Mittwoch, Juni 11

Die Prinzipalin der Salzburger Pfingstfestspiele hat entscheidend zur Vivaldi-Renaissance beigetragen. In dieser Saison bricht Bartoli erneut eine Lanze für den Opernkomponisten: mit dem prächtigen Pasticcio «Hotel Metamorphosis» nach Motiven Ovids.

Als Cecilia Bartoli 1999 «The Vivaldi Album» herausbrachte, legte sie damit nicht nur einen Grundstein für ihre Weltkarriere als Sängerin, sondern lenkte den Blick auch auf einen Komponisten, der bis dahin fast nur für «Die vier Jahreszeiten» bekannt war. Im Jahr darauf nahm die enzyklopädisch angelegte Vivaldi-Edition beim Label Naïve ihre Arbeit auf, und 2018 hat auch Bartoli mit einem weiteren Album nachgelegt. Von den zahlreichen Opern Vivaldis hat sich seitdem dennoch keine wirklich auf den Bühnen durchsetzen können.

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Möglicherweise besass er, wie der Regisseur Barrie Kosky im Programmheft der Salzburger Pfingstfestspiele sagt, «nicht den dramaturgischen Instinkt» wie zur selben Zeit etwa Georg Friedrich Händel. Bühnenwirksame Musik schrieb er trotzdem, herrliche Arien vor allem, im Barock ohnehin die Schmucksteine in der Perlenkette eines oft austauschbaren Librettos. Warum also nicht aus den Schmuckstücken selbst eine neue Kette basteln, die den dramatischen Erwartungen der Gegenwart entgegenkommt?

Genau damit hat Bartoli nun Barrie Kosky beauftragt, als künstlerische Leiterin der Pfingstfestspiele, deren Opern und Konzerte sie seit 2012 jährlich unter ein anderes Motto stellt. Nach Venedig geht es diesmal an die Hauptwirkungsstätte Vivaldis. Die Eröffnungsproduktion wird standardmässig von den Salzburger Sommerfestspielen übernommen, die in gut fünf Wochen beginnen, bei Kartenpreisen von bis zu knapp fünfhundert Euro. Unbekanntere Titel hat Bartoli bereits einige gewagt, doch «Hotel Metamorphosis» – das hebt das Wagnis auf eine neue Stufe.

Es ist angerichtet

Den Namen hat der Abend im Haus für Mozart von den «Metamorphosen» des römischen Dichters Ovid, der Sammlung von Mythen, die allesamt mit einer Verwandlung enden und die gesamte europäische Kunstgeschichte geprägt haben, nicht zuletzt die Oper. Fünf davon erzählt Kosky neu – mit nur vier Sängern und mit der 81-jährigen Schauspiellegende Angela Winkler, die als Orpheus Ovids Texte spricht.

Neben Bartoli selbst als Eurydike und Arachne sind zwei weitere Mezzosopranistinnen zu erleben: Lea Desandre, wie Bartoli auch in Zürich ein Publikumsliebling, zeichnet die unglücklich in Narcissus verliebte Nymphe Echo und die den eigenen Vater begehrende Myrrha mit silbrig-gerundeter Stimme. Nadezhda Karyazina, ehemaliges Ensemblemitglied am Opernhaus und bei den Salzburger Osterfestspielen zuvor als Marfa in Mussorgskys «Chowanschtschina» gefeiert, gibt Minerva und Juno mit dunklerem Ton wahrhaft göttliche Gestalt. Der Countertenor Philippe Jaroussky wandelt sich vom Künstler Pygmalion zum bereits gealterten Narcissus.

Sie alle durchleben die archaischen Mythen an einem modernen, von Michael Levine entworfenen Verwandlungsort: in einem Hotelzimmer. Je nach Sujet wechselt nur das Gemälde über dem Bett, das gefährliche Kräfte hat. Es zieht Eurydike zu Beginn in die Unterwelt, später spuckt die Minibar Myrrha als Baum aus. Zu sehen gibt es auch sonst genug während der für Barockopern typischen Aufführungsdauer von vier Stunden. Dafür sorgen der Chor Il Canto di Orfeo, diverse Doubles und die von Otto Pichler angeheizte Tanztruppe, deren Mitglieder unter anderem als Mänaden über das Zimmer herfallen. Und zu hören ohnehin: Arien aus unterschiedlichsten Opern Vivaldis, von Kosky gemeinsam mit dem Dramaturgen Olaf A. Schmitt ausgewählt, erfreulicherweise auch mehr Ensembles und Chöre als in Barockopern üblich.

