Montag, September 30

Ein Gericht in Zürich muss entscheiden: Gibt es für die Parkhausmörderin einen Weg aus der Verwahrung?

26 Jahre sitzt Caroline H. im Gefängnis. Die längste Zeit davon isoliert in einem Hochsicherheitstrakt der Justizvollzugsanstalt Hindelbank. Weil sie als unberechenbar und hochgefährlich gilt. So sehr, dass sie der «Blick» einst zur «gefährlichsten Frau der Schweiz» erklärt hat. Die Medien nennen sie Parkhausmörderin – wegen eines Mordes, begangen vor 33 Jahren.

Nun muss das Bezirksgericht Zürich eine schwierige Frage beantworten: Gibt es für diese Frau, die inzwischen 51 Jahre alt ist, eine Perspektive ausserhalb der Verwahrung?

Das Gericht muss seinen Entscheid zu einem Zeitpunkt fällen, zu dem im Land nach der Bluttat eines psychisch kranken Mannes in Basel die Debatte neu aufflammt, wie man mit als gefährlich eingestuften Täterinnen und Tätern umgehen soll. Es ist eine Debatte, in der gefragt wird, ob nicht zu viel therapiert und zu wenig weggesperrt wird.

Caroline H. bestreitet die ihr vorgeworfenen Morde inzwischen – trotz rechtskräftiger Verurteilung. Vor Gericht sagt sie am Freitag: «Ich habe etwas auf mich genommen, mit dem ich nichts zu tun habe.» Sie habe damals viele Gewaltphantasien gehabt. «Ich habe die mir präsentierten Tötungsdelikte zu meinen eigenen gemacht.»

Verurteilt für drei Schreckenstaten

Caroline H. wächst als Einzelkind in der Innerschweiz auf. Sie stammt aus einfachen Verhältnissen. Die Eltern ziehen aus Österreich in die Schweiz, der Vater arbeitet als Schreiner, die Mutter als Hilfs­arbeiterin.

Schon früh wird sie straffällig. Nicht ein einziges Mal, sondern Dutzende von Malen. 1993, da ist sie gerade zwanzig Jahre alt geworden, wird Caroline H. beim Luzerner Kriminalgericht wegen 40 Brandstiftungen angeklagt. Sie gibt zu, Brände in Telefon­kabinen, Gebäuden und Geräteschuppen gelegt zu haben. Sie wird zu einer Zuchthausstrafe mit anschliessender Verwahrung verurteilt. Eine menschenverachtende Art habe Caroline H. gehabt, wird die damalige Luzerner Staatsanwältin später einmal im Schweizer Fernsehen erzählen.

Nach dreieinhalb Jahren kommt Caroline H. wieder frei. Die Luzerner Richter geben der jungen Brandstifterin nochmals eine Chance und heben die Verwahrung auf. H. beginnt daraufhin in Zürich eine Lehre als Elektrikerin.

Die Richter ahnen nicht, dass die junge Frau da schon eine weit schlimmere Tat begangen hatte. Eine Tat, die sie heute bestreitet, für die sie aber rechtskräftig verurteilt worden ist.

Sie geschieht 1991 im Parkhaus Urania in der Zürcher Innenstadt. Caroline H. sticht auf eine junge Frau ein, die zufällig im Parkhaus vorbeigeht. Die klackernden Absatzschuhe des 29-jährigen Opfers hätten sie in Rage versetzt, sagt H. später.

Sechs Jahre später geschieht in der Nähe des Chinagartens ein zweiter Mord, für den H. die Verantwortung übernimmt. Sie sticht auf eine 61-jährige Spaziergängerin ein. Insgesamt über dreissig Mal. Danach schlägt sie der Frau mit einem schweren Stein mehrmals auf den Kopf.

Im März 1998 folgt eine Messerattacke auf eine ältere Frau in einer Buchhandlung im Zürcher Niederdorf. Nur wegen eines Zufalls bleibt das Opfer am Leben: Ein Arzt rettet die Buchhändlerin.

Zwei Monate später wird Caroline H. festgenommen. Sie belastet sich in der Folge schwer. Spricht über Morde, die sie begangen habe.

