Mittwoch, März 19

Unsere Leserin will ihre neu gekauften Kleidungsstücke sofort tragen und nicht zuerst waschen. Gefährdet sie damit ihre Gesundheit?

Leserfrage: Ich trage neu gekaufte Klamotten am liebsten sofort – ohne sie zunächst zu waschen. Sollte ich das ändern?

Die neue Bluse leuchtet tiefrot, fühlt sich wunderbar weich an, hat keine einzige Knitterfalte. Ein Jammer wäre es, dieses perfekt aussehende Kleidungsstück nach dem Kauf sofort in die Waschmaschine zu werfen.

Wohl & Sein antwortet

In der Rubrik «Wohl & Sein antwortet» greifen wir Fragen aus der Leserschaft rund um Gesundheit und Ernährung auf. Schreiben Sie uns an wohlundsein@nzz.ch.

«Es wäre aber besser, genau das zu tun», sagt Kai Nebel, Leiter des Forschungsschwerpunkts Nachhaltigkeit und Recycling am Texoversum der Hochschule Reutlingen. Und auch das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung empfiehlt das Waschen neuer Kleidung.

Dafür nennt Kai Nebel zwei Gründe: Zum einen könnten Rückstände von Chemikalien auf den Textilien sein. Zum anderen hat das Kleidungsstück eine lange Produktionskette durchlaufen, war in den Händen vieler Menschen, wurde an unterschiedlichen Orten gelagert, womöglich von vielen Personen anprobiert, bis es zu seinem Besitzer gelangte. Das Waschen neuer und eigentlich perfekt aussehender Klamotten ist laut Kai Nebel deshalb auch aus hygienischen Gründen sinnvoll. Aber ist es wirklich unbedingt nötig? Betrachten wir die beiden Gründe einmal genauer:

Waschen entfernt Chemikalien

Wir wollen, dass unsere Kleidung bunt ist, so wenig knittert wie möglich, sie soll womöglich Wasser abweisen, sich weich anfühlen oder UV-Strahlen abhalten: Damit T-Shirts, Unterhosen sowie Pullover unseren Ansprüchen genügen, werden die unterschiedlichsten Chemikalien eingesetzt. Das ist nicht schlimm, sondern nötig.

Chemikalien, die solche Funktionen erfüllen sollen, sind im besten Fall fest mit der Textilfaser verbunden. Der Farbstoff zum Beispiel soll das Oberteil lange leuchten lassen und sich nicht von der Faser lösen. Es kann aber sein, dass am Ende des Produktionsprozesses noch freie, nicht mit der Faser verbundene Farbstoffe und andere Chemikalien auf dem Kleidungsstück verbleiben.

Beim ersten Waschen wird das zum Beispiel deutlich, wenn das neue Textil die restliche Wäsche einfärbt. In der Vergangenheit wurden Farbstoffe eingesetzt, deren Abbauprodukte heute als krebserregend oder erbgutverändernd gelten. Teilweise verursachten Farbstoffe Kontaktallergien. Panik sei heute aber nicht angebracht, so das Bundesinstitut für Risikobewertung. Auf Anfrage schreibt es: «Viele Problemstoffe wurden reguliert, also verboten beziehungsweise mit Grenzwerten belegt.»

Kai Nebel betont: «Wenn das Textil vernünftig hergestellt wurde, ist es unbedenklich.» Er rät, auf das Oeko-Tex-Siegel zu achten. Einschränkend sagt er: «Komplette Sicherheit gibt es nie, weil nicht jedes einzelne Textil untersucht wird, sondern nur die Produktionsbedingungen.»

Es könne immer vorkommen, dass freie Chemikalien auf dem Kleidungsstück verblieben und zum Beispiel Hautreizungen verursachten. «Man kann beim Kauf nicht sehen, ob von einem Textil Chemikalien freigesetzt werden, und wenn ja, welche», begründet das Bundesinstitut für Risikobewertung denn auch seine Empfehlung, Klamotten vor dem ersten Tragen zu waschen.

Das Institut empfiehlt genau wie Kai Nebel, neue Textilien zu waschen, die man direkt auf der Haut trägt. Dazu gehören Socken, T-Shirts oder Unterhosen. Bei Jacken hingegen sei das nicht nötig.

Waschen aus Hygienegründen

Und nun zum zweiten Argument, das für die Waschmaschine vor dem Tragen sprechen könnte: Bis eine Hose oder ein Oberteil im eigenen Schrank liegt, hatten es verschiedene Mitarbeiter aus der Produktion in der Hand, das Kleidungsstück wurde an verschiedenen Orten gelagert. Am Ende haben es eventuell verschiedene Menschen anprobiert. Ist das so unhygienisch, dass man das Teil unbedingt waschen muss?

«Hierzu liegen uns keine Daten vor. Uns sind auch keine entsprechenden Fallberichte bekannt», schreibt das Bundesinstitut für Risikobewertung. «Die Gefahr für die Gesundheit ist gering», sagt auch Kai Nebel. Hier gehe es vor allem um die eigenen Bedürfnisse rund um Hygiene.

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Fazit: Wer wäscht, geht auf Nummer sicher

Fachleute empfehlen zwar, Textilien vor dem ersten Tragen zu waschen. Aber wer das nicht tun möchte, hat höchstwahrscheinlich keine allzu gesundheitsgefährdenden Konsequenzen zu befürchten. Das Waschen ist eine reine Vorsichtsmassnahme für alle, die ganz sicher gehen wollen.

Und Kai Nebel merkt an: «Auch Waschmittel sind eine Kombination etlicher Chemikalien.» Wenn es beim Tragen der gewaschenen Klamotte zu Hautreizungen kommt, liegt das eventuell nicht am neuen Kleidungsstück, sondern am neuen Waschmittel.

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