Sonntag, März 30

Der britische Filmstar zieht 1952 an den Genfersee. Der US-Geheimdienst hat ihn vertrieben. Doch auch die Schweizer Polizei bespitzelt ihn, wie Akten aus dem Bundesarchiv belegen.

Ende 1952 hat Charlie Chaplin genug. Er zügelt in die Schweiz. Mit seiner Familie bezieht er eine Villa bei Vevey am Genfersee. Der britische Filmstar ist erleichtert, dass er die USA, «dieses Krebsgeschwür», hinter sich gelassen hat. Seine ehemalige Wahlheimat hat ihn vertrieben. Der amerikanische Geheimdienst ist überzeugt, dass Chaplin in Diensten Moskaus steht, und bespitzelt ihn. Nach seinem Film «Der grosse Diktator» von 1940, in welchem Chaplin Hitler parodiert, hat sich sogar die öffentliche Stimmung in den Vereinigten Staaten gegen ihn gekehrt: Ein Antifaschist müsse ein Kommunist sein, lautet das Verdikt, und Kommunisten seien sowieso des Teufels.

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Chaplin hofft, dass es ihm in der neutralen Schweiz besser ergeht und die Verdächtigungen ein Ende finden. Der in prekäre Verhältnisse geborene Komiker, der seinen Vater früh an den Alkohol verliert und wiederholt im Waisenhaus landet, hat eine sozialkritische Gesinnung. Sein Herz schlägt links, es gehört den Ausgegrenzten und Verelendeten, den Proletariern aller Länder. Aber politisch betätigt er sich nicht. Er ist Künstler.

Akribische Beamte

Der Auftakt am Genfersee ist vielversprechend. Zur Begrüssung schenkt die Waadtländer Regierung seiner Frau ein Foulard und Chaplin eine goldene Uhr. Doch schon eineinhalb Jahre später, im Frühling 1954, wird er heimlich überwacht. Bundespolizisten legen zu «Chaplin Charly», wie sie seinen Namen schreiben, eine Staatsschutzfiche an, auf der sie ihre Observationen festhalten. Der Grund: Der sozialistische Weltfriedensrat verleiht dem Schauspieler seinen Weltfriedenspreis. Damit ist für die Polizei erwiesen, dass der Einwanderer ein Kommunist ist, der die innere Ordnung der Schweiz gefährdet.

Chaplin gilt nun als verdächtiges Subjekt – wie Hunderttausende andere unbescholtene Bürgerinnen und Bürger auch. Erst 1989 wird die so illegale wie paranoide Staatsschnüffelei ans Licht kommen. Der sogenannte Fichenskandal führt zu einer kleinen Staatskrise.

Die Verleihung des Weltfriedenspreises nimmt fast die Hälfte von Chaplins Fiche ein, die heute im Schweizerischen Bundesarchiv in Bern lagert. Sie umfasst vier grüne, mit Schreibmaschine beschriebene Karteikarten im A5-Format. Mit ihrem Kürzel versehen notieren die Polizisten ihre Beobachtungen. Meist bestehen diese bloss aus Meldungen der linken Presse. So halten die Beamten also fest, dass Chaplin dem französischen Priester Abbé Pierre 2 Millionen französische Francs geschenkt und Madame Chaplin nach einem Konzert in Montreux den russischen Violinisten mit dem russischen Gesandten zum Abendessen eingeladen habe.

Ebenfalls einen Eintrag wert ist den Bundespolizisten, dass Chaplin eine osteuropäische Fussballmannschaft empfängt, die in Lausanne antritt, und dass die Ostberliner Akademie der schönen Künste ihn 1955 zum korrespondierenden Mitglied ernennt. Zudem wissen die Polizisten zu berichten, dass Chaplin sich für Reisen nach Russland und «Rotchina» interessiert. Mehr Staatsgefährdendes können sie nicht aufdecken. In den 1960er und 1970er Jahren dünnt die Fiche aus, wird aber weitergeführt. Einmal verdächtig, immer verdächtig, und man weiss nie, wann der Feind doch noch zuschlagen könnte.

Nach Chaplins Tod am 25. Dezember 1977 vermerkt ein Polizist auf dem Fichenrand: «RIP Weihnachten 1977». Ein Feld für diese Art von Eintrag sieht die Karteikarte nicht vor. Daneben malt er mit dunkelblauer Tinte ganz unbürokratisch ein Grabkreuz. Der Eintrag könnte ehrerbietend gemeint sein, aber auch hämisch: Endlich liegt der Staatsfeind unter der Erde.

Der letzte Eintrag datiert vom Sommer 1978. Da ist Chaplin, der 88 Jahre alt wurde, schon seit einem halben Jahr tot. Zwei Grabräuber haben seinen Sarg bei Nacht und Nebel ausgegraben, um von den Hinterbliebenen ein Lösegeld zu erpressen, doch sie werden gefasst, und der Leichnam wird erneut beigesetzt. Auch dies vermerken die Beamten.

Ein Polizist greift gar zum Kugelschreiber und stattet das Kreuz mit einer Grabschaufel und einem Blümchen aus. Diese Kritzelei, auch sie ein Regelverstoss, könnte ein Hinweis auf den Sargraub und Chaplins zweite Beisetzung sein, im Sinne von: Jetzt ist unser Verdächtiger definitiv begraben, er wird uns nicht weiter auf Trab halten. Und noch haben die Polizisten nicht genug gemalt: Ein weiterer Beamter wandelt das blaue Grabkreuz mit schwarzer Tinte in ein Hakenkreuz um. Er tut dies zaghaft, deutet die vier rechtwinklig vom Kreuz abgehenden Striche bloss an, als ob er vor seiner Dreistigkeit zurückschreckte.

Der vermeintliche Jude

Wieso ein Hakenkreuz? Weder war Charlie Chaplin ein Nationalsozialist, noch war er Jude. Aber das Gerücht geht um, er sei einer. In die Welt gesetzt haben es ausgerechnet die Nazis. Das Propagandablatt «Der Stürmer» schreibt schon 1925, Chaplin sei Jude, ein «abnorm gestalteter Mensch», der sich «zigeunernd und stehlend durch das Leben» schwindle. Der Artikel setzt Chaplin mit seiner bekannten Figur gleich, dem «Tramp». 1940 hetzt der NS-Propagandafilm «Der ewige Jude» gegen Chaplin. In Deutschland sind seine Filme verboten.

Doch nicht nur seine Feinde, auch seine Verehrer denken, Chaplin sei Jude. 1969 schreibt der Filmkritiker der «Neuen Zürcher Zeitung» anlässlich von Chaplins 80. Geburtstag, dass der «Tramp» die jüdische Kulturtradition verkörpere, in welcher der Künstler gründe. Nur habe Chaplin sich lange nicht zu seiner Herkunft bekannt.

Mit seinem Hakenkreuz auf der geheimen Akte macht der Beamte der Bundespolizei den verstorbenen Chaplin zum vermeintlichen Juden. Ende der 1970er Jahre betätigen sich Bundespolizisten nicht nur als Kommunistenjäger, sondern zeigen sich auch als Antisemiten. Konsequenzen haben sie offenbar keine zu befürchten.

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