Montag, Januar 20

Der künftige US-Präsident will das Verbot der chinesischen Video-App aufschieben. Aber der rechtliche Weg ist unklar.

Nur ein paar Stunden dauerte es, dann war Tiktok wieder da. Die Video-App hatte sich kurz vor dem offiziellen Verbot in den USA selbst abgeschaltet. 170 Millionen Nutzerinnen und Nutzer erhielten am späten Samstagabend (Ortszeit) eine in der amerikanischen Social-Media-Geschichte beispiellose Nachricht, wenn sie die Anwendung aufriefen:

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«Ein Gesetz zum Verbot von Tiktok in den USA wurde erlassen. Unglücklicherweise bedeutet das, dass Sie Tiktok im Moment nicht nutzen können. Wir sind froh, dass Präsident Trump angedeutet hat, mit uns an einer Lösung zum Neustart von Tiktok zu arbeiten, sobald er sein Amt antritt.»

Doch am Sonntagmittag (Ortszeit) kam alles noch einmal anders. Tiktok schrieb auf der Nachrichtenplattform X, die App gehe wieder online. Als Grund verwiesen die Betreiber der App auf die Zusicherung des designierten Präsidenten Donald Trump, wonach es keine Strafen für die amerikanischen Dienstleister von Tiktok geben soll. Tatsächlich konnten Amerikaner kurz darauf wieder auf die App zugreifen.

Bytedance erzeugt den grösstmöglichen Druck

Am Samstagabend erst war die App aus den Stores von Apple und Google verschwunden. Amerikanische Tiktok-Nutzer konnten einzig ihre eigenen Daten noch herunterladen. Der Zugriff auf den endlosen Strom an Kurzvideos in Hochformat, der Tiktok weltweit so beliebt gemacht hat, blieb ihnen verwehrt.

Der chinesische Eigentümer Bytedance kam damit einem Verbot zuvor, das in den USA ab Sonntag (19. 1.) gilt. Es geht auf ein 2024 von einer breiten parlamentarischen Mehrheit erlassenes Gesetz gegen soziale Netzwerke zurück, die von «feindlichen» ausländischen Mächten kontrolliert werden.

Nach einem Rechtsstreit greift dieses Gesetz, das amerikanischen IT-Dienstleistern den Umgang mit solchen Apps verbietet, für Tiktok ausgerechnet einen Tag vor der für Montag angesetzten Amtseinführung von Donald Trump. Die Funktionsfähigkeit der App wäre nach der Einführung des Gesetzes in den USA wohl erheblich eingeschränkt und der Betrieb schrittweise unmöglich geworden.

Zudem hätten den IT-Partnern von Tiktok drakonische Strafen gedroht, wenn sie den Betrieb der Plattform in den USA weiterhin unterstützt hätten. Das Gesetz sieht Geldbussen von bis zu 5000 Dollar vor – für jeden einzelnen amerikanischen Nutzer, der sich dank einem solchen «Helfer» Zugang zu Tiktok verschaffen kann.

Stattdessen hat sich Bytedance entschlossen, den Stecker selbst zu ziehen – und so den grösstmöglichen Aufschrei in der Öffentlichkeit zu erzielen, um viel Druck für eine Rettung auszuüben. Fast die Hälfte der Amerikanerinnen und Amerikaner nutzt Tiktok, und das durchschnittlich für fast eine Stunde pro Tag. Auch amerikanische Unternehmen sind dort sehr aktiv.

Ein Verkauf steht nicht unmittelbar bevor

Während Trump die Video-App in seiner ersten Amtszeit als Präsident noch selbst bekämpfte, hat er inzwischen seine Meinung geändert und ist zum potenziellen Retter der Anwendung geworden. Auf seiner eigenen Nachrichtenplattform Truth Social kündigte er am Sonntag an, das Verbot von Tiktok schon am Montag wieder auszusetzen. Seine Verordnung werde auch denjenigen IT-Partnern Sicherheit bieten, die Tiktok nach dem 19. Januar weiterhin unterstützten.

Er wolle, erklärte Trump weiter, dass die USA über ein Joint Venture zu 50 Prozent an Tiktok beteiligt würden; gemeinsam mit den bestehenden oder neuen Eigentümern.

Trump hatte schon zuvor in Aussicht gestellt, möglicherweise eine Klausel in der «Protecting Americans from Foreign Adversary Controlled Applications Act» zu nutzen, die einen Aufschub des Verbots um 90 Tage erlaubt. Ungewiss ist, auf welcher rechtlichen Grundlage Trump diesen Aufschub gewähren will. Die Klausel darf nur angewandt werden, wenn ein Verkauf der App bevorsteht, welcher die Sicherheitsbedenken ausräumen würde. Doch noch laufen offiziell keine Verhandlungen über solch einen Verkauf an einen amerikanischen Interessenten. Bytedance und die chinesische Regierung haben ihn bisher ausgeschlossen.

