Mittwoch, Februar 5

Die Kommunistische Partei sichert der Privatwirtschaft eine «entscheidende Rolle» in der Volksrepublik zu. Zudem soll es Steuerreformen und mehr soziale Gerechtigkeit geben. Doch Zweifel bleiben.

Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping will die chinesische Wirtschaft modernisieren und unabhängiger vom Ausland machen. Ein neues Papier der politischen Führung des Landes enthält zahlreiche Reformvorschläge. Viele Details bleiben jedoch offen.

In einem am Sonntag veröffentlichten Dokument wird zudem den Märkten eine «entscheidende Rolle» bei der künftigen Entwicklung Chinas zugewiesen. Doch diese vage Formulierung dürfte die Verunsicherung in der Privatwirtschaft nicht verringern. Die Erklärung enthält darüber hinaus Hinweise auf eine Steuerreform und mehr Umverteilung.

Kontinuität statt Kurswechsel

Insgesamt vermeidet die Führungsriege der Kommunistischen Partei trotz der gegenwärtigen Wachstumsschwäche jedoch einen Kurswechsel. Sie setzt weiter auf technologische Eigenständigkeit und nationale Sicherheit. Die Erklärung gilt als Zusammenfassung der mehr als 300 Entscheidungen, die auf dem sogenannten dritten Plenum des Zentralkomitees in der vergangenen Woche gutgeheissen wurden. Das dritte Plenum, das nur einmal alle fünf Jahre stattfindet, war am vergangenen Donnerstag zu Ende gegangen.

Xi rief in einer Erklärung zu dem nun veröffentlichten Papier dazu auf, Hindernisse zu überwinden, die Wachstum und soziale Fairness verhindern. Die gewählte Formulierung «qualitativ hochwertiges Wachstum» wird üblicherweise so interpretiert, dass die Staatsführung nicht mehr auf ein möglichst schnelles Wachstum setzt, sondern eine nachhaltige Modernisierung der chinesischen Wirtschaft favorisiert.

Die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt ist jüngst langsamer gewachsen als erwartet. Nach offiziellen Daten stieg das Bruttoinlandprodukt zwischen Mai und Juni nur um 4,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal. Grund dafür sind vor allem die Folgen der Immobilienkrise.

Wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung

Das langsamere Wachstum führt auch zu einer wachsenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Viele Menschen fangen an, die Schuld für die wirtschaftliche Ungleichheit dem System zu geben, wie eine Umfrage der amerikanischen Wissenschafter Martin Whyte und Scott Rozelle zeigt. Experten betonen deshalb die Bedeutung von Reformen, um das soziale Netz zu stärken. Diese könnten auch den Konsum der privaten Haushalte steigern.

Darauf reagiert auch die politische Führung in ihrer neuen Erklärung. So soll etwa die Einkommensverteilung in China gerechter gestaltet werden. Denn obwohl die Führung das Wirtschaftssystem offiziell als sozialistische Marktwirtschaft bezeichnet, ist der Wohlstand in China sehr ungleich verteilt. Nach dem derzeitigen System zahlen nur 10 Prozent der chinesischen Bevölkerung Einkommensteuer.

Das Zentralkomitee hat nun unter anderem entschieden, die Gehälter von Führungskräften in staatlichen Unternehmen «streng zu regulieren». Bereits Anfang Juli hatte die Zeitung «South China Morning Post» über Pläne berichtet, dass Gehälter in staatlichen Finanzinstituten auf 3 Millionen Yuan, umgerechnet rund 380 000 Franken, begrenzt werden sollen.

Die Grenze könnte möglicherweise rückwirkend eingeführt und zu viel gezahlte Gehälter zurückgefordert werden. In der vergangenen Woche sollen einige Banker in Hongkong bereits aufgefordert worden sein, einen Teil ihrer Entgelte zurückzuzahlen.

Zudem sollen die Wanderarbeiter mehr Rechte erhalten. Diese sind momentan von vielen Sozialleistungen der Stadt ausgeschlossen. In Zukunft soll sich das ändern. Damit erhofft sich die Regierung eine neue Welle der Urbanisierung.

Wie in China Politik gemacht wird

Das Dokument enthält auch Hinweise darauf, dass eine bessere Verteilung von Einnahmen und Ausgaben zwischen Lokalregierungen und Zentralregierung angestrebt wird. Viele Provinzen sind nicht zuletzt infolge der Immobilienkrise hoch verschuldet, da Landverkäufe vormals ihre wichtigste Einnahmequelle waren. Gleichzeitig schultern sie einen Grossteil der Ausgaben, etwa für Soziales. Nun soll das Verhältnis besser koordiniert werden.

In dem Dokument über die Entscheidungen ruft die Führungsriege der Kommunistischen Partei zur Einheit auf: Die gesamte Partei, die gesamte Armee und die Menschen aller ethnischen Gruppen im ganzen Land müssten sich «enger um das Zentralkomitee der Partei mit Genosse Xi Jinping an der Spitze scharen», heisst es darin.

Das Papier verdeutlicht auch, wie in China Politik gemacht wird. Häufig wird dabei von der Parteispitze ein vergleichsweise vages Schlagwort vorgegeben, wie jüngst etwa die «neuen Produktivkräfte», die die Modernisierung der chinesischen Wirtschaft vorantreiben sollen.

In der Folge entsteht oft eine Art Wettbewerb von lokalen Regierungen und Unternehmen, die sich als besonders fortschrittlich in dem gewünschten Aspekt darstellen. Die Parteiführung wiederum hebt in ihren Augen gelungene Beispiele öffentlich hervor. Das führt in der Regel bei Lokalregierungen und Firmen zu einer Nachjustierung.

Auf diese Weise wird das politische Schlagwort nach Monaten, manchmal sogar Jahren immer weiter mit Leben gefüllt und wird zunehmend konkreter. Am Ende betont die Parteispitze, wie früh und visionär sie bereits eine bestimmte Entwicklung angestossen habe und wie «konsistent» ihr Kurs stets sei.

In Staatsmedien waren im Vorfeld des Plenums grosse Erwartungen geschürt worden. Immer wieder wurde Xi dabei als Reformer in der Tradition Deng Xiaopings dargestellt. Unter Deng hatte die Parteispitze auf dem dritten Plenum 1978 der Reform- und Öffnungspolitik zugestimmt, die den Weg für Chinas rasanten Aufstieg zur zweitgrössten Volkswirtschaft der Welt ebnete. Allerdings war Deng nicht nur Reformer, sondern als Vorsitzender der Zentralen Militärkommission mitverantwortlich für die blutige Niederschlagung der Tiananmen-Proteste 1989.

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