Donnerstag, Januar 9

Was tut ein Denker, wenn er nachts nicht schlafen kann? Bernard-Henri Lévy tauscht sich mit dem französischen Staatspräsidenten aus.

Bernard-Henri Lévy ist Philosoph. Er selbst würde nicht zögern, zu sagen: ein bedeutender Philosoph. Vielleicht der wichtigste unter den lebenden Denkern? Wahrscheinlich schon, da hätte Lévy kaum Zweifel. Zumindest in Frankreich. Foucault ist ja tot. Derrida auch. Sartre sowieso. Aber Lévy versteht sich nicht nur als Denker. Er ist auch Publizist, Filmemacher, engagierter Intellektueller. Und Botschafter für Menschenrechte und Demokratie. Selbsternannt, natürlich.

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Aus dieser Berufung heraus reist der 76-jährige Grossphilosoph seit Jahrzehnten in Krisenregionen. In die Ukraine zum Beispiel, wo er sich vor zwei Jahren mit Frontsoldaten traf und sich filmen liess, wie er mitten in Odessa «Liberté, Égalité, Fraternité» auf Strassensperren sprayte. Ein politischer Akt, fand er. Er habe Angst gehabt, gab Lévy zu Protokoll. Aber das dürfe keine Rolle spielen: «Um richtig zu denken», sagte er einem Journalisten, «muss man sich den Dingen, der Welt aussetzen.»

Richtig denken, Erkenntnis, darum geht es Bernard-Henri Lévy. Sagt er. Das könnte man allerdings leicht übersehen. «BHL», die Initialen seines Namens, sind in Frankreich zum Markenzeichen für medienwirksame Selbstinszenierungen geworden. Lévy wird von manchen bewundert, von vielen verlacht. Er ist eine elegante Erscheinung. Braungebrannt, das blütenweisse Hemd bis zur Brust geöffnet und ein mildes Lächeln auf den Lippen, setzt er sich den Unbilden der Welt aus. Und markiert Präsenz.

Unter Beschuss in Sarajevo

Nicht nur in der Ukraine. Auch im umkämpften Sarajevo, das er 1992 besuchte, mit einem alten Renault. Ein Fiasko. Er und sein Begleiter kamen unter Beschuss. Bis heute hat Lévy den Schadensbericht über die Einschüsse am Auto aufbewahrt. «Ein anschauliches, schreckliches Souvenir», nennt er das Papier. Den Vorwurf, ein intellektueller Dandy zu sein, weist er von sich. Eitelkeit? Nein. Er tue, was sein Gewissen ihm sage. Bei der Aktion in Odessa sei es ihm allein um die Menschen gegangen, die unter dem Krieg litten.

Doch auch BHL leidet. Nacht für Nacht. Denn er kann nicht schlafen. Seit vielen Jahren schon. Darüber hat er jetzt ein Buch geschrieben. In «Nuit blanche», das am Mittwoch erschienen ist, gibt Lévy einen Bericht über seine schlaflosen Nächte. Schon bevor es erschienen ist, hat es in französischen Zeitungen für Aufsehen gesorgt. Weil es ein neues Buch von BHL ist. Und weil Lévy schreibt, was er nachts so alles tut. Vor allem: mit wem er chattet.

«Nuit blanche» ist ein innerer Monolog über die qualvolle Suche nach dem Schlaf, der sich nicht herbeizwingen lässt. Lévy beschreibt, wie sich seine Welt weitet und verengt, wenn er auch nach Stunden noch wachliegt. Was ihm durch den Kopf geht, wenn die Lichter gelöscht, das Tablet abgeschaltet und das Handy auf Flugmodus gestellt ist. Und der Schlaf nicht kommt.

Trotz allem, was er schon versucht hat: Meditation, Yoga, Blütentherapie, Hypnose. Trotz den Zaubermitteln, die die Pharmaindustrie anbietet, von Quiviviq über Bromazepam bis zu Binoctal. Zurzeit ist Stilnox das Mittel der Wahl. Schlaf bringt es keinen. Die Nächte bleiben weiss. Lévy denkt nach. Erinnert sich an seine Eltern, an verstorbene Freunde, vergangene Liebschaften. Liest zwischendurch, schreibt. Und verfällt, übermüdet, immer wieder in einen Trancezustand, in dem sich die Gedanken zu unentwirrbaren Knäueln verschlingen.

Der «rostfreie Philosoph»

Irgendwann gegen Morgen greift er dann doch zum Smartphone. Und chattet. Nicht mit irgendwem natürlich. Sondern mit dem Staatspräsidenten. Vom Fenster seiner Wohnung im 8. Arrondissement beobachtet Lévy, wann im Élysée-Palast das letzte Licht ausgeht. «Ich weiss», schreibt er, «dass er in den Madame-Flügel geht, wo er wieder das Licht anschalten wird.» Er, das ist Emmanuel Macron. «Der junge Monarch», wie Lévy ihn nennt. Auch er ist wach.

In der gemeinsamen schlaflosen Zeit unterhalten sich die beiden manchmal auf dem Kurznachrichtendienst Telegram. Worüber, sagt Lévy im Buch nicht. Manchmal dringt trotzdem etwas nach draussen. Nach dem Anschlag der Hamas auf Israel schlug Lévy dem Staatspräsidenten vor, eine Anti-Hamas-Koalition ins Leben zu rufen. Bei einem Besuch in Israel im Oktober 2023 legte Macron den Vorschlag auf den Tisch. Die Welt war überrascht. Doch kein Staat konnte der Idee etwas abgewinnen. Ein blamabler diplomatischer Misserfolg.

Ein weiteres Mal habe sich Macron um offizielle Kanäle foutiert, schrieb die Tageszeitung «Libération», und es vorgezogen, auf Bernard-Henri Lévy zu hören. Den «rostfreien Philosophen, der immer auf der Suche nach Einfluss» sei, wie die «Libération» ihn charakterisiert. Zwölf Jahre vorher hatte Nicolas Sarkozy sich von Lévy davon überzeugen lassen, Libyen zu bombardieren. Die Folge war ein Chaos. Auch diese Idee dürfte in einer schlaflosen Nacht geboren worden sein. Auch per Handy. So hat es BHL selbst erzählt. Aber damals haben die beiden miteinander gesprochen. Telegram gab es noch nicht.

Bernard-Henri Lévy: Nuit blanche. Éditions Grasset, Paris 2025. 192 S., Fr. 35.90.

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