Sonntag, November 24

Dieses Jahr feiert die Kunstwelt mit mehreren Ausstellungen den 250. Geburtstag des grossen Romantikers der Malerei: eine Mondbetrachtung mit Caspar David Friedrich

Meistens hat man Augen für Sonnenuntergänge. Sie sind schön, auch wenn dieses Eingeständnis unter Kitschverdacht steht. Jetzt aber ist alles anders. Im Jubiläumsjahr zum 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich tut man es ihm gleich und wendet sich dem Mond zu. Das ist fast noch schöner. Weniger pathetisch, dafür umso romantischer.

Der grosse deutsche Romantiker zog den Mond der Sonne vor. Und legte seine ganze Empfindsamkeit in solche Bilder. «Ein Bild muss nicht erfunden sondern empfunden seyn», schrieb der Künstler einmal. Ihm ging es darum, Stimmungen abzubilden, wie sie sonst allzu flüchtig sind. Er bannte sie auf die Leinwand. Und auch noch über zweihundert Jahre später bewegen sie uns. Da ist nichts kitschig, nichts daran falsches Pathos. Der Klang in Friedrichs Bildern ist gestimmt auf ein stilles Moll.

Eine solch leise Mondscheinsonate ist das Gemälde «Mondaufgang am Meer» von 1822. Es hängt heute in der Alten Nationalgalerie Berlin. Zwei junge Frauen betrachten, auf einem Felsen im Vordergrund dicht nebeneinander kauernd, das Lichtspektakel. Ein Mann, etwas weiter rechts im Bild, blickt ebenfalls in das Leuchten, mit dem der Mond hinter einem violetten Wolkenband fast spürbar jeden Augenblick etwas mehr in Erscheinung tritt. Zwei Schiffe winken mit ihren sacht geblähten Segel-Silhouetten den Betrachtern am Ufer zu. Ein Gefühl tiefer Sehnsucht liegt in diesem Stimmungsbild.

War Friedrich ein Mondsüchtiger? Der helllichte Tag war nicht seine Zeit. Wer sein Atelier betrat, musste sich erst an die Dunkelheit gewöhnen. Friedrich hielt die Fenster geschlossen, damit ihn kein Tageslicht beim Malen störte. «Er wolle, so sagt er ja immer, sein äusseres Auge schliessen, damit die Bilder vor seinem inneren Auge auftauchten», schreibt Florian Illies in seinem Buch über den deutschen Maler-Sonderling. Und da tauchte eben vor Friedrichs innerem Auge dauernd der Mond auf.

Fast jede zweite Landschaft, die Friedrich in seiner Dunkelkammer entstehen liess, ist ein Nachtstück, beleuchtet allein vom silbernen Schein des Erdtrabanten. Manchmal spiegelt sich dieser in einem Gewässer, in der Elbe oder in der Ostsee, für deren Gezeiten er sorgt mit seiner magischen Anziehungskraft. Sein Gravitationsfeld vermag das Wasser der Erde zu sich hin zu ziehen. Bis zu einem Meter hoch soll der dabei entstehende Flutberg sein. Bei Vollmond ist die Flut besonders stark und damit auch die Ebbe.

Was wäre die Erde ohne den Mond? Sie wäre wohl ohne einen Friedrich geblieben. Etwas mehr als 27 Tage benötigt der bleiche Begleiter, um den blauen Planeten zu umkreisen. 29 und einen halben Tag dauert es vom Neumond bis zum Vollmond. Und zwischen dem Vollmond und dem weiblichen Zyklus soll es gemäss einer 2021 veröffentlichten Studie der Universität Würzburg tatsächlich einen Zusammenhang geben. Einst könnten die beiden Zyklen sogar synchron gewesen sein. Wie wirkt der Mond dann erst auf die sensiblen Männerseelen von Künstlernaturen?

Sein Einfluss auf die Launen der Menschen ist jedenfalls altbekannt. Mond heisst lateinisch «luna». Mit seiner phasenbedingten Wandelhaftigkeit erklärte man im Altertum die wechselnden Gestimmtheiten und abrupten Stimmungsumschwünge. Viele schlafen nachweislich schlechter, wenn der Mond voll ist. Zu diesen gehörte wohl auch Friedrich: Abends bei Dämmerung, wenn sich die Sonne endlich verabschiedet hatte, zog es ihn jeweils nach draussen.

Ob er gar ein wenig «lunatic» war, ein bisschen verrückt, wie man im Englischen sagt? Verrückt nach dem Mond schien er auf alle Fälle gewesen zu sein. Andere hofften, nach dem Tod in den Himmel zu kommen, er aber komme wahrscheinlich eher auf den Mond, soll Friedrich gescherzt haben.

Aus der Zeit gefallen

Der Mond ist unser ständiger Begleiter. Und vom besten Freund der Erde fühlte sich auch Friedrich freundschaftlich begleitet. In seinem Gemälde «Zwei Männer in Betrachtung des Mondes» hat er eine Freundschaft festgehalten: jene zu seinem Nachbarn und Malerfreund Johan Christian Clausen Dahl, der ein Stockwerk über Friedrich wohnte.

