Mittwoch, Oktober 2

Dresden konfrontiert Friedrichs Vorbilder und Zeitgenossen mit seinen schönsten Gemälden. In der Ausstellung des Albertinum wird deutlich, warum der Dresdner Maler gerade heute auf so grosses Interesse stösst. Mit der Schau schliesst das Jubiläumsjahr zum 250. Geburtstag des grossen Romantikers.

Die Kunstsammlungen Dresden besitzen ein kleines Gemälde von Caspar David Friedrich, das ein Gebüsch im Schnee zeigt. Das Bildchen ist gemalt fast Grau in Grau. Es weist einen weissen, schneebedeckten Vordergrund auf, hinter dem sich dunkles, nasses Astwerk zu einem dichten Teppich verwebt. Zurzeit ist es im Albertinum auf der Brühlschen Terrasse in einer Sonderschau ausgestellt. Würde es dort im regulären Rahmen der Malerei aus dem 19. Jahrhundert gezeigt, könnte es leicht übersehen werden. Jetzt aber, wo der deutsche Meister aus Dresden im Fokus steht, fällt es geradezu auf.

Denn das Werk ist ungewöhnlich. Wie eigentlich das meiste aus Friedrichs Hand. Die Bedeutung dieses malerischen Kleinods liegt aber gerade in seiner Bedeutungslosigkeit. Als das Bild 1828 zum ersten Mal auf der Dresdner Akademie-Ausstellung präsentiert wurde, trug es noch den Titel «Aus der Dresdner Heide». Friedrich betonte damit die Beiläufigkeit des Motivs, das einen momenthaften Eindruck wiederzugeben scheint. Solche Momentaufnahmen – heute im Zeitalter der Fotografie spräche man von Schnappschüssen – hielt Friedrich sonst vor allem in Zeichnungen fest.

Das Bild ist akkurat ausgeführt. Schaut man aber genau hin, fällt das Skizzenhafte auf, die rasche Pinselführung über der Unterzeichnung, mit der Friedrich vorrangig das Astwerk direkt auf der Grundierung des heute als «Gebüsch im Schnee» betitelten Bildes festgehalten hat. Auf die darübergelegte Himmelsfarbe malte Friedrich direkt in der Nass-in-Nass-Technik in die noch nicht getrocknete Farbe hinein. Das erlaubte ihm eine schnelle und souveräne malerische Ausführung des Gebüsches. Daher rührt das Spontane dieser kleinen Landschaftsimpression: als hätte sie Friedrich direkt vor dem Motiv auf die Leinwand gebannt.

Aber wie alle seine Gemälde hat der Maler auch dieses Werk nicht vor Ort als Freilichtmalerei geschaffen. Dafür ist das Werk viel zu gut durchdacht und strukturiert. Er malte es in seinem Atelier. Die Gitterstruktur der Äste verschliesst den gesamten Bildraum, der in grauem Nebel verschwindet. Dem heutigen Betrachter mutet das Werk beinahe abstrakt an. Es erinnert gar an die Baumbilder von Piet Mondrian, bevor dieser zur Abstraktion seiner berühmten Farbfelder fand. In diesen frühen Arbeiten strukturierte der Niederländer den Bildraum ebenfalls durch graues Astwerk und brach ihn geradezu kubistisch auf.

Man reibt sich also die Augen vor Friedrichs kühnem Wurf. Und mag darüber spekulieren, was wohl aus dem Maler geworden wäre, hätte er diesen Pfad der Reduktion auf ein einfaches Motiv bei gleichzeitiger Durchdringung des Bildraums durch dessen wesentliche Elemente weiterverfolgt.

Über die alten Meister hinaus

Friedrich ist aber auch schon mit seinem «Gebüsch im Schnee» sehr weit gegangen – zu weit für seine Zeit. Das geht einem jetzt auf in der Dresdner Ausstellung im Albertinum, in der seine Werke bedeutenden Landschaftsbildern aus der Gemäldegalerie der alten Meister gegenübergestellt werden. Man wird Friedrichs sublimer Landschaftsmalerei erst richtig gewahr im direkten Vergleich mit Landschaften von Jakob Ruisdael, Salvatore Rosa oder Claude Lorrain – Gemälden, die schon zu Friedrichs Lebzeiten zu den hochgeschätzten Hauptwerken der Dresdner Galerie zählten.

