Donnerstag, August 28

Einst war sie Assistentin beim Diogenes-Verlag in Zürich, dann schrieb sie innerhalb von zwei Jahren zwei Bestseller. Nun erscheint mit «Die Assistentin» Wahls dritter Roman. Ein Gespräch über zerschlagene Hoffnungen und überraschende Feinde.

Noch vor drei Jahren lebte Caroline Wahl in einer kleinen Einzimmerwohnung in Zürich. Ein zwielichtiger, anonymer Block mitten in der sonst so herausgeputzten Stadt. Wahl war die Assistentin des Verlegers Philipp Keel, der den Diogenes-Verlag von seinem Vater geerbt hat. Für Wahl bedeutete die Arbeit viel Druck, viel Stress, keinen Einfluss. «Ein Kackjob», wie sie in einem Interview sagte.

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Freunde fand Wahl in Zürich nicht. Stattdessen schrieb sie innerhalb von drei Monaten ihren ersten Roman. Die Geschichte der Schwimmerin Tilda, ihrer kleinen Schwester Ida und der alkoholabhängigen Mutter wurde ihr zum Zufluchtsort. Sobald der Roman fertig war, kündigte Wahl bei Diogenes und zog nach Rostock, ans Meer.

Von Assistentinnen und Karrieren

Als «22 Bahnen» 2023 erschien, wurde der Roman augenblicklich zum Bestseller. Nur ein Jahr später legte Wahl mit «Windstärke 17» nach, erneut ein Bestseller. Gerade kommt «22 Bahnen» auch ins Kino – und Wahls dritter Roman in die Läden.

«Die Assistentin» handelt von einer Verlagsassistentin, die den Launen und dem Machtgebaren des zuweilen übergriffigen Verlegers ausgeliefert ist, der das Geld für seinen Verlag vom Vater geerbt hat. Mitten im reichen München, wo die Geschichte spielt, wohnt die Assistentin in einem anonymen, heruntergekommenen Block. Freunde findet sie nicht, stattdessen nutzt sie die Zeit, um an ihrem Traum zu feilen: einer Musikkarriere. Die Arbeit am Album wird ihr zum Zufluchtsort, als es fertig ist, kündigt sie ihren Job und zieht ans Meer.

Die Parallelen zwischen Ihrem Leben und der Handlung Ihres neuen Romans sind gross. Hatten Sie eine offene Rechnung zu begleichen?

Beim Schreiben fliessen immer meine eigenen Erfahrungen ein – mal mehr, mal weniger. Es ist kein Geheimnis, dass ich bei verschiedenen Verlagen gearbeitet habe. Trotzdem ist das nicht meine Geschichte, die ich erzähle. Es ist Charlottes Geschichte. Was sie in ihrem Job erlebt, ist kein Einzelschicksal. Parallelen gibt es also nicht nur zu mir, sondern zu sehr vielen Menschen, die mal einen Chef hatten, der seine Macht missbrauchte.

Dennoch liest sich «Die Assistentin» streckenweise wie eine Mischung aus Racheroman und Tagebuch.

Die Autorin schreibt, die Leserin liest und schafft sich so ihr eigenes Buch. Ein Rachebuch fände ich aber ganz schlimm. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass «Die Assistentin» als Tagebuch gelesen wird. Ich habe einen Roman geschrieben, der von Machtmissbrauch und einem Emanzipationsprozess erzählt. Damit will ich mich neu aufstellen, thematisch und literarisch.

Charlottes Eltern kommen nicht allzu gut weg. Wie leicht fällt es Ihrer Familie, zwischen Fiktion und Realität zu unterscheiden?

Meine Mama findet das Buch besser, als ich erwartet hatte, weil sie besser differenzieren kann, als ich dachte. Eigentlich hätte es mich nicht überraschen sollen: Sie kennt ja meinen Weg und meine Erfahrung, und dann wird schnell klar, dass Charlottes Geschichte eben nicht meine ist. Aber wir hatten schon schöne Gespräche wegen des Buchs. Papa steckt noch in «Windstärke 17» (Wahls zweiter Roman), ich hoffe aber, dass er «Die Assistentin» dann auch liest und wir darüber sprechen werden.