Als sie 2001 vor Gericht steht, sagt sie, sie verachte Frauen. Sie erzählt von einer zwanghaften Lust, Allmacht über ihr fremde Frauen zu erlangen, diese zu erschrecken und sie zu töten. Mordlust, diagnostiziert ein renommierter Gutachter bei ihr. Am 18. Dezember 2001 verurteilt das Obergericht Zürich Caroline H. zu einer lebens­länglichen Zuchthausstrafe mit anschliessender Verwahrung.

Nach dem Urteil des Zürcher Obergerichts spricht ihr damaliger Verteidiger von einem übersteigerten Sicherheitsdenken. Vor den Medien sagt er: «Meine Mandantin wird erst entlassen, wenn absolut sicher ist, dass nichts mehr passiert. Aber so eine absolute Sicherheit gibt es natürlich bei keinem Menschen.»

Er wird recht behalten.

Caroline H. kommt nicht in den normalen Vollzug. Sie kommt in Einzelhaft, hat keine sozialen Kontakte und wird ständig überwacht. Gespräche mit dem Personal sind auf ein Minimum begrenzt, mit anderen Insassinnen kommt sie nicht in Kontakt.

Es gibt in der Schweiz keine andere Strafgefangene, die derart lange in derart strikter Isolation und unter einem derart rigiden Sicherheitsregime leben muss. Sie sei wie lebendig begraben, sagt ihr Anwalt Matthias Brunner einmal. Die Sicherheitsmassnahmen seien überrissen, bedrückend und grotesk. Jahrelang geht das so.

Ein kleines Stück Freiheit hinter Gittern

Doch in den letzten Jahren hat sich etwas verändert. Beobachter sprechen von einer enormen Entwicklung bei Caroline H. Die Behörden lockern die Sicherheitsvorkehrungen langsam, Schritt für Schritt. Nach Jahren der Isolation. Nach Jahren, in denen die Straftäterin die Welt nur durch Fenstergitter, Maschendraht und im Fernsehen sah.

Im Herbst 2019 wird ihr erstmals ein begleiteter Waldspaziergang in der Nähe der Justizvollzugsanstalt Hindelbank gewährt, im Sommer 2021 bewilligt man ihr begleitete Ausgänge von maximal fünf Stunden, Ende 2022 wird sie in eine neue Wohngruppe mit offenerem Setting verlegt, und im Sommer 2023 werden die Sicherheitsbedingungen für begleitete Ausgänge gelockert.

Caroline H. lebt nun mit 17 anderen Insassinnen zusammen auf einer Abteilung. Manchmal kochen die Frauen zusammen, manchmal schauen sie sich einen Film im Fernsehen an. Doch das Wichtigste seien ihre zwei Katzen, sagt H. «Ich liebe Katzen. Es sind angenehme Tiere, die mir sehr viel Freude machen.»

Das kleine Stück Freiheit im Gefängnis hat auch mit den Gutachten zu tun, die über sie erstellt werden. Noch 2020 kommt der Psychiater Henning Hachtel zum Schluss, die Rückfallgefahr für schwere Gewaltstraftaten habe bisher noch nicht massgeblich positiv beeinflusst werden können, obwohl erste Hinweise darauf bestünden.

Drei Jahre später, im August 2023, sieht er es anders: Hachtel spricht in einem Ergänzungsgutachten von einer besseren therapeutischen Erreichbarkeit, Caroline H. habe sich deutlich weniger unterschwellig kränkbar und verletzlich gezeigt. Der Psychiater spricht deshalb von günstigen Erfolgsaussichten für eine stationäre Massnahme – im Volksmund auch «kleine Verwahrung» genannt.

Auch wenn er einschränkt: Es bleibe weiterhin die Notwendigkeit einer engmaschigen Betreuung und Beobachtung vor dem Hintergrund eines erhöhten Rückfallrisikos in einem unstrukturierten Setting ausserhalb der Gefängnismauern. Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt auch ein Therapiebericht der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern.

Vor dem Bezirksgericht sagt Hachtel: «Ich halte eine weitere Verringerung der Rückfallgefahr in den nächsten fünf Jahren für möglich.» Caroline H. profitiere aber immer noch von den sichernden Verhältnissen im Gefängnis. Diesen Weg solle man weitergehen, sagt Hachtel. Eine Entlassung schon heute komme bei ihr zu früh.