Friedrich hatte sie gesehen und studiert. Und ist mit dem geheimnisvollen Licht in seinen Bildern, der Darstellung endloser Ferne, der Strahlkraft seiner luftigen Transparenz im Farbauftrag oft weit über diese Vorbilder hinausgegangen.

Noch etwas anderes aber ist es, was Friedrich für uns heute so faszinierend macht: In unserer Epoche der Bilderflut mögen wir es, wenn Reduktion und Abstraktion das Gemüt beruhigen und in Einklang bringen mit dem Wesentlichen. Dafür hatte bereits Friedrich ein besonderes Auge. Deutlich wird dies in der Konfrontation seines Gemäldes «Mondaufgang am Meer» mit Salvatore Rosas «Waldlandschaft mit drei Philosophen» aus dem 17. Jahrhundert.

Rosas drei Männer mögen angeregt über die Natur diskutieren und sich über ihre eigenen Sinneseindrücke Rechenschaft ablegen. Davon zeugt ihre Gestik. Bei Friedrich aber sehen wir drei völlig reglose Gestalten. Vom Betrachter abgewandt sitzen sie auf einem Felsen am Ufer und schauen gebannt auf den am Horizont aufgehenden Mond. Der Mann und die zwei Frauen sind ganz in den Gefühlen versunken, die das Naturschauspiel in ihnen auslöst.

Diese Konzentration auf das zentrale Motiv – hier der Mond – ist eine Stärke Friedrichs. Und er bewerkstelligt diese fokussierte Wirkung mit einem für ihn charakteristischen Trick: der Rückenfigur. Seit je erscheinen Menschen in Landschaftsdarstellungen. Man spricht dabei von Staffagefiguren. Das können Bauern, Hirten oder Reisende sein. Sie gehen irgendwelchen Verrichtungen nach und nutzen die Natur auf irgendeine Weise. Der französische Meister des 17. Jahrhunderts Claude Lorrain hat seine Figuren mit Vorliebe in den Vordergrund gesetzt, um dem Bild Tiefe und der Natur ihre Grösse zu geben. Das tut auch Friedrich. Gleichwohl tut er es anders als alle Maler vor ihm.

Betrachter betrachten Betrachter

Friedrich stellt seine Menschen stets in stiller Betrachtung der Landschaft dar – und dies immer von hinten. Deshalb wurde auch schon behauptet, Friedrich sei nicht gerade versiert gewesen in der Darstellung von Menschen, weswegen er sich dieses Kniffes bediente. Ihm dürfte es aber vielmehr um den damit erwirkten Effekt gegangen sein. Ob der berühmte «Wanderer über dem Nebelmeer» oder ob seine «Frau am Meer» – seine Rückenfiguren werden zu Stellvertretern von uns Betrachtern.

Sie machen uns zu Betrachtern von Betrachtern beim Betrachten. Und fordern in ihrer versunkenen Kontemplation dazu auf, es ihnen gleichzutun. Auf diese Weise führen sie unseren Blick sanft ins Bild hinein. Dieser geht sowohl in die Ferne wie auch ins Innere der eigenen Gefühlswelt.

Im Vergleich zu Friedrichs spärlich bevölkerten Bildern muten die Landschaften seines Vorbildes Jacob van Ruisdael geradezu wie Wimmelbilder an. Für Friedrich war Konzentration auf das Wesentliche ein kaum zu überschätzendes Anliegen. Er malte im Atelier, verdunkelte die Fenster, um den Tag auszusperren, verbunkerte sich darin und ging erst abends aus.

