Mittwoch, November 12

Diese Woche berät die Spitze der Kommunistischen Partei über den politischen Kurs der kommenden zehn Jahre. Doch das Zentralkomitee muss sich auch mit peinlichen Personalien beschäftigen.

Wenn sich ab diesem Montag die knapp 400 Delegierten des 20.  Zentralkomitees der Kommunistischen Partei in Peking zu ihrem sogenannten dritten Plenum treffen, wollen sie über die grossen Linien der chinesischen Politik für die nächsten Jahre beraten. Es ist das wichtigste politische Ereignis seit Jahren.

Wie kann China zur Technologiemacht Nummer eins werden? Wie lässt sich die soziale Ungleichheit im Land überwinden? Was ist nötig, um die angeschlagene Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen? Diese Fragen stehen weit oben auf der Tagesordnung der viertägigen Beratungen.

Doch die Delegierten werden sich auch mit Personalfragen beschäftigen müssen, die kein gutes Licht auf die Partei, vor allem nicht auf ihren Chef Xi Jinping werfen. Ende Juni schloss der ständige Ausschuss des Politbüros den ehemaligen Verteidigungsminister Li Shangfu aus der Partei aus.

Li, dem die Entgegennahme von Bestechungsgeldern vorgeworfen wird, war im Oktober seines Ministeramtes enthoben worden. Das dritte Plenum muss den Parteiausschluss nun bestätigen. Die Personalie lässt unweigerlich Zweifel am Erfolg der mehr als zehn Jahre währenden Anti-Korruptions-Kampagne von Staats- und Parteichef Xi Jinping aufkommen.

Die Causa Qin Gang

Noch peinlicher dürfte der Umgang der Delegierten mit der Causa Qin Gang werden. Der damalige Aussenminister, persönlich von Xi ausgewählt, verschwand im vergangenen Sommer ohne weitere Erklärungen aus der Öffentlichkeit. Ende Juli 2023 setzte Peking Qin schliesslich als Minister ab. Jetzt muss das dritte Plenum den Politiker offiziell aus dem Zentralkomitee entfernen.

Qin soll zu seiner Zeit als Botschafter in den USA eine aussereheliche Beziehung mit einer Fernsehmoderatorin unterhalten haben. Doch es stehen auch Spionagevorwürfe im Raum. Da stellt sich zwangsläufig die Frage, inwieweit der für seine harte Hand bekannte Xi die Partei tatsächlich im Griff hat.

Schon die Vorbereitungen des schwierigen Treffens waren kompliziert. Eigentlich hätte die Tagung bereits im vergangenen November stattfinden sollen, doch sie wurde immer wieder verschoben.

Über die Gründe lässt sich nur mutmassen. Experten wie Alexander Davey vom Mercator Institute for Chinese Studies in Berlin (Merics) vermuten, die Parteispitze habe mit ihrem Treffen zuwarten wollen, bis es der Wirtschaft bessergehe. Wahrscheinlicher sei aber, dass man sich über die zu fassenden Beschlüsse nicht habe einigen können.

Gerade jetzt braucht es Geschlossenheit

Dabei braucht es gerade jetzt Geschlossenheit, denn China steht vor einem Berg von Problemen, für die das dritte Plenum in dieser Woche überzeugende Lösungen präsentieren muss.

So befindet sich das Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft auf einem Rekordtief. Die offiziellen Zahlen, nach denen die Wirtschaft im ersten Quartal um 5,3 Prozent gewachsen ist, verschleiern dabei den Ernst der Lage. Im Süden und Osten des Landes müssen immer mehr Fabriken schliessen. Der Grund dafür ist die schwache Binnennachfrage. Die Lage am Arbeitsmarkt ist darum mehr als angespannt, die Löhne stagnieren oder sinken.

Der zunehmenden sozialen Ungleichheit müssten Chinas Machthaber eigentlich mit einem radikalen Ausbau der Sozialversicherungen begegnen. Doch das ist problematisch, denn China benötigt das Geld für Investitionen in neue Technologien, will das Land doch zur globalen Tech-Supermacht aufsteigen.

Die Konfrontation mit dem Westen, vor allem mit den USA, sorgt zusätzlich für Verunsicherung. Viele ausländische Unternehmen wollen aus Furcht vor einem Reputationsverlust nicht mehr mit China in Verbindung gebracht werden, die ausländischen Direktinvestitionen fallen ungebremst.

Wird China noch ein bedeutender globaler Player sein?

Und so geht es an dem Spitzentreffen in dieser Woche um nicht weniger als die Frage, ob China auf lange Sicht noch ein ernst zu nehmender und bedeutender globaler Player sein wird.

Ein Blick auf die Plenartagungen der Vergangenheit zeigt, dass China, wenn die Lage ernst ist, durchaus fähig ist zu reagieren. So stellte Deng Xiaoping kurz nach dem Ende der Kulturrevolution am dritten Plenum 1978 die Weichen für die Reform- und Öffnungspolitik. Was folgte, war ein beispielloser Boom der chinesischen Wirtschaft.

Am dritten Plenum im Jahr 1993 beschloss Chinas Führung einen neuen Rahmen für die sogenannte sozialistische Marktwirtschaft. In den darauffolgenden Jahren privatisierte die Regierung den Wohnungsmarkt und schloss Tausende marode Staatsbetriebe oder legte sie mit anderen, gesünderen Unternehmen zusammen.

Die Grenzen der Reformfähigkeit unter Xi Jinping

Doch das dritte Plenum im Jahr 2013 zeigte bereits die Grenzen der Reformfähigkeit Chinas unter Xi Jinping, der ein Jahr zuvor die Macht übernommen hatte. Im Abschlussdokument der Tagung hiess es zwar, «der Markt soll künftig die entscheidende Rolle bei der Allokation von Ressourcen spielen».

Bei Experten und ausländischen Firmen sorgte die Formulierung denn auch zunächst für Begeisterung, denn sie erwarteten einen neuen Reformschub mit weiteren Liberalisierungen und Privatisierungen. Doch sie hatten Xi falsch interpretiert.

In den Folgejahren zeigte sich, dass das, was Xi unter Reformen versteht, nicht unbedingt deckungsgleich ist mit dem, was Beobachter im Westen darunter verstehen. «Damals wusste man im Westen noch nicht allzu viel über Xis Denken», sagt der Merics-Experte Max Zenglein.

Unter Chinas starkem Mann hat sich jeder politische Beschluss und alles unternehmerische Handeln der marxistisch-leninistischen Ideologie unterzuordnen, die Kontrolle durch die Kommunistische Partei geht über alles. Was dies bedeutet, hat Chinas Regierung unter anderem gezeigt, als sie im Jahr 2021 dem damals florierenden Tech-Sektor enge Fesseln anlegte und damit Millionen Arbeitsplätze vernichtete.

Kaum konkrete Massnahmen

Wenn das Zentralkomitee am Donnerstag dieser Woche das Abschlussdokument der Tagung vorlegt, erwarten Beobachter ein Papier mit eher allgemeinen und theoretischen Formulierungen statt konkreten Massnahmen.

Die Experten des auf China spezialisierten Analysehauses Trivium rechnen vor allem mit einem Fokus auf mehr «staatliche Kontrolle und die Gewährleistung der nationalen Sicherheit».

Exit mobile version