Im November 2023 stellen die Zürcher Justizbehörden den Antrag, bei Caroline H. sei die ordentliche Verwahrung aufzuheben und stattdessen eine stationäre Massnahme gemäss Artikel 59 des Strafgesetzbuches auszusprechen.

Unter Fachleuten gilt dies als Königsweg. Jérôme Endrass, stellvertretender Leiter des Zürcher Amts für Justizvollzug und Forensik-Professor, sagt, mit der Umwandlung von einer ordentlichen Verwahrung in eine stationäre therapeutische Behandlung mache man einen kleinen Schritt – ohne das Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft ausser acht zu lassen. «Bewährt sich eine Person nicht, kann erneut eine Verwahrung angeordnet werden.»

Endrass sieht vor allem einen Faktor, der für einen solchen Schritt spricht: das Alter. Er sagt: «Das Alter ist ein zentraler Faktor bei der Rückfallgefahr. Je älter jemand wird, desto geringer ist das Risiko.»

«Der Fall in Basel sollte ein Weckruf sein»

Vor dem Bezirksgericht erscheint Caroline H. am Freitag mit kurzem Shirt, kurz geschnittenen Haaren und kurzen Hosen. Sie habe eigentlich andere Kleider für die Verhandlung anziehen wollen, doch die Polizei habe es ihr nicht erlaubt, sagt sie entschuldigend. Der Richter nimmt es gelassen.

Dann sagt H., sie habe in den letzten Jahren ziemlich grosse Fortschritte gemacht. «Ich habe gelernt zu kommunizieren. Die ständige Angst vor meinem Umfeld ist auch nicht mehr da. Ich habe auch kein Bedürfnis mehr, Gewalt auszuüben.» Sie wisse, dass sie Störungen habe, sie könne diese im Alltag aber inzwischen gut handhaben.

Wieso sie die Morde damals gestanden und dann wieder bestritten habe, will der Richter wissen.

Caroline H. antwortet: «Ich wäre wahrscheinlich auch ohne die Tötungsdelikte sehr lange im Gefängnis gewesen. Ich lebte damals in einer Welt, in der die Taten plausibel erschienen.»

Für Matthias Brunner, den Verteidiger von Caroline H., bestehen keine Zweifel, dass seine Mandantin bereit ist für den Schritt – auch wenn sie die Taten bestreitet, für die sie verurteilt wurde. Sie habe in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht. «Sie erfüllt schon seit Jahren die Voraussetzung für eine stationäre Behandlung», sagt Brunner.

Und der Anwalt weist darauf hin, dass die Möglichkeiten für weitere Fortschritte im Rahmen der Verwahrung ausgeschöpft seien. «Es gibt keine verwahrte Person, die so grosse Fortschritte erzielt hat wie meine Mandantin.» Mit einem Festhalten an der Verwahrung setze man diese Entwicklung aufs Spiel.

Anders sieht es die Staatsanwaltschaft. Für sie sind die Voraussetzungen für eine Umwandlung in eine stationäre Massnahme klar nicht gegeben. Der Oberstaatsanwalt Peter Pellegrini sagt vor Gericht, der Gutachter habe die Zweifel über die Gefährlichkeit von Caroline H. nicht zerstreuen können. «Man kann über sie noch immer keine verlässliche Prognose machen.» Caroline H. weise Auffälligkeiten auf, die auch mit einer Therapie nicht behandelt werden könnten. Zudem gehe von ihr ausserhalb des Gefängnisses weiterhin eine grosse Gefahr aus. «Eine Aufhebung der Verwahrung kommt deshalb verfrüht.»

Und der Oberstaatsanwalt sagt: «Der Fall in Basel sollte für uns alle ein Weckruf sein.» In so einer komplexen Angelegenheit brauche es grösstmögliche Sorgfalt und keine voreiligen Schritte.

Gibt es für Caroline H. eine Perspektive ausserhalb der Verwahrung? Das Bezirksgericht wird seinen Entscheid zu dieser Frage am 30. August fällen.

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