Mit von der Partie sind die 2016 auf Initiative Bartolis gegründeten Musiciens du Prince – Monaco. Sie klingen nach den Massstäben der historischen Aufführungspraxis ungewohnt füllig und decken in der überpräsenten Akustik des Hauses manchmal die Sänger zu. Sinnlich und cremig, bei Bedarf aber auch mächtig schroff tönt der Originalklang aus dem Graben, weil im Zusammenspiel nicht an metrischer Präzision orientiert, sondern, historisch korrekt, an einer Kultur der kleinen Temporückungen zwischen den Instrumenten. Überhaupt lässt der Dirigent Gianluca Capuano faszinierend frei musizieren, zumal in den Instrumentalsoli, die Vivaldi der Stimme oft beigesellt. Als Szenenmusik setzt Kosky auch Ausschnitte aus Vivaldi-Konzerten ein, was wiederum Hörerwartungen der Gegenwart entgegenkommt.

Zwiesprache mit dem Kopf des Orpheus

Ohne Vorbilder ist das Projekt nicht: Von jeher nennt man Barockopern, die aus bereits vorhandener Musik neu zusammengefügt wurden, Pasticcio – nach dem italienischen Wort für Pastete. Solche Zusammenstellungen werden momentan vermehrt von Opernhäusern programmiert, wohl als Reaktion auf einen Überdruss am Kanon einerseits, an mittlerweile ausgetretenen Interpretationspfaden des Regietheaters andererseits. Bei den Salzburger Sommerfestspielen etwa wird auch der Regisseur Peter Sellars ein Monodram von Arnold Schönberg mit einem Ausschnitt aus Mahlers «Lied von der Erde» verschrauben.

So etwas braucht viel Gespür für szenischen Rhythmus und Bildwirkungen. Kosky, nicht ohne Grund weltweit als Opernregisseur gefragt, hat beides. Die Mythen übersetzt er in zeitgenössische Bildwelten: Bartoli ist als Arachne nicht Webkünstlerin, sondern eher Web-Designerin, die sich mit Minerva einen Wettstreit um das «Morphen» von künstlichen Bildwelten (Rocafilm) liefert, bevor sie selbst als Spinne in den virtuellen Raum versetzt wird. Der selbstverliebte Narcissus findet sich zwischen zwei sich spiegelbildlich bewegenden Zwillingen wieder. Grausam ist das, verstörend, dabei zugleich leichthändig, immer wieder sogar komisch, und es überführt den zweitausend Jahre alten Ton Ovids hellhörig in die Gegenwart. Auch wenn Angela Winkler mit Mikroport-Verstärkung eine etwas triviale Prosaübersetzung sprechen muss – anstelle der klassischen Hexameter, die besser zu ihrem mädchenhaft artifiziellen Sprechduktus passen würden.

Dass ausgerechnet Orpheus nicht singt, sondern spricht, ist eine ironische Pointe, spannt aber dennoch den Urmythos der Oper als Rahmen um den Abend auf. Am Ende öffnet sich unter dem Hotelzimmer der lichtlose Abgrund der Unterwelt, bevölkert von Figuren mit Knochenvogelköpfen. Bartoli küsst als Eurydike den Kopf, den die Mänaden Orpheus abgerissen haben, singt dazu die viertelstündige Arie «Gelido in ogni vena» aus «Farnace», auf einem dieser feinen vokalen Silberfäden, mit denen sie seit je ihr Publikum umstrickt. Glaubt man dem frenetischen Schlussapplaus, dann hat sie als Festivalchefin wie als Sängerin mit dieser Produktion erneut Bahnbrechendes für die Rezeption Vivaldis geleistet.

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