Im vergangenen Jahr haben Sie eine Diskussion über vornehme Zurückhaltung ausgelöst – weil Sie Ihre Enttäuschung darüber, nicht auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis zu stehen, öffentlich machten. Sie seien «traurig und wütend», schrieben Sie auf Instagram. In diesem Jahr stehen Sie wieder nicht auf der Liste.

Ich war das ganze Wochenende vor der Bekanntgabe schon nervös, richtig nervös, weil ich hoffte, mit diesem neuen Roman draufzustehen. Ich habe sogar zu meiner kleinen Schwester gesagt, ich hätte ein besseres Gefühl als im letzten Jahr. Dann war ich im Wald und habe ein Fantasy-Hörbuch gehört, und in dem Moment, in dem die verfeindeten Protagonisten sich endlich küssten, klingelte das Telefon: mein Lektor. Er sagte mehrmals «Caro, Caro», und ich dachte, er klingt ganz aufgeregt, das könnte Gutes verheissen – aber ich hatte bloss schlechten Empfang im Wald, und er hat mich nicht gehört. Als er es mir dann sagte, sind die Nervosität und diese ganze positive Aufregung in einem einzigen Moment zerbrochen, und ich war so traurig und fertig und stand mitten im Wald und wurde auch noch komplett von Mücken zerstochen.

Tiefpunkt unter Bäumen.

Ja, es tut halt weh. Aber ich habe nur kurz geweint. Bei mir schwenken die Gefühle zum Glück immer schnell um, aus der Enttäuschung wurde Wut, und die Wut hat Energie freigesetzt. Ich habe überlegt, wieder einen Post rauszuhauen, wie letztes Jahr. Weil ich am liebsten einfach ehrlich bin und es rauslasse. Dass meine Ehrlichkeit auch polarisiert, finde ich ganz lustig. Aber dann dachte ich, dass so mancher so was jetzt bestimmt von mir erwartet, und habe darum nichts gemacht.

Sie erfüllen nicht gern Erwartungen?

Ich will mich von allen Erwartungen befreien und mein Ding machen. Dank meinem Erfolg kann ich das jetzt. Ich weiss, diese Unabhängigkeit ist nicht selbstverständlich, und solange die da ist, will ich sie geniessen.

Neulich haben Sie gesagt, dass Sie in den sozialen Netzwerken und bei Interviews inklusive Sprache nur benutzen, weil man das von Ihnen erwarte. Gewisse Erwartungen möchten Sie also doch erfüllen?

Ich gendere in Interviews und auf Instagram, weil ich alle meine Fans ansprechen will. Das nicht zu tun, fände ich sehr uncool. Aber in meinen Romanen benutze ich keine inklusive Sprache, weil, ganz ehrlich: Wer denkt schon für sich: «Diese Scheiss-Kolleg:innen ärgern mich so!» Meine Protagonistinnen jedenfalls nicht.

Denken Sie, bereits diese Aussage könnte Ihnen Kritik einbringen?

Vielleicht. Ich habe manchmal das Gefühl, diese krasse Debattenkultur dreht sich zu sehr um die Empörung an sich. Man zerfleischt sich gegenseitig und verliert mögliche Lösungen aus den Augen.

Sie haben auch eine kleine Debatte ausgelöst, als Sie ihre Karriereziele öffentlich formulierten: Sie wollen die erfolgreichste Autorin Deutschlands sein und den Deutschen Buchpreis gewinnen. Ihre Bücher verkaufen sich wahnsinnig gut. Warum ist Ihnen dieser Preis so wichtig?

In mir steckt einfach viel Ehrgeiz. Ich will in der Literaturlandschaft eine wichtige Rolle spielen. Und diese Grenzziehung zwischen ernsthafter und unterhaltender Literatur nervt mich. Warum muss ein guter Text sperrig sein und von möglichst wenigen Menschen verstanden werden? Aber ich weiss auch ohne Nominierung, was meine Bücher wert sind.

Das ist eine sehr selbstbewusste Aussage. Von jungen Autorinnen und Autoren wird allerdings oft erwartet, dass sie erst einmal bescheiden sind und sich bewähren.