Das Bild zeigt zwei Männer, der eine gestützt auf die Schulter seines grösseren Begleiters. Die beiden sind vereint in andächtiger, inniger Betrachtung des Mondes. Friedrich schenkte dieses Bild seinem Freund. Und Dahl hatte es dann einst dem Dresdner Museum vermacht, wo es heute zu bewundern ist. Lange aber befand es sich dort im Depot. Friedrich war in Vergessenheit geraten.

Seine Mondromanzen erschienen vor dem Hintergrund der neuen Fortschrittsgläubigkeit des 19. Jahrhunderts wie aus der Zeit gefallen. Weil es Friedrich nicht um Naturbeherrschung zu tun war in seinen Bildern, weil er darin lieber die Demut vor der Schöpfung zelebrierte, lebte er in den Augen des allgemeinen Kunstgeschmacks bald hinter dem Mond.

Heute ist Friedrich wieder «in». Denn die Zeiten sind sich ähnlich. Friedrichs Epoche war eine Zeit des politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels. Es war die Zeit zwischen zwei Revolutionen, der Französischen und der industriellen. Wir leben in einer ähnlichen Zeit der Sinnsuche. Dazu mögen Krisen und Kriege beitragen. Und das Bedürfnis, im Chaos etwas Ruhe zu finden, ihm etwas von Dauer entgegenzusetzen.

Es ist diese Sehnsucht nach dem, was bleibt: dem Ewigen der Natur. Die Romantiker suchten es, und allen voran der Mondanbeter Caspar David Friedrich. Etwas Weltflucht mag in seinen Bildern mitschwingen. Mit seinen kontemplativen, nachdenklichen Figuren aber hatte Friedrich, ein guter Beobachter des Zeitgeschehens, auch das Unbehagen seiner unruhigen Epoche zum Ausdruck gebracht. Seine Bilder fordern zu Innehalten und Besinnung auf. Auch deshalb mag er heute sein Publikum finden.

Gewissensfragen

Einer seiner Wiederentdecker, der Friedrich ein Stück weit auch für die heutige Zeit lesbar machte, war Samuel Beckett, der Schöpfer des Theaterstücks «Warten auf Godot» – dieses Gleichnisses moderner Orientierungslosigkeit. 1937 besuchte der irische Autor in Dresden eine Friedrich-Ausstellung. Friedrichs «Zwei Männer in Betrachtung des Mondes» sollen ihn zu seinen beiden Landstreichern Wladimir und Estragon inspiriert haben, die vergeblich auf Godot warten.

War auch Friedrich ein moderner Zweifler? Sein erschütterndes Bild «Mönch am Meer» könnte ein Hinweis darauf sein. Nicht zuletzt unter der Nachwirkung eines erlittenen Schlaganfalls hatte er das berühmte «Eismeer» gemalt. Wegen des zermalmten Schiffs inmitten der Eisschollen wird es auch die «Gescheiterte Hoffnung» genannt. In seinem vermutlich letzten Gemälde, der späten, düsteren Landschaft «Meeresufer bei Mondschein», in der der Mond durch bedrohliche Wolken bricht, scheint Friedrich endgültig einer gewissen Todes- und Vergänglichkeitsstimmung verfallen gewesen zu sein.

Der gläubige Protestant Friedrich stellte in solchen Werken aber auch die Gewissensfragen seiner Zeit. Dem menschlichen Überlegenheitsgefühl gegenüber einer vermeintlich beherrschbaren Natur erteilte er eine Absage. Heute faszinieren seine Bilder so sehr, weil ihr Interpretationshorizont weit offen und gross ist. Es sei «vielleicht das Grösste eines Künstlers, geistig anzuregen und in den Beschauern Gedanken, Gefühle und Empfindungen zu erwecken, und wären sie auch nicht die seinen», hat Friedrich einmal geschrieben.

Deutung und Bedeutung seiner Bilder sind wandelbar wie der Mond in seinen Erscheinungsformen. Friedrich interessierte sich eben nicht für die trügerische Sentimentalität von Sonnenuntergängen, sondern vielmehr für die geheimnisvolle Vieldeutigkeit einer Mondnacht. Dann nämlich leuchtet die Sonne indirekt und vermag dadurch vielleicht mehr zu zeigen, als sonst in ihren direkten Strahlen zu sehen wäre.

Publikationen und Ausstellungen: Florian Illies: «Zauber der Stille – Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten». Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2023, 256 S.; Fr. 36.90; Kia Vahland: «Caspar David Friedrich und der weite Horizont», Insel-Verlag, Berlin 2024 (erscheint am 11. März), 108 S.; zahlreiche Abb.; Fr. 23.50; «Kunst für eine neue Zeit», Hamburger Kunsthalle, bis 1. April; «Unendliche Landschaften»; Staatliche Museen Berlin, 19. April bis 4. August; «Wo alles begann», Albertinum Dresden, 24. August bis 5. Januar 2025; Kupferstich-Kabinett Dresden, 24. August bis 17. November.

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