Die Akademie-Ausstellungen seiner Zeit mit ihrer Überfülle von Kunstwerken verabscheute er: «Es macht immer einen widrigen Eindruck auf mich, in einem Saal oder Zimmer eine Menge Bilder wie Ware aufgestellt oder aufgespeichert zu sehen, wo der Beschauer nicht jedes Gemälde für sich getrennt betrachten kann, ohne zugleich vier halbe andere Bilder mitzusehen», so äusserte er sich 1830 anlässlich seines Besuchs der Jahresausstellung in der Dresdner Kunstakademie, an der über 700 sehr heterogene und qualitativ sehr unterschiedliche Arbeiten gezeigt wurden, zu diesem Missstand.

Um das Bestreben des Meisters nach Fokussierung bildlich zu verdeutlichen, hat jetzt die Dresdner Schau Friedrichs Werke auf der einen Seite des Saals in einzelne Kojen gehängt und an der anderen Seite die gesamte Längswand in Petersburger Hängung mit Werken aus den hauseigenen Beständen versehen, die zu Friedrichs Lebenszeit entstanden waren.

Da hängen die unterschiedlichsten Kunstwerke in mehreren Reihen dicht nebeneinander und übereinander: Historienbilder und Porträtmalerei, religiöse Motive und Darstellungen von antiken Geschichten, Stillleben und Genremalerei.

Maler des Unsichtbaren

Mitten in solchen Präsentationen wurden zu seinen Lebzeiten immer wieder auch Werke von Friedrich selber gezeigt. In der schieren Bilderflut müssen sie indes wie blinde Flecken erschienen sein. Tatsächlich betonten Kritiker der Akademie-Schauen immer wieder die Leere in Friedrichs Bildern.

Wie aber war das gemeint? Friedrichs Gemälde sind geprägt von einem klaren Bildaufbau, bei dem sich Erde und Himmel oft in einer Horizontlinie den Bildraum teilen. In einigen seiner Kompositionen gibt es fast nur Himmel («Abend», «Abendlicher Wolkenhimmel», beide von 1824). Über diesen radikal modernen Ansatz mit seiner geradezu bezwingenden Wirkung von purer Transzendenz schimpfte Goethe einmal: «Die Bilder von Maler Friedrich können ebenso gut auf den Kopf gestellt werden.»

In diesen fast schon abstrakt wirkenden Werken wird die Wirkung der Farben – zum Beispiel ein in der Dämmerung glühender Himmel – zum Hauptereignis. Der Bildraum entfaltet dabei eine ungemeine Sogwirkung. Diese gipfelt etwa in seinem Spätwerk «Das Grosse Gehege» von 1832. Ein solches Bild muss im unruhigen Umfeld all der anderen Gemälde wie eine stille, in sich ruhende Insel gewirkt haben.

Friedrich war vor allem auch ein Meister im Malen des Unsichtbaren. Dieses manifestiert sich in seinen Bildern in der Darstellung von Wolken, Nebel und Dunst. Wie kaum ein anderer verstand er es, die wechselnden Farbtöne der Luft wiederzugeben und deren flüchtigen Charakter auf die Leinwand zu bannen. Friedrichs Farben leuchten intensiv, wirken bisweilen durchscheinend wie Luft und sind in ihrer Materialität kaum fassbar. Oft muten sie so ephemer und leicht an wie Gedanken und Gefühle.

Das Himmelsmalen war für den gläubigen Protestanten Friedrich eine Art Gottesdienst. Das veranschaulicht eine Bemerkung seiner Frau Caroline: «Den Tag, wo er Luft malt, darf man nicht mit ihm reden!» Nicht zuletzt gab ihm das Malen des gleichsam Immateriellen die Möglichkeit, einen in seinen Augen angemessenen Ausdruck für seinen Glauben zu finden. Caspar David Friedrich malte nur wenige religiöse Motive. In der Luft seiner Landschaften aber wurde für ihn die Unsichtbarkeit Gottes gegenwärtig. Und noch ein im Winternebel verlorener Busch konnte für den Meister der romantischen Malerei Zeichen göttlicher Allgegenwart sein.

«Caspar David Friedrich. Wo alles begann», Albertinum, Dresden, bis 5. Januar 2025; Kupferstich-Kabinett Dresden, bis 17. November.

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