Mittwoch, Oktober 9

Bereits am Vorabend der Democratic National Convention marschiert ein Protestzug durch die Innenstadt, mit einer Anti-Israel-Kundgebung geht es am Montag in der amerikanischen Grossstadt weiter.

Wer sich am Wochenende auch nur schon in die Nähe des Austragungsorts des demokratischen Parteitags begeben wollte, sah sich mit Strassensperren, hohen Zäunen und Kontrollposten konfrontiert. Das Gebiet muss grossräumig umfahren werden, ein Durchkommen gibt es nur noch zu Fuss, und auch das nur mit langen Umwegen. Beliebte Flanier- und Einkaufsmeilen wie die Michigan Avenue sind von Polizeiautos und Uniformierten gesäumt.

Die Verwaltung organisiert bereits zusätzliche Gefängniszellen

Am Sonntag bekam die Bevölkerung einen Vorgeschmack auf die Proteste, die Chicago in den nächsten Tagen erwarten dürfte. Eine grosse Demonstration zog während fast vier Stunden durch die Innenstadt, den sogenannten Loop. Dahinter stand eine Koalition von Organisationen, deren Anliegen von LGBT-Rechten über das Recht auf Abtreibung bis hin zu einer Waffenruhe im Nahen Osten reichen. Abgesehen von zwei Verhaftungen verlief die Kundgebung ruhig.

Die Democratic National Convention dauert von Montag bis Donnerstag. Nicht nur 50 000 Delegierte, Unterstützer, Freiwillige und Journalisten werden erwartet, sondern auch Demonstranten aus der ganzen Region. Die Polizei rechnet damit, dass nicht alle Kundgebungen so friedlich verlaufen werden wie jene vom Sonntag. Sie hat sich seit Monaten auf den Parteitag der US-Demokraten vorbereitet, auch mit speziellen Trainings in Kampfmontur, um für die Möglichkeit einer Eskalation gewappnet zu sein.

Die Verwaltung hat bekanntgegeben, dass schon das Werfen von Gegenständen, das Zertrümmern von Glasscheiben, die Zerstörung von Eigentum und das Behindern des Verkehrs zur Verhaftung führen könnten. Bereits wurden auch zusätzliche Gefängniszellen für den Fall von Massenverhaftungen bereitgestellt, und Richter halten sich für Schnellverfahren bereit.

Befürchtet wird, dass insbesondere propalästinensische Kundgebungen in Gewalt umschlagen könnten. Im Grossraum Chicago leben 85 000 Palästinenser; es handelt sich um die grösste palästinensische Gemeinschaft in den USA.

Spaltung unter Demokraten bezüglich Gaza-Krieg

Für Montagmittag ist ein antiisraelischer Protestmarsch angekündigt, der gleich in der Nähe des United Center beginnt, wo am Nachmittag die ersten Veranstaltungen der Demokraten stattfinden und am Abend Joe Biden auftreten soll. So ist den Demonstranten eine maximale Aufmerksamkeit garantiert. Weitere Märsche sollen folgen, die Veranstalter rechnen mit Zehntausenden von Teilnehmern.

Aber auch innerhalb des Parteitags wird es Druck auf die Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris und die Demokraten geben. Rund sechzig Delegierte fordern von ihr ein entschiedeneres Vorgehen und ein Waffenembargo gegen Israel, bis das Land in einen Waffenstillstand in Gaza einwilligt; sonst wollen sie ihr die Zustimmung verweigern.

Bei den Demokraten herrscht gegenwärtig zwar Hochstimmung über den Erfolg von Kamala Harris und ihre Nummer 2 Tim Walz, doch die angestrebte Zelebration von Einigkeit dürfte durch die Gaza-Frage massiv gestört werden; denn die Partei ist bei diesem Thema tatsächlich gespalten. Das ältere Establishment der Demokraten ist eher proisraelisch, der jüngere, linkere Flügel eher propalästinensisch eingestellt.

«Der Parteitag ist kriminell und illegitim»

Chicago ist eine demokratisch geprägte Stadt und der Sitz zahlreicher linker Organisationen. Gemeinhin pflegt die Verwaltung einen liberalen Umgang mit Kundgebungen. Das gilt besonders für den gegenwärtigen Bürgermeister Brandon Johnson, der selbst aus der Gewerkschaftsbewegung hervorgegangen ist und in seinem Leben zahlreiche Demonstrationen organisiert und angeführt hat. Aber auch er sah sich in den letzten Wochen in heftige Diskussionen darüber verwickelt, wie viel Raum man Protesten geben soll. Immer noch schwebt das Gespenst von 1968 über der Stadt, als der damalige Parteitag der Demokraten in gewaltsame Proteste umschlug.

«Der ganze Parteitag ist illegitim und kriminell, und so sollte er auch behandelt werden», zitiert die «New York Times» Michael Boyte, den Anführer einer «antiimperialistischen» Protestgruppe, die sich «Behind Enemy Lines» nennt. Diese heisst Biden «Genocide Joe» und Harris «Killer Kamala». Das offen deklarierte Ziel der Gruppe ist es, nicht nur in Hör- und Sichtweite des Parteitags zu protestieren, sondern in die Veranstaltung einzudringen, sie zu stören und die Teilnehmer «aktiv zu konfrontieren», wie Boyte das nennt. Leute wie er geben einen Vorgeschmack auf das, was dem Parteitag bis zu seinem Finale am Donnerstagabend noch alles bevorstehen könnte.

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