.

«In China sind in den letzten Jahren innert kurzer Zeit ganze Millionenstädte entstanden», erklärt Willhaus. Die Chinesen testeten dabei auch die allerneusten Transporttechnologien wie etwa Magnetschwebebahnen. «Doch von Transportsystemen im Untergrund liessen sie immer die Finger.»

Der Grund: Im Untergrund kriege man niemals ein so dichtes Netz hin wie auf der Strasse. Das Problem des Warentransportes liege aber in der Feinverteilung von Sendungen zu den Empfängern. «Wegen eines Schienensystems im Untergrund verschwindet der Stau in den und um die Städte ja nicht», sagt er. Bis heute ist Willhaus kein funktionierendes System bekannt, das mit Cargo sous terrain vergleichbar wäre.

Was Willhaus hingegen kennt, sind nie realisierte Projekte. Vor über zwanzig Jahren geisterte ein ähnliches Vorhaben durch Deutschland. Es sah im dicht besiedelten Ruhrgebiet ebenfalls einen Gütertransport unter der Erde vor. Cargo Cap nannte es sich, zu Deutsch etwa «Fracht-Kapsel». Die Idee: In einem Tunnelsystem sollten Kapseln auf Schienen verkehren, die jeweils zwei Paletten fassen.

Doch Cargo Cap litt unter den gleichen Problemen wie CST, sagt Willhaus. Das grösste: die Kosten. «Transporte müssen vor allem eines sein: billig», erklärt er. Bei Paketen seien die bezahlten Preise in den letzten Jahren gar noch gesunken. Eine neue und sehr teure Infrastruktur lasse sich nur finanzieren, wenn zusätzliche Einnahmen generiert werden könnten. Bis heute sei ihm aber unklar, woher diese bei CST kommen sollen.

Laut Willhaus gibt es theoretisch zwar noch eine andere Option: dass Kunden mehr bezahlen, weil sie vom Transportsystem unter der Erde überzeugt sind oder weil sie sich einen Umweltvorteil versprechen. Doch daran glaube er nicht.

Für Stefan Schraner, seit dieser Woche CEO ad interim von Cargo sous terrain, ist klar. «Unser System kann nur mit konkurrenzfähigen Preisen bestehen.» Der Preis allein sei aber nicht entscheidend, fügt er an. Das unterirdische Tunnelsystem werde seinen Benutzern im Vergleich zum oberirdischen Transport auch Mehrwerte bringen. Etwa die Möglichkeit, versandte Waren unterirdisch zu puffern und zu sortieren.

Aus Sicht von Stefan Schraner sind die Chancen für CST darum absolut intakt. Zwar sei es möglich, die bestehenden Strassen und Schienen noch effizienter zu nutzen als heute. Das künftige Güterverkehrsvolumen könnten sie aber trotzdem nicht aufnehmen. «Die Wachstumsprognosen des Bundes bestärken uns in dieser Überzeugung», sagt er.

Baut die Schweiz darum keine dritte, unterirdische Infrastruktur für den innerschweizerischen Güterverkehr, werden laut Schraner nur drastische Massnahmen bleiben, um das Wachstum aufzufangen. Etwa die Aufhebung des Nachtfahrverbots für Lastwagen. «Doch das ist politisch nicht mehrheitsfähig», sagt er.

Migros dreht Finanzhahn zu

Laut Cargo sous terrain verfügt das Unternehmen über genügend Finanzmittel, um die angekündigte Überprüfung der Planung zu Ende zu bringen. Doch danach könnte die Firma vor einer Klippe stehen. Denn die potenzielle Hauptkundin und Grossaktionärin Migros wird keine Anschlussfinanzierung gewähren.

Auf die Frage, ob die Migros die Planungsphase von Cargo sous terrain mit weiteren Mitteln unterstützen werde, sagt der Migros-Sprecher Marcel Schlatter: «Die Migros wird kein zusätzliches Geld bereitstellen.» Das Gleiche gilt für die danach anstehenden Investitionen in den Bau von Cargo sous terrain. «Die Migros wird sich daran nicht beteiligen», sagt Schlatter.

Stefan Schraner, CEO ad interim von Cargo Sous Terrain, sagt, das sei keine Überraschung, sondern seit Jahren bekannt. Man sehe Migros wie auch Coop nicht als Finanzinvestoren für den Bau, sondern als künftige Kunden. Für den Bau und Betrieb des Projekts bestehe Interesse bei institutionellen Investoren.

Doch das Statement der Migros ist auch symbolisch ein Schlag für das Unterfangen. Denn Cargo sous terrain erwuchs vor vielen Jahren aus einem Projekt, an dem die Migros grosses Interesse zeigte. Bei diesem ging es darum, Lagerhäuser unterirdisch zu verbinden, um so die Lastwagenfahrten zwischen den Standorten zu vermindern.

Dann kam Daniel Wiener ans Ruder, wie ein Experte sagt, der die Anfänge des Vorhabens kennt. Wiener half mit, das Vorhaben in ein Megaprojekt mit über achtzig Aktionären zu verwandeln, die gemeinsam das Verkehrssystem revolutionieren sollten. Doch Wiener sei zwar ein absolut genialer Lobbyist. «Aber kein genialer Logistiker.»

Noch aber bleibt Daniel Wiener eine letzte Chance: Aus dem früheren Basler Regierungspräsidenten und seinem einstigen Geschäftspartner Beat Jans ist inzwischen Bundesrat Beat Jans geworden. Auch wenn er als Justizminister leider im falschen Departement sitzt.

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