Definitiv. Dass ich da nicht so mitmache, irritiert viele. Und ich habe das Gefühl, von mir als junger Frau werde noch mehr Bescheidenheit erwartet als von einem jungen Mann. Als mein erster Roman rauskam, war ich noch sehr aufgeregt und vorsichtiger. Aber dann habe ich sehr schnell angefangen, einfach ehrlich zu sein und die Dinge rauszuhauen, und habe gemerkt, dass das für mich am energieeffizientesten ist – keinem etwas vorzumachen. Ich habe Ziele und bin stolz. Ich will, was ich will. Ich bin nicht arrogant, ich bin einfach ehrlich. Und wenn ich mal was sehr Doofes sage, kann ich mich ja immer noch entschuldigen.

Lieber später entschuldigen als direkt runterschlucken?

Ja.

Für das Video-Interview hat Caroline Wahl sich auf ihren Balkon an die Sonne gesetzt. Irgendwann zündet sie sich eine Zigarette an. Eine Gewohnheit, die sie auch in ihren Büchern zelebriert.

Das Rauchen scheint für Sie identitätsstiftend.

Rauchen und Autofahren sind für mich Momente von Freiheit und Entspannung. Ich mag auch, dass Rauchen gesundheitsschädlich ist. Ich setze mich dem Risiko aus und nehme die verkürzte Lebenszeit in Kauf. Es ist auch eine kleine Rebellion gegen diesen krassen Gesundheitswahn. Meine kleine Schwester ist da leider eingeknickt und hat aufgehört. Aber ich spiele weiterhin mit dem Feuer. Und versuche, sie zum Wieder-Anfangen zu verleiten. Es ist einfach so etwas Schönes.

Männer kommen selten gut weg bei Ihnen. Da sind die verantwortungslosen Väter in den beiden ersten Romanen, und im aktuellen treten ein verständnisloser Vater und ein übergriffiger Verleger auf. Sind Männer in Ihren Augen das schwierigere Geschlecht?

Da merkt man vielleicht, dass ich noch keine perfekte Schriftstellerin bin, da ist sehr viel Kompensation in den Büchern drin. Ich finde Männer toll, aber oft finde ich sie auch schwierig. Ich denke viel über patriarchale Strukturen nach, und darum finde ich diese Frage gerade sehr toll: Mir wurde bei den ersten beiden Romanen vorgeworfen, dass beide Schwestern am Ende von einem Mann gerettet werden. Das empfand ich natürlich gar nicht so. Trotzdem freue ich mich, dass Charlotte in «Die Assistentin» ihren Weg allein geht, dass es ihr ganz offensichtlich gelingt, aus eigener Kraft aus diesem patriarchalen System auszubrechen.

Fühlen sich Männer von dieser Perspektive angegriffen?

Nein, es sind interessanterweise mindestens genauso viele Frauen, die mich doof finden. In den sozialen Netzwerken habe ich da ziemlich was abbekommen. Das kam mir manchmal vor wie einst das Geläster in der Grundschule. Ich sage vielleicht manchmal blöde Sachen, aber nie in verletzender Absicht. Und gerade Frauen sollten sich doch unterstützen, wenn eine sagt: «Ich trete selbstbewusst und ehrgeizig auf.»

Frauen sehen Ihrer Erfahrung nach also andere Frauen eher als Konkurrenz?

Ja, und das finde ich interessant. Weil für mich Männer und Frauen gleichwertige Konkurrenten sind. Ich will nirgendwo nur die beste Frau sein.

Sie wollen alle ausstechen – Frauen und Männer?

Das wird jetzt bestimmt die Überschrift für dieses Interview. Caro Wahl mal wieder ganz sympathisch. Aber: Ja, ich will alle ausstechen – besonders die Männer.

Sie haben ganz zu Beginn gesagt, Enttäuschung setze bei Ihnen auch eine Energie frei – wie zeigt sich die Energie gerade?

Ich weiss jetzt, dass es bei mir keine Selbstzweifel mehr auslöst, einen Preis nicht zu bekommen. Ich stelle meine schriftstellerischen Qualitäten nicht mehr infrage. Mein neuer Roman ist gut, und er wird auch ohne Nominierung Erfolg haben. Ich will mein Glück nicht abhängig machen von so einem Preis und einer Jury, deren Entscheidung für mich so unkontrollierbar und subjektiv ist und mich trotzdem so niederschmettern kann. Darum habe ich jetzt für mich beschlossen, dass ich nicht mehr auf dieser Liste stehen will.

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