Es wird spekuliert, ob der Tech-Milliardär Elon Musk in diesem Streit der lachende Dritte sein könnte und Tiktok kaufen werde. Der Tesla-Eigentümer unterhält Fabriken für seine Elektrofahrzeuge in China und dürfte kein Interesse daran haben, sich mit Peking zu überwerfen. Gleichzeitig steht er auf gutem Fuss mit Trump und versucht seit seinem Kauf der Kurznachrichten-Plattform X den öffentlichen Diskurs zu prägen.

Eine neue Heimat

Das zumindest temporäre Aus von Tiktok könnte den Markt für digitale Werbung in den USA dennoch durcheinanderbringen. Viele Tiktok-Berühmtheiten und ihre Fans haben nicht auf eine allfällige präsidiale Rettung der Plattform gewartet und probieren derzeit Alternativen aus.

Marketingspezialisten erwarten, dass Youtube und Instagram kurzfristig am stärksten vom Verschwinden ihres Konkurrenten profitieren könnten. Beide Plattformen haben in den vergangenen Jahren auf den steilen Aufstieg von Tiktok reagiert und bieten den Nutzern ähnliche Optionen, um Kurzvideos aufzunehmen, zu bearbeiten und zu teilen. Viele Tiktoker haben in den vergangenen Monaten daher angefangen, ihre Inhalte verstärkt auch über diese beiden Kanäle auszuspielen.

Weil der Algorithmus von Tiktok etwas anders funktioniert als bei Youtube oder Instagram, fällt diese Diversifikation nicht allen gleich leicht. Die wenigsten Probleme haben Stars, die auf den Konkurrenz-Plattformen schon lange aktiv sind. Der als Mr Beast bekannt gewordene James Donaldson beispielsweise ist zwar auf Tiktok mit über 100 Millionen Followern eine der grössten Attraktionen. Regelmässig beschenkt er hier in seinen Videos nichtsahnende Passanten mit Autos und anderen teuren Preisen, die er von Werbepartnern erhalten hat.

Doch Donaldson hat seine Karriere ursprünglich auf Youtube lanciert. Er erreicht dort über 340 Millionen Abonnenten und betreibt damit den beliebtesten Kanal aller Zeiten. Auch auf Instagram und X hört ihm ein Millionenpublikum zu. Daher fällt es Donaldson vergleichsweise leicht, die Botschaften seiner Werbepartner auf andere Kanäle umzuleiten.

Dennoch beklagte auch Mr Beast das Ende von Tiktok und kündigte an, die Plattform retten zu wollen. Er habe «mit einer Gruppe von Milliardären» gesprochen, die an einem Kauf der Plattform interessiert seien. Um seine Botschaft zu verbreiten, schaltete er eine Werbung am Times Square in New York auf, die er dann wiederum über die sozialen Netzwerke verbreitete.

Noch weiter nach China

Manche Tiktok-Nutzer wollen von Instagram und Youtube allerdings nichts wissen und haben sich Rednote zugewandt. Die ebenfalls chinesische App steht in den USA seit Tagen an der Spitze der Download-Rangliste in den App-Stores von Google und Apple. Die App gleicht eher den US-Plattformen Instagram und Pinterest als Tiktok. Anstelle einer endlosen Abfolge an Kurzvideos werden den Nutzern mehr Bildinhalte und Blogposts angezeigt. Auf der bei jungen Chinesinnen beliebten Plattform stehen Lifestyle-Themen wie Kochen, Reisen und Fitness im Zentrum.

Anders als bei Tiktok, das eine eigens für China konzipierte Schwester-App namens Douyin kennt, verfügt Rednote jedoch über keine separate Plattform für den Weltmarkt. Das sorgt nun für einen regen Austausch zwischen chinesischen und den neuen amerikanischen Nutzern, die sich selbst ironisch als «Tiktok-Flüchtlinge» bezeichnen. Allerdings sollen bereits zahlreiche Inhalte von Amerikanern gesperrt worden sein, weil sie den strengen chinesischen Zensurgesetzen zuwiderlaufen.

Der Aufstieg einer weiteren chinesischen Alternative, Lemon8, wurde am Wochenende derweil jäh gebremst. Lemon8 ist ähnlich aufgebaut wie Rednote und gehört wie Tiktok zu Bytedance. Am Freitag hatte die App in den USA bei Apple noch auf Platz zwei der Download-Charts gestanden, am Sonntag war sie nicht mehr verfügbar. Um der «Protecting Americans from Foreign Adversary Controlled Applications Act» zu entsprechen, schaltete Bytedance in den USA auch diese